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1 HE: Beginn der Ära der Menschen

Menschen jagen ein Glyptodon

Vor etwa 12.000 Jahren veränderte sich unsere Welt grundlegend: Die letzte Eiszeit ging zu Ende und die Küstenlinien der Welt verschoben sich. Die Ära der Menschen, das Holozän, begann, Gebäude wurden errichtet, Tiere und Pflanzen gezüchtet, unzählige Arten starben aus und der Meeresspiegel stieg an. Doch was genau passierte damals und wieso war es so wichtig, dass es zum Angelpunkt einer neuen Zeitrechnung werden soll?

Klimatische Veränderungen

Im Jahr 12.000 v. Chr. bedeckten noch Gletschermassen das nördliche und mittlere Europa und dort, wo heute die Nordsee zwischen Großbritannien und Skandinavien liegt, gab es von Jäger*innen und Sammler*innen bewohntes Land. Doch schon um 10.000 v. Chr. (oder 1 HE) hatte sich die Erde drastisch erwärmt und der Laurentidische Eisschild, der damals einen Großteil Nordamerikas bedeckte, brach in sich zusammen. Dies führte zu einem rasanten Meeresspiegelanstieg von zwei Zentimetern pro Jahr – das ist schneller als heute!

Diese klimatischen Veränderungen beeinflussten auch den Menschen. Es gelang ihnen, sich einer wärmeren Welt anzupassen, indem sie – in den Regionen, in den es nun klimatisch möglich war – Ackerbau betrieben und sich niederließen. In allen Regionen, in denen es weiterhin zu kalt und trocken für Ackerbau war, wurde sich hauptsächlich von Viehzucht ernährt und dort, wo auch dies nicht möglich war, behielten die Menschen vorerst die Lebensweise als Jäger*innen und Sammler*innen bei.

Doch selbst wenn das Klima nach einigen Jahrhunderten wieder eine nomadische Lebensweise zuließ, sich die Bestände erholten und Ackerbau nicht mehr als sinnvollste Lösung erschien, kehrten die Menschen nicht zurück, sondern behielten ihre neue Art zu leben bei. Stück für Stück verbreitete sich die Domestizierung und Sesshaftwerdung über die Welt – zuerst im Fruchtbaren Halbmond, wo heute Syrien, Israel, Jordanien, der Libanon und der Irak liegen, unabhängig davon aber auch in China, Nord- und Südamerika.

Die Quartäre Aussterbewelle

Doch nicht alle profitierten vom Beginn der Ära der Menschen. Im Pleistozän, dem Zeitalter vor dem Beginn des Holozäns, waren auch Europa und Nordamerika von solch riesigen Tieren bevölkert wie heute Afrika. Doch die Quartäre Aussterbewelle, die sich in etwa zeitgleich mit dem Aufstieg des Menschen und dem Ende der Eiszeit ereignete, setzte dieser sogenannten Makrofauna überall außer in den Tropen der alten Welt ein Ende – zu ihren prominentesten Opfern gehören wohl das Mammut, der Riesenhirsch und der Höhlenlöwe.

Wir wissen noch nicht abschließend, was dazu geführt hat, dass so viele Arten gleichzeitig starben, aber wir vermuten, dass es eine der ersten großen Schäden an der Natur war, den auch der Mensch angerichtet hat. Die sogenannte Overkill-Hypothese postuliert, dass der Mensch zu viele Wildtierbestände überjagt hat, sodass diese stetig schrumpften – auch das gilt als möglicher Grund für den Umstieg auf Viehzucht und Ackerbau.

Vermutlich war die Überjagung nicht der einzige Grund, viele Tiere kamen mit dem neuen, deutlich wärmeren Klima auch einfach nicht zurecht. Des weiteren lösten die von Menschen eingeschleppten Haustiere mutmaßlich Seuchen aus und verdrängten dadurch vor allem die größeren Arten, die sich den Erregern nicht anpassen konnten. Es gibt sogar Theorien von einem Kometeneinschlag oder einer heftigen Sonneneruption. Vermutlich war es aber einfach eine ungünstige Kombination aus menschlichen und klimatischen Einflüssen.

Das erste Gebäude

Es scheint kaum zu glauben, aber der Mensch begann schon mitten in der Steinzeit vor 12.000 Jahren, sich seine eigene Welt zu errichten statt sich ihr nur anzupassen: In Göbekli Tepe auf dem Gebiet der heutigen Türkei entstand damals ein großer Tempel aus tonnenschweren Steinen. Es ist kaum in Worte zu fassen wie alt dieses Gebäude ist: Zwischen dem Bau dieses Tempels und dem Bau der ägyptischen Pyramiden verging mehr Zeit als zwischen dem Bau der Pyramiden und heute! Wir wissen nicht, wie unsere Vorfahren das damals geschafft haben, denn in dieser Region lebten damals noch Jäger*innen und Sammler*innen.

Klar ist allerdings, dass dieses erste große Bauwerk der Menschheitsgeschichte beeindruckende Ausmaße gehabt haben muss: Die Anlagen waren beinahe kreisrund und wahrscheinlich nach oben geöffnet. In der Mitte standen meterlange und tonnenschwere Pfeiler – der größte von ihnen hatte eine Länge von sieben Metern und eine Masse von 50 Tonnen. Umschlossen wurden sie von Steinmauern, aus denen womöglich hunderte weitere Pfeiler ragten, die sogar mit Reliefs und Zeichnungen von Menschen und Tieren bemalt waren.

Vermutlich diente dieser Ort religiösen und mythologischen Zwecken, er könnte etwa Teil des Totenkults der Menschen von Göbekli Tepe gewesen sein, schon damals könnte man daran geglaubt haben, dass die Menschen ihre Reise ins Jenseits als Tiere antreten – ähnlich wie es auch in vielen Kulturepochen danach der Fall war. Dieser erste Tempelbau war wahrhaft ein Ereignis, dessen Wirkung bis heute nachhallt, denn bis heute haben wir uns darin perfektioniert, unsere Umwelt an uns anzupassen – und treiben es gerade gehörig zu weit.

Eine „neolithische Revolution“?

Dennoch kritisieren viele Historiker*innen den Begriff der „neolithischen Revolution“ – nicht ganz zu Unrecht, wie ich finde. Der Begriff weckt Assoziationen zur industriellen und digitalen Revolution, einer radikalen Veränderung der Lebensweise in einem sehr kurzen Zeitraum – doch so war es damals nicht. Die Entwicklung ging langsam vonstatten und sie verbreitete sich aus ihren Entstehungsregionen über Jahrhunderte und Jahrtausende.

Wie ich bereits oben erwähnt habe, entwickelte sich der Ackerbau vor allem dort, wo das Jagen schwieriger wurde und die klimatischen Bedingungen ihn gut zuließen – dies blieb dann auch so, obwohl sich das Klima anschließend wieder zu Ungunsten des Ackerbaus veränderte. Dass die neolithische Revolution also wirklich einen dauerhaften und nicht umkehrbaren Charakter hat, stand erst viel später fest als die meisten von uns intuitiv denken. Der Begriff „Revolution“ kann hier also allerhöchstens retrospektiv angewandt werden. Diese Meinung vertritt etwa der Archäologe Gerd-Christian Weniger:

„Der von Gordon Childe geprägte Begriff der ‚neolithischen Revolution‘ verkürzt die entwicklungsgeschichtlichen Vorgänge aus heutiger Sicht auf unzulässige Weise. Die Veränderung der Wirtschaftsform im Vorderen Orient, in China, Nordafrika oder später in Mittel- und Südamerika war ein über mehrere Jahrtausende ablaufender Prozess, dessen Unumkehrbarkeit erst spät feststand.“

Gerd-Christian Weniger

Des weiteren bedeutet „zeitgleich“ in diesen Kontext nicht „zeitgleich“. Gegenüber den enormen Zeitabständen in der Pleistozän und den Zeiten davor, in denen vereinfacht gesagt gar nichts passierte (bzw. schon etwas, beispielsweise die Besiedlung Amerikas oder die Entwicklung von Werkzeugen, aber eben viel langsamer), waren die Zeitabstände zwischen den neolithischen Errungenschaften wie Ackerbau, Viehzucht, Sesshaftwerdung und Keramikherstellung tatsächlich vernachlässigbar. Dennoch sprechen wir hier von bis zu 5.000 Jahren. Das sind zwar nur 0,2% der 2,5 Millionen Jahre andauernden Entwicklungsgeschichte des Menschen, eine Revolution im heutigen Sinne ist es wohl dennoch nicht.

Wie lebte es sich damals?

Wenn wir an die Steinzeit denken, dann kommt uns vielleicht ein mit der Natur im Einklang stehender Lebensstil in einer reinen und sauberen Umwelt in den Sinn. Doch die Wahrheit ist: Nach der neolithischen Revolution ging es dem durchschnittlichen Menschen viel schlechter als vorher. Da bleibt natürlich die Frage: Wieso haben unsere Vorfahren das getan? Sie hatten keine Wahl.

Die menschlichen Körper waren wie für die Jagd gemacht, aber nicht dafür, den ganzen Tag Fäkalien als Dünger für Weizenfelder zu sammeln und Steine zu schleppen – Leistenbrüche und extreme Rückenschmerzen standen bei den Menschen damals an der Tagesordnung.

Gesund war die Ernährung durch Ackerbau zu Beginn auch nicht: Sie war viel einseitiger und schädigte Zähne und Zahnfleisch. Und die Katastrophen waren enorm: Da die Auswahl an domestizierten Pflanzen nur langsam wuchs, wurden nicht selten die gesamten Bestände durch einen einzelnen Heuschreckenschwarm oder Pilzbefall ausgelöscht. Die genetische Vielfalt fehlte. Immerhin, um eine alternde Gesellschaft musste man sich nicht sorgen: Die durchschnittliche Lebenserwartung einer Frau lag bei 30 Jahren, folglich waren über die Hälfte der Menschen noch Kinder. Und 15 Prozent starben einen gewaltsamen Tod.

Das Leben des einzelnen war also ein sehr armseliges: Mit Glück die Kindheit überleben, sein ganzes Leben Fäkalien durch die Gegend tragen und mit 30 den Schädel eingeschlagen bekommen oder an einem Knochenbruch krepieren… Hätten die Menschen demokratisch abgestimmt, dann hätte es nie eine landwirtschaftliche Revolution gegeben. Dennoch war sie gut für uns: Sie ernährte mehr Menschen (unter schlechten Umständen) und half somit, menschliche Gene zu verbreiten.

Das haben wir uns nicht ausgesucht und wenn, dann hätten wir es uns anders ausgesucht – schließlich sind wir Egoist*innen und denken nicht einmal daran, den persönlichen Lebensstandard zugunsten der Verbreitung unserer Spezies einzuschränken (eine der wenigen Konstanten in der Menschheitsgeschichte). Aber glücklicherweise durften wir nicht wählen, sondern sind in eine Falle getapst.

Die Menschen dachten, dass sie nur mehr anbauen müssten, damit es ihnen später besser ginge und folglich taten sie dies. Doch es kam anders: Stattdessen bekamen die Menschen dadurch immer mehr Kinder, denn nun wurden diese weniger lang gestillt und stattdessen mit landwirtschaftlichen Produkten ernährt – außerdem kam das Töten der eigenen Kinder um 1 HE so langsam aus der Mode genauso wie sexuelle Enthaltsamkeit…

Da es nun mehr Menschen gab, wurde der durch die Landwirtschaft entstehende Überschuss wieder vernichtet und es entstand sogar ein Unterschuss. Je höher die Geburtenrate war, desto höher war auch dieser Mangel und folglich ging es den Menschen, insbesondere den Kindern von Generation zu Generation schlechter und immer mehr starben.

Doch es wurden so viele Kindern geboren, dass die Bevölkerung trotz dessen immer weiter wuchs und dabei unter immer elenderen Bedingungen lebte. Der Plan eines höheren Lebensstandards durch Landwirtschaft war gescheitert und dennoch kehrte man nicht zurück zur vorherigen Lebensweise. Wieso nicht?

Es stellte sich heraus, dass es kein Zurück mehr gab, denn hier kam wieder unser Egoismus ins Spiel: Als die Menschen erkannten, dass die Sache in die Hose gegangen war, da war es schon zu spät, denn nun gab es zu viele Menschen, um sich von der Landwirtschaft abzuwenden – einige würden verhungern. Und natürlich fand man das alles nicht schön, aber noch weniger wollte man riskieren, selbst der- oder diejenige zu sein, für den oder die es nichts mehr geben würde, wenn man zur alten Lebensweise zurückkehrt.

Schnell war vergessen, dass man je anders gelebt hat, dass ein anderes Leben überhaupt möglich ist. Und so setzte eine Menge Leid, Gier, Kurzsichtigkeit und Egoismus den Startschuss für die Ära der Menschen. In diesem Sinne kann man wirklich sagen, dass wohl kein Ereignis den Geist der gesamten Menschheitsgeschichte besser repräsentiert…

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