Dies ist ein Brief für meinen Sohn mit dem ich im Rahmen unseres Projekts alle Stadien der ersten, zweiten und dritten Fussballliga bereise. Eine Vielzahl netter Menschen hat sich die Zeit genommen um Jay-Jay ein paar Zeilen nieder zu schreiben und ihm Details zur Findung ihrer Fußballliebe zu verraten. Nach und nach veröffentlichen wir eines der großartigen Werke unterschiedlichster Autoren. Innerhalb weniger Monate ist sogar mit einer Antwort des Sohnes zu rechnen. Den ein oder anderen Posteingang könnten wir übrigens noch vertragen. So, nun lauschen wir dem Briefkasten-Nesthäkchen. 😉
Den Fabian, bei dem ich mich auch für die netten Worte im Anschreiben bedanken möchte, findet Ihr hier auf Twitter.
Hallo Jay-Jay,
im Gegensatz zu vielen anderen, die dir geschrieben haben, bin ich mit meinen 17 Jahren wahrscheinlich gar nicht so viel älter, als du es bist. Ich kann dir also versprechen, dass ich dir nichts von Fußballern erzählen werde, die so viel älter sind, als dass unsere Generation sie noch hätte live spielen sehen dürfen.
Aber vorweg erstmal ein paar Worte zu mir: Ich heiße Fabian, bin in Stuttgart geboren und lebe seitdem einige Kilometer außerhalb in einer schwäbischen Kleinstadt.
An meinen ersten Stadionbesuch kann ich mich leider nicht mehr genau erinnern, so sehr ich es mir auch wünsche. Ich glaube, es war im Jahr 2004 und der VfB Stuttgart hat zuhause gegen den Hamburger SV mit 2:0 gewonnen.
Auf dem Platz standen damals mit Timo Hildebrandt, Philipp Lahm, Cacau und Kevin Kuranyi Spieler, die auch heute noch aktiv sind. Ich war gerade 7 Jahre alt und mein Interesse an Fußball hatte sich, vielleicht aufgrund dessen, dass ich selbst fußballerisch überhaupt nicht begabt bin und schon damals (wie heute) selbst nur Handball gespielt habe, stark in Grenzen.
Wenn zuhause Fußball im Fernsehen kam, war ich, egal ob es die Deutsche Nationalelf, der FC Bayern oder irgendeine andere Mannschaft war, der, der auf die Frage „Für wen bist du denn?“ stets mit der Gegenfrage „Wer führt denn?“ antwortete. Meine Denkweise war einfach: Wenn du für das Team bist, das gewinnt, bist du immer auf der Gewinner-Seite und hast stets einen Grund zur Freude.
Bis zu jenem Tag, als ich das erste mal ein großes Fußballstadion von innen sah. Wie so oft in diesem Alter war es die Familie, die mich dazu überredete, mir mal so ein Fußballspiel live anzuschauen.
Vielleicht hast du auf einer deiner Touren mal einen Schal mit der Aufschrift „Danke Papa, dass ich kein Bayern-Fan geworden bin“ gesehen. Nun ja, ich könnte diesen Schal nicht tragen.
Da der väterliche Teil meiner Familie (inklusive meines Bruders) Anhänger der Münchner Bayern ist, war es die Verwandtschaft mütterlicherseits, allesamt Träger des roten Brustrings, die mich damals mit auf den Cannstatter Wasen nahm.
Allen voran meinem Onkel, der für mich schon damals immer mein „Lieblingsonkel“ gewesen war, lag wohl viel daran, auch mich mit dem weiß-roten Fieber anzustecken. Es waren die kleinen, nebensächlichen Dinge, die mich damals, bei meinem ersten Stadionbesuch, so begeisterten. Dieser beeindruckende Moment, eine Fußballarena zu betreten, den du nun schon so oft erleben durftest, war für mich damals etwas ganz großes. Eine Mütze mit dem Stuttgarter Maskottchen-Krokodil „Fritzle“, die mein Onkel mir nach dem Spiel schenkte, gab, war das erste, was ich mit dem VfB-Wappen besaß. Hinzu kamen bis heute einige Schals, Trikots, Armbänder, Kuscheltiere, CDs, Banner, Fußbälle, Rucksäcke, Freunde-Alben sowie Fahnen, unter anderem auch einige aufwendig selbst bemalte, die man dann im „Fahnenmeer“ der Cannstatter Kurve „bestaunen“ kann.
Von diesem Tag an (es war der 11.September 2004, wie ich gerade herausgefunden habe) drängte ich meine Eltern immer wieder mit der Frage, wann wir den endlich mal wieder zum Fußball gehen würden. In meinen Träumen sah ich noch viele Stadionbesuche mit meinem Onkel und der zugehörigen Verwandtschaft vor mir. Es sollte nur noch einen einzigen geben. Kurze Zeit nach dem nächsten Besuch im Neckarstadion, es war ein 3-0 gegen Schalke 04 im April 2005 (dreifacher Torschütze: Kevin Kuranyi), verstarb mein Onkel plötzlich und überraschend. Ich war damals 8 Jahre alt.
Heute bin ich Mitglied und besitze eine Dauerkarte in der Cannstatter Kurve, wo sich die lautesten der VfB-Fans Spiel für Spiel versammeln, um die Jungs auf dem Feld zum Sieg zu schreien. Oft frage ich mich, warum mir überhaupt so viel an diesem Verein liegt.
Würde ich auch heute noch wie damals, den Verein anfeuern, der gerade am gewinnen ist, sähe es für den VfB zugegebenermaßen schlecht aus. Es ist aber viel mehr als die aktuelle Tabellensituation oder ein erreichtes Pokalfinale, das mich mit diesem Verein verbindet.
Ich kann es nicht sicher sagen, aber vielleicht ist es diese Erinnerung an meinen Onkel, die in seinem und meinem Lieblingsverein immer weiterlebt, die der Verein für mich bedeutet. Bis auf ein paar Fotos und die Erinnerung an seine lustige Art bleibt mir ansonsten nicht viel, was mich an ihn erinnert.
Auch wenn es lange her ist, denke ich heute noch oft an ihn.
Diese Zeilen sind vielleicht nicht gerade das, was dich von einem Verein überzeugen kann, aber vielleicht geben sie dir einen Einblick in das, was einen Fan mit seinem Verein verbinden kann, auch wenn er weder schönen, noch erfolgreichen Fußball spielt. Spieler kommen und gehen und einen Verein, der immer Erfolg haben wird, gibt es nicht. Um seinen Verein zu finden, darf man nicht nur nach dem Erfolg schauen, sonst muss man ihn alle Jahre wieder wechseln.
Heute stehe ich Woche für Woche mit meinen besten Freunden im Stadion und gebe alles für den Verein meines Herzens.
Was mich heute am Fußball und vor allem an der Kurve so begeistert, ist dieser Zusammenhalt, der so viele Menschen, so verschieden sie doch sind, vereint. Du bist Teil einer Gemeinschaft, die dich so nimmt und akzeptiert, wie du bist. Auch wenn dich etwas von der Masse abgrenzt, was du im alltäglichen Leben immer wieder zu spüren kriegst, bist du hier nicht mehr oder weniger wert als jemand anderes. Ich kenne dieses Gefühl.
Das ist, wonach viele Leute suchen.
Diese Punkte lassen sich problemlos auf jeden anderen Verein übertragen, in dieser Beziehung hebt sich mein Verein keineswegs von den anderen ab. Diesen Zusammenhalt und diese Gemeinschaft würde ich in jedem anderen Verein auch finden, selbst bei RB Leipzig oder dem Stuttgarter Erzrivalen, dem Karlsruher SC.
Allerdings sind es diese sehr persönlichen Gründe und natürlich auch die regionale Lage (zum Stadion muss ich nur eine knappe Stunde mit der Bahn fahren), die den Ausschlag für meine Entscheidung für den VfB und gegen den erfolgreicheren, angesehenen Klub meiner anderen Familienhälfte (den Bayern) geben haben.
Ich wünsche dir, dass du auf einem deiner Reisen mal ein weniger trauriges, aber genauso erinnerungswürdiges Erlebnis hast, das dich von deinem zukünftigen Verein überzeugt. Egal welcher es sein wird und egal was dich zu deiner Entscheidung gebracht hat, wünsche ich dir viel Spaß und Erfolg mit dem Klub deiner Wahl.
Bis dahin wünsche ich dir noch viel Spaß auf deiner Tour durch die Stadien dieser Republik
Mach’s gut, Jay-Jay!
Grüße aus dem schönen Schwabenland,
Fabian
dierudola
Wow!