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1000 HE: Erste stadtartige Siedlungen

Siedlung auf einem Hügel

Jericho, das New York der Jungsteinzeit, so könnte man in populärwissenschaftlichen Worten beschreiben, was um das Jahr 1000 HE auf der Welt passierte, und zwar im Silicon Valley der Jungsteinzeit – dem Nahen Osten. Doch inwiefern kann man die damaligen Siedlungen wirklich als Städte bezeichnen und wie lebten ihre Bewohner*innen?

Angenehmere Ausgangsbedingungen

Um 1000 HE sah die Welt schon ganz anders aus als noch 1.000 Jahre zuvor am Ende der letzten Eiszeit – nämlich im Wesentlichen so wie heute. Die Eiskappen hatten sich zurückgezogen und bedeckten nun nur noch Skandinavien und das nördliche Großbritannien. Der steigende Meeresspiegel überflutete die Bering-Landbrücke, wodurch alte und neue Welt getrennt und eine Zuwanderung unterbunden wurde. Die großen Wildtiere wie Mammute, Riesenhirsche und Höhlenlöwen waren auf dem Rückzug oder bereits ausgestorben.

Im Nahen Osten wurden mehr und mehr Tier- und Pflanzenarten vom Menschen domestiziert, auch in China ereignete sich eine landwirtschaftliche Revolution – in Europa hingegen lebten die Menschen zu dieser Zeit noch vom Jagen und Sammeln. Diese langsamen Fortschritte in Teilen der Welt führten zu einer wachsenden Weltbevölkerung: Etwa fünf bis zehn Millionen Menschen lebten im neunten Jahrtausend vor Christus auf der Erde – also weniger als heute in Paris. Dennoch ermöglichte dies natürlich eine größere Wertschöpfung.

Siedlungen um 1.000 HE

Dort, wo sich die Menschen niederließen und Ackerbau betrieben, entstanden natürlich auch kleinere Siedlungen. Einige von diesen sind bis heute erhalten und zu archäologischen Ausgrabungsstätten geworden. Wir kennen unter anderem folgende im 2.Jahrtausend der Ära der Menschen bewohnten Siedlungen:

Siedlungen um 9.000 v. Chr.

Göbekli Tepe

Göbekli Tepe wurde schon etwa 1.000 Jahre früher auf dem Gebiet der heutigen Türkei errichtet. Mit dieser Tempelanlage begann nach der Ansicht einiger Archäolog*innen die Ära der Menschen, in der diese begannen, in ihre Umwelt einzugreifen. In den Jahrhunderten danach siedelten sich um diesem Tempel herum jedoch auch Menschen an. Der Historiker Yuval Noah Harari ging sogar so weit, zu behaupten, dass die steinzeitlichen Tempelanlagen die Ursprünge der Siedlungen waren:

„Früher ging man davon aus, dass sich die Siedler erst in einem Dorf niederließen und dann in der Mitte einen Tempel errichteten. Göbekli Tepe lässt vermuten, dass erst der Tempel kam und dann das Dorf.“

Aus „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ von Yuval Noah Harari

Einige Wissenschaftler*innen deuten Göbekli Tepe auch als frühesten Standort für astronomische Beobachtungen. Sie sehen in einer Zeichnung auf einer Steinstele einen Kometen und glauben dass ein solcher vor etwa 11.000 Jahren im nördlichen Grönland einschlug, um damit den massiven kurzfristigen Kälterückfall am Ende der letzten Eiszeit zu erklären. Eventuell könnte es sich bei der Abbildung um genau jenen Kometen handeln, der damals hell am Himmel hätte leuchten müssen. Für diese These gibt es verschiedenste Argumente und Gegenargumente.

Hier eine Studie, die für die Kometen-Hypothese spricht.

Hier eine Studie, die sich kritisch mit der Hypothese befasst.

Tell Qaramel

Auch in Tell Qaramel lebten um 1000 HE Menschen – scheinbar ließ es sich dort sogar recht gut leben: Die Siedlung lag auf einem Hügel und war umgeben von fünf Türmen, einer davon hatte einen Durchmesser von fünf Metern und eine Wandstärke von einem Meter. Der Boden war mit Lehm ausgelegt, es gab eine Feuerstelle und ovale Wohnhäuser, die in kleine Vertiefungen gebaut worden waren. Dazwischen lagen Herdstellen, Gräber und Geräte zur Bearbeitung von Pfeilen – vieles davon mit Abbildungen von Menschen und Tieren verziert.

Des weiteren legt Tell Qaramel nach, dass es auch in diesem frühen Stadium der Menschheitsgeschichte schon Gefechte gab. Die Türme sollen beispielsweise zur Verteidigung gedient haben und auch in Kulturen von Jägern und Sammlern sind grausame Massaker schon in der Steinzeit nachgewiesen: Etwa in Kenia, wo 27 Menschen, darunter auch hochschwangeren Frauen und Kindern, mit Messern und Keulen die Schädel, Rippen und Knie eingeschlagen und gebrochen wurden – vermutlich im Kampf um Revier, Beute, Tonkrüge oder auch Frauen und Kinder selbst – wir waren also schon vor über 10.000 Jahren ziemliche Arschlöcher.

Tell Abu Hureyra

Heute ist der Ort, wo früher die steinzeitliche Siedlung Tell Abu Hureyra im Assadsee versunken, doch früher lebten dort einige hundert Menschen. Um 1000 HE lebten dort noch Jäger*innen und Sammler*innen, die Hauptnahrungsquellen waren Gazellen und wild wachsendes Getreide. Obwohl der Ackerbau hier erst einige Jahrhunderte später begann, hatten sich die Menschen dort offenbar niedergelassen und lebten das ganze Jahr lang in Tell Abu Hureyra. Als sich das Klima erwärmte, begann man dort womöglich bereits mit dem Anbau von Roggen.

Die Hütten in Tell Abu Hureyra waren rund und bestanden vor allem aus Holz und anderen leichten Materialien, folglich hielten sie nicht lange durch und wurden später durch Ziegelsteinhäuser ersetzt.

Ganj Dareh

Ganj Dareh war über Jahrtausende ein wichtiges Zentrum der menschlichen Zivilisation in der Steinzeit – hier wurden Innovationen entwickelt. Die Siedlung im Norden des Irans liefert den weltweit ältesten Nachweis für die Domestizierung von Ziegen. Diese waren deutlich kleiner als Wildziegen, außerdem tötete man vor allem männliche Jungtiere als Fleischlieferanten, beides sind klare Anzeichen für eine Domestizierung. Insgesamt wurde die Ziege wohl drei Mal auf der Welt unabhängig voneinander domestiziert, in Ganj Dareh jedoch als erstes, erst später auch in Anatolien und der Levante.

Es gelang Forscher*innen tatsächlich, das Genom einer Bewohnerin von Ganj Dareh zu untersuchen. Durch die Sequenzierung konnte ermittelt werden, dass es sich um eine 30- bis 50-jährige Frau mit braunen Augen, schwarzen Haaren und einer Laktoseintoleranz gehandelt haben muss. Es lässt sich ableiten, dass die Bewohner*innen genetisch vermutlich sowohl den Ackerbau betreibenden Menschen aus Anatolien als auch den Jäger*innen und Sammler*innen aus dem georgischen Kaukasus ähnelten.

In den nachfolgenden Epochen der Steinzeit wurde in Ganj Dareh außerdem Gerste angebaut, zudem wurde der Ort ein wichtiges Zentrum der Herstellung von Keramik, einer der großen menschlichen Kulturgüter zu dieser Zeit.

Jericho, die erste „Stadt“?

Wir sehen an diesen Siedlungen schon einen merklichen Fortschritt in den tausend Jahren zwischen 1 HE und 1000 HE. Dennoch kann man keine dieser Siedlungen im engeren Sinne als Stadt bezeichnen, da meist nur wenige hundert Menschen in simpel gebauten Hütten lebten. Das öffentliche Leben bestand zum Großteil aus religiösen Ritualen. Der einzige Ort auf der Welt, der zu diesem Zeitpunkt wohl schon einen Schritt weiter war, ist Jericho – einige bezeichnen es sogar als die älteste Stadt der Welt.

Jericho begann mit einer Oase mitten in der Wüste. Um diese wichtige Quelle zu schützen, begannen die Menschen etwa um 1000 HE, dieses Gebiet zu bebauen. Innerhalb einiger Jahrhunderte entwickelte sich sowas wie eine kleine Stadt: Zum Schutz vor dem winterlichen Regen aus dem nahen Gebirge errichteten die Menschen eine Befestigung mit einem 13 Meter hohen Turm. Etwa 3.000 Menschen lebten im steinzeitlichen Jericho, sie hielten Hunde und Ziegen und pflanzten Nahrung an.

Am wichtigsten war aber ein anderer Aspekt: Die Bewohner*innen von Jericho bildeten eine organisierte, hierarchische Gemeinschaft. Dies war nötig, um die Verteilung des lebenswichtigen Quellwassers zu regeln und die Arbeitskraft der Menschen möglichst effizient zu nutzen. Es war keine demokratische Gesellschaft, aber immerhin begannen die Menschen zu lernen, dass auch sie selbst davon profitieren, wenn allen Menschen gewisse Einschränkungen auferlegt werden. Dieser Lernprozess ist wohl bis heute nicht abgeschlossen.

Jericho und die einfachen politischen Strukturen in der Siedlung sind ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig die neolithische Revolution wirklich war – Homo Sapiens war kaum wieder zu erkennen. Unter Anthropolog*innen gibt es daher das Sprichwort „Der Mensch hat nicht nur den Weizen domestiziert, der Weizen hat auch den Menschen domestiziert“.

Von einer echten Stadt kann man im Jahr 1000 HE nach meiner Ansicht dennoch nicht sprechen, da viele Befestigungen und Gebäude eben erst einige Jahrhunderte später entstanden. Aber es war bereits ein Vorläufer einer Stadt – und kam dem, was wir heute „Stadt“ nennen, näher als alles andere zu dieser Zeit.

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