Mmh, alles was ich über Jens sagen könnte wäre mit dem Veröffentlichen von Interna aus meinem Privtatnachrichten-Fach auf Twitter verbunden. Das möchte niemand. Ich denke aber er ist ein sehr netter Kerl, also dieses eine „nett“, nicht das andere. Menschen, die „pöhlen“ schreiben müssen gute Menschen sein. Vielen Dank für den Brief, der hier im Rahmen unseres Projekts in einer Reihe mit einigen Liebesbriefen von Fußballfans erscheint, um meinem Sohn die Wahl seines Lieblingsvereins zu vereinfachen.
Hey Jayjay,
ich bin Jens, für manche auch „Hose“ (@Baumwollhose), für wenige „Neusser“, und ich komme aus Neuss. Neuss ist eine kleine Großstadt direkt bei Düsseldorf, im so genannten „Speckgürtel“ und auf der richtigen Rheinseite, nicht auf der Schäl Sick. Wir haben uns schon mal kurz nach dem Relegationsspiel zwischen Fortuna Köln und Bayern II in einer Kneipe getroffen, falls du dich erinnerst. Ich war der bärtige Typ in dem coolen Drehstuhl, nicht der lange Lulatsch, der sich deine Klatschpappe geliehen hat.
Papsi möchte dich bei deiner Suche nach dem richtigen Verein unterstützen und hat daher gefragt, welchen Verein wir lieben und vor allem wieso. Ich finde das eine sehr interessante Fragestellung und möchte versuchen, dir hier für mich eine möglichst umfangreiche und treffende Antwort zu geben. Ich liebe Borussia Dortmund.
Warum ist eine gute Frage. Mein Vater kommt aus Duisburg, hat meine Familie aber verlassen, als ich noch sehr klein war. Oft ist es so, dass man von seinen Eltern und besonders von seinem Vater erzählt bekommt, welchen Verein er toll findet und welchen Verein man toll finden soll. Dein Papsi macht das nicht und mein Vater hat das bei mir auch nicht gemacht. Ich konnte mir das also frei aussuchen.
Oft sagen Leute, dass sie Erfolgsfans doof finden. Ich glaube aber, dass wir alle mehr oder weniger Erfolgsfans sind. Nur ganz selten verliebt sich jemand in etwas oder jemanden, den er nicht toll findet. Und schlechten Fußball findet eigentlich niemand toll, oder? Und so spielt auch bei mir der Erfolg der Mannschaft eine entscheidende Rolle: Als ich sieben bzw. acht Jahre alt war, wurde Borussia Dortmund zwei mal deutscher Meister. Das fand ich natürlich ziemlich cool.
Es ist aber mit Sicherheit nicht der einzige Grund für meine anfängliche Liebe und auch ganz sicher nicht der letzte Grund für meine jetzige große Liebe. Es waren auch ganz kleine Dinge, die dazu führten, dass ich BVB-Fan wurde: All meine Freunde in und um Neuss herum waren entweder Bayern-, Mönchengladbach-, Fortuna- oder Köln-Fans, dazu noch ein oder zwei Bremer. Ich wollte anders sein, wollte nicht genau das Gleiche machen wie die anderen, auch wenn Fortuna sicher deutlich näher gewesen wäre und M’Gladbach und Köln erst danach zu „Fahrstuhlmannschaften“ wurden. Auflerdem wurde die deutsche Nationalmannschaft 1996 Europameister und der beste Spieler – Matthias Sammer – spielte damals für den BVB. Ich habe ihn sehr bewundert, fand ihn und seinen vorbildlichen Einsatz und seine Spielweise einfach toll, hatte Poster von ihm an den Wänden. Und zuletzt spielte vermutlich auch eine Rolle, dass man die gelben Trikots damals im Fernsehen am besten erkennen konnte! Das, was heute Sky ist, war früher Premiere und man musste schon damals bezahlen, um die Spiele live zu sehen. Anders als heute konnte man das verschlüsselte Signal aber damals auch auf Fernsehern ohne extra Receiver sehen, das Bild war nur sehr, sehr stark verzerrt (Papsi zeigt dir sicher mal ein Bild). Da konnte man die gelben Trikots immer am deutlichsten sehen, sodass ich mir am liebsten die verschlüsselten Spiele von Borussia Dortmund ansah. Außerdem konnte ich zumindest die Spiele in der Champions League damals, wenn es meine Mutter erlaubte, sehen, was bei Fortuna, Köln oder M’Gladbach eben nicht ging.
So bekam ich zu Weihnachten im Jahr 1996 dann mein erstes Trikot und es war ein neongelbes Trikot mit schwarzen Streifen und ohne Spielernamen, da sich mein Patenonkel, der es mir geschenkt hatte, zwar sicher war, dass ich den BVB toll fand, aber nicht wusste wer mein Lieblingsspieler war. Und als ich dann später endlich zum ersten Mal in einem Stadion war, weil mich mein Onkel mit zu den Duisburger Zebras nahm, gab es nach dem Spiel eine Aufnahme von der Tribüne und den Fans in der Sportschau und man sah unter lauter blau und weiß einen einzigen gelben Punkt, weil ich selbst beim Spiel MSV Duisburg gegen Mönchengladbach nicht auf mein BVB-Trikot verzichten wollte.
Das alles war aber nur meine kindliche Schwärmerei. Natürlich verfolgte ich den BVB weiter im Fernsehen so gut es ging, trug im Sportunterricht nichts anderes als BVB-Trikots und selbstverständlich wollte ich beim Pöhlen auf dem Bolzplatz immer den BVB vertreten. Aber trotzdem schlief meine Liebe in den Jahren meiner Pubertät und der sportlichen Talfahrt am Ende des letzten Jahrtausends ein wenig ein. Ich fand zeitweise einfach andere Sachen cooler als Fußball, spielte lieber „Die Siedler II“ am PC eines Freundes oder baute das ferngesteuerte Auto mit Verbrennungsmotor eines anderen Kumpels zusammen.
Wieder war es der Erfolg, der mich zurückholte, der mich in seinen Bann zog und den BVB in mein Leben zurückkatapultierte. Ich kann mich noch genau erinnern, wie ich mit meinen damaligen Freunden bei einem Kumpel in der Wohnung saß, weil sein Vater Premiere hatte und wir so die Konferenz des letzten Spieltags 2001/02 gucken konnten. Ich saß ziemlich bedröppelt auf der Eckledercouch, als Bremen in Führung ging und der BVB wohl doch nicht Meister zu werden drohte. Aber durch Tore von Jan Koller und Henrique Ewerthon drehte Borussia das Spiel noch und wurde erneut deutscher Meister. Es war die erste Meisterschaft, die ich wirklich, wirklich bewusst wahrnahm und an die ich mich auch heute noch erinnern kann.
Von da an sollte mich der BVB nicht mehr loslassen und auch ich würde den BVB nicht mehr loslassen. Ich kaufte mir regelmäßig den Kicker und das Bundesliga-Sonderheft, wir bekamen zuhause den ersten Internetzugang und so konnte ich endlich auf dem Laufenden bleiben, wenn es um den BVB ging, weil in den Zeitungen, die man so in Neuss kaufen kann, eigentlich nur was über Fortuna, Köln oder Mönchengladbach steht. Ein knappes Jahr später war es dann auch endlich so weit und ich besuchte zum ersten Mal das wundervolle Westfalenstadion – ohne Mama, Papa oder Onkel. Nur ich, ein guter Freund und 83.000 andere Fans, die dem BVB gegen den SC Freiburg beim Siegen zusahen.
Seit der Saison 2004/05 bin ich Eigentümer einer Dauerkarte auf der Südtribüne. Der BVB durchlebte damals eine finanziell sehr schwierige Lage und ich fuhr, teilweise sogar allein, weil mein Freund nicht sofort eine Dauerkarte bekam, zu jedem Heimspiel. Und obwohl ich allein war und auch allein im Zug saß, war ich auf der Südtribüne sehr schnell nicht mehr allein. Ich suchte mir einen Platz, stellte mich neben jemanden, der mir komplett fremd war, unterhielt mich mit ihm über Fußball und den BVB und merkte erst nach fünf oder sechs Spielen, dass dieser „Fremde“, mit dem ich jedes Heimspiel sah, genau wie ich den Vornamen „Jens“ trägt.
Diese riesige Tribüne mit fast 25.000 Leuten war recht schnell zu meinem zweiten Zuhause geworden und ich freute mich jede zweite Woche mehr auf den Stadionbesuch als auf Parties oder Schulferien. Auch wenn ich im Stadion quasi niemanden kannte, hatten wir alle das gemeinsame Interesse Borussia Dortmund und auch das gemeinsame Ziel, dass unsere Mannschaft und unser Verein möglichst erfolgreich ist. Gerade in der schwierigen Situation rund um die damalige Fast-Pleite hat uns das sehr eng verbunden und ich lernte viele tolle Menschen und enge Freunde kennen, die ich sonst vermutlich nicht so kennengelernt hätte.
Und genau das ist dann auch der Grund, weshalb ich Borussia Dortmund auch heute noch liebe. Klar finde ich die gelben Trikots heute immer noch viel schöner als rote oder blaue, selbstverständlich macht es mir richtig viel Spafl, den aktuell sehr guten Fußball des BVB mitanzusehen, doch den größten Anteil an meiner unsterblichen Liebe haben die Leute, die diesen Verein ausmachen, die Mitglieder und Fans, die ihre Zeit, ihr Geld und ihr Herzblut in Treffen, Reisen und Projekte stecken, die den Verein unterstützen und kritisieren. Egal ob es Ultras sind, denen ich mal recht nahe stand, egal ob es die wundervollen und wirklich tollen Menschen hinter schwatzgelb.de sind, egal ob es meine Jungs und Mädels aus Neuss sind, mit denen ich schon so manche Fahrt und Tour erlebt habe: Borussia verbindet Generationen, Männer und Frauen, alle Nationen. Ich habe beim Fußball viele tolle Momente erlebt, viele tolle Dinge gesehen und vor allem sehr viele Freunde gefunden. Natürlich gab es auch Streit, miese Tage und herzzerreißende Niederlagen (wie z.B. in Wembley oder Berlin), aber am Ende haben diese unfassbar tollen Leute auf und neben dem Platz es immer geschafft, mir ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern oder mein Herz wieder mit Glück zu füllen. Und genau dafür liebe ich Borussia Dortmund.
P.S.: Das Faszinierende daran ist, dass ich mir sicher bin, es bei fast jedem anderen Verein genau so hätte erleben zu können. Klar, vielleicht nicht diese Erfolge und nicht diesen guten Fußball, aber ich bin mir sicher, dass dir auch Fans der Blauen, aus Bremen, Nürnberg oder Hamburg tolle Geschichten von gemeinsamen Touren erzählen können. Und genau deshalb liebe ich und du und so viele andere Menschen den Fußball. Und das ist eigentlich ziemlich cool, oder?