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Anthroposophie – wissenschaftsfeindlich, anti-aufklärerisch, gefährlich

Wesensglieder des Menschen, Anthroposophie

Wissenschaftsfeindlichkeit hat sich in der Pandemie als eines der größten Probleme unserer Gesellschaft erwiesen. Sehr präsent in wissenschaftsfeindlichen Bewegungen wie Querdenken ist auch die Anthroposophie. Was Anthroposophie ist und was sie nicht ist, wieso sie tödlich sein kann und wo ihre Schnittstellen zu Rassismus und Sozialdarwinismus liegen und wie es die Anthroposoph*innen geschafft haben, wirkungslose Medikamente staatlich genehmigt zu bekommen, darüber sprechen wir in dieser Themen-Episode. Außerdem loten wir mit Tarot-Karten die Zukunft der Anthroposophie aus.

Einführung in die Anthroposophie

Anthroposophie ist eine Irrlehre, die im frühen 20. Jahrhundert von dem österreichischen Pädagogen Rudolf Steiner entwickelt wurde. Die Anthroposophie versteht sich selbst als eine Erweiterung der Wissenschaft, mit dem Anspruch das „Übersinnliche“ auf dieselbe Weise zu erforschen wie die Wissenschaften die physische Welt erforschen. In Wahrheit ist die Anthroposophie aber weder Forschung, noch eine Erweiterung der Wissenschaft, sondern eine esoterische, anti-aufklärerische, wissenschafts- und teilweise menschenfeindliche Weltanschauung mit sektenartigem Charakter.

Ein zentrales Konzept der Anthroposophie ist die Vorstellung, dass der Mensch aus drei Teilen besteht: dem physischen Körper, dem ätherischen Körper und dem astralen Körper. Diese Teile stehen in Beziehung zueinander und beeinflussen sich gegenseitig. Der ätherische Körper ist beispielsweise für das Wachstum und die Regeneration des physischen Körpers verantwortlich, während der astrale Körper die Emotionen und die Persönlichkeit beeinflusst.

Wesensglieder des Menschen, Anthroposophie
Anthroposophische Vorstellung der Wesensglieder des Menschen, die sich in unterschiedlichen Formzuständen des Planetensystems entwickelt hätten.

Ein weiteres wichtiges Konzept der Anthroposophie ist die Idee von Inkarnation und Reinkarnation. Steiner geht davon aus, dass die Seele des Menschen nach dem Tod in einer Art spirituellem Fortbestehen existiert und sich dann in einem neuen physischen Körper wiederverkörpert. Diese Seele könne daher bereits aus einem früheren Leben geprägt sein – das nennt man „Karma“.

In der Anthroposophie gibt es auch eine besondere Aufmerksamkeit für die Natur und die Kosmos, die als lebendige, bewusste Entitäten betrachtet werden. Rudolf Steiner beschrieb in der Anthroposophie auch die Formzustände des Planetensystems. Diese Zustände, die er als alter Saturn, alte Sonne, alter Mond, Erde, neuer Jupiter, neue Venus und Vulcan bezeichnete, werden als Etappen der kosmischen Evolution betrachtet.

Nach Steiners Theorie ist jeder Formzustand durch eine bestimmte Qualität und eine bestimmte Entwicklungsstufe des menschlichen Bewusstseins gekennzeichnet. Zum Beispiel ist der Saturn-Zustand mit einem primitiven Bewusstsein verbunden, das noch keine Unterscheidung zwischen Ich und Umwelt macht. Der Zustand der Sonne steht für die Entwicklung von Sinneswahrnehmungen und die Entstehung von Instinkten, während der Zustand des Mondes durch das Aufkommen von Emotionen und dem Beginn der Individualisierung des Ichs geprägt ist.

Die gegenwärtige Evolution des Menschen findet laut Steiner auf der Erde statt und wird durch die Bewusstseinsentwicklung des Menschen vorangetrieben. Jeder Mensch hat demnach die Möglichkeit, seine Bewusstseinsebene zu erhöhen und damit zur Weiterentwicklung der Menschheit beizutragen.

Anthroposophische Medizin und Heilkunde

Die Anthroposophie befasst sich in der Praxis mit Themen wie der Landwirtschaft, der Medizin und der Pädagogik und bietet hierzu eigene Ansätze und Methoden an. Es ist wirklich erschreckend, wie tief sie in der Gesellschaft verwurzelt ist.

Die Anthroposophie umfasst auch eine spezielle Form der Medizin und Heilkunde, die als „anthroposophische Medizin“ bekannt ist, aber genauso sehr Medizin ist wie die Anthroposophie Wissenschaft. Die anthroposophische Medizin basiert auf der Vorstellung, dass der Mensch aus Körper, Geist und Seele besteht und dass Krankheiten daher auf einer Störung dieser drei Elemente beruhen.

Allerdings gibt es keinerlei wissenschaftlichen Nachweis für die Wirksamkeit anthroposophischer Medizin über den Placebo-Effekt hinaus. Viele der Behandlungen beruhen auf esoterischen Konzepten und sind pseudowissenschaftlich.

Es ist wichtig zu betonen, dass diese fehlende wissenschaftliche Grundlage nicht nur dazu führen kann, dass wirkungsvolle Behandlungen verschleppt werden, sondern auch, dass durch die Anwendung von Methoden, die nicht wirksam sind, der Gesundheitszustand von Patienten verschlechtert werden kann – das kann tödlich enden, etwa bei der Behandlung von Krebs.

Nun fragte ich mich, wie es denn sein kann, dass vollkommen wirkungslose Präparate in Deutschland als Medizinprodukte vertrieben werden, gar von Krankenkassen bezahlt werden können, während Impfstoffe oder neue Medikamente oft jahrzehntelang geprüft werden müssen.

Verantwortlich ist seit dem Contergan-Skandal das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn, das eigentlich genau mit dem Zweck gegründet wurde, dass sich die Hersteller eben nicht mehr selbst ihre Arzneimittel zulassen können. Allerdings haben es die Anthroposoph*innen faszinierender Weise geschafft, ihre Mittel von der staatlichen Pflicht eines wissenschaftlichen Wirkungsnachweises zu befreien. Anthroposophische und homöopathische Arzneimittel werden also ohne Wirkungsnachweis von den Behörden genehmigt.

Wie haben die Anthroposoph*innen das nur geschafft? Welche ausgeklügelten und subtilen Verbindungen zum BfArM wurden errichtet, sodass sie damit durchkommen? Ich meine, das darf ja nicht zu offensichtlich sein, dass ein deutsches Bundesinstitut wirkungslose Medikamente auf Basis einer Pseudowissenschaft absegnet. Die Antwort ist unglaublich raffiniert: Die Anthroposoph*innen sitzen in diesem Institut. Die Kommission C des BfArM ist besetzt mit Anthroposoph*innen, die anthroposophische Arzneimittel zulassen.

Der Bundestag stimmte in den 70ern einstimmig gegen die Wirksamkeitsprüfung für anthroposophische und homöopathische Arzneimittel, 12.009 HE wurde durch Lobbyarbeit des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie die Novelle des Arzneimittelgesetzes erheblich entschärft. Die Deutsche Homöopathie-Union titelte:

„Unangemessene regulatorische Anforderungen an Hersteller homöopathischer Arzneimittel kurz vor Abstimmung doch noch abgewendet.“

Deutsche Homöopathie-Union

Und plötzlich fragten sich alle:

„Warum ist die Impfquote in deutschsprachigen Ländern niedriger als in Westeuropa?“

DerStandard (Quelle)

Sowas kommt von sowas.

Waldorfschulen und Waldorf-Pädagogik

Nicht viel glücklicher ist der Einfluss der Homöopathie auf die Pädagogik. Rudolf Steiner gründete im Auftrag der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik eine anthroposophische Schule für die Kinder der Mitarbeiter*innen, die erste Waldorfschule. Die Anthroposophie ist dabei weniger Gegenstand des Unterrichts als eine „Brille“ durch die der gesamte Unterrichtsinhalt betrachtet wird.

Das Grundgesetz sagt dazu:

„Das Recht zur Errichtung von privaten Schulen wird gewährleistet. Private Schulen als Ersatz für öffentliche Schulen bedürfen der Genehmigung des Staates und unterstehen den Landesgesetzen. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die privaten Schulen in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen und eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird.“

aus Art. 7 GG

Ergo: Private Schulen, auch Waldorfschulen, haben laut Verfassung genauso wissenschaftlich gesicherte Inhalte zu vermitteln wie die öffentlichen Schulen.

Was die Waldorfschulen währenddessen tun:

Anthroposophie, Waldorfschule
Autismus-Podcast | Anthroposophie - wissenschaftsfeindlich, anti-aufklärerisch, gefährlich | Bildschirmfoto 2023 03 25 um 10.48.37

Hmm, aber das ist doch bestimmt nur eine Metapher für die kindliche Phantasie, oder? Ein sprachliches Bild?

Anthroposophie, Waldorfschule
Autismus-Podcast | Anthroposophie - wissenschaftsfeindlich, anti-aufklärerisch, gefährlich | Bildschirmfoto 2023 03 25 um 10.52.02

Gut, dass das auch geklärt ist. Doch nicht nur Unterrichtsinhalte sind zweifelhaft. Ein wichtiger Bestandteil der Methodik an Waldorfschulen ist die sogenannte „Kindbesprechung“. Dabei betrachtet die Lehrkraft jede*n Schüler*in genau und versucht, sich ihrem Wesen zu nähern, ihre Persönlichkeit zu ergründen. Die Kriterien sind, sagen wir interessant. Dazu zählen beispielsweise die Kopf- und Gesichtsproportionen, die Aufschluss über den Charakter eines Menschen geben sollen. Dies nennt sich Phrenologie, eine Pseudowissenschaft, die unter anderem im Nationalsozialismus und der Sklaverei missbraucht wurde.

Die Kopfform soll auch ein Hinweis auf das Temperament des Kindes sein. Nach anthroposophischer Lehre gibt es vier Temperamente: Choleriker, Sanguiniker, Phlegmatiker und Melancholiker. Jeder Mensch soll über alle vier Temperamente verfügen, aber eines sei dominant. Psychologisch ist diese Modell heute überholt.

Fragwürdig ist an Waldorfschulen auch der Umgang mit Gesundheit und Seuchenschutz. Da Krankheiten als eine Botschaft des Karmas gelten, die angenommen und „ertragen“ werden müssen, werden Impfungen in der Anthroposophie oft als „Gift der Zivilisation“ abgelehnt, die das Empfangen dieser Botschaft behindern. Fieber gilt gerade bei Kindern als wichtig, um sich im neuen Körper einzurichten.

Diese Ideologie ist tödlich, so waren bei einem Masern-Ausbruch an einer Waldorfschule in Essen 41% der Schüler*innen ungeimpft, es kam zu 71 Infektionen (Das Epidemiologische Bulletin des RKI hat sich dem Ausbruch genauer gewidmet.). In der Folge trafen sechs von neun großen Masern-Ausbrüchen an Schulen und Kindergärten zwischen 12.005 und 12.009 HE Waldorf- und Montessori-Einrichtungen. Tatsächlich sind die Masern für Kinder hochgefährlich, es kann zu Lungenentzündungen, Durchfall, Erblindung und Hirnentzündungen kommen. Als Spätfolge gelten eine Schwächung des Immunsystems und die seltene Folgeerkrankung SSPE, an der >95% der Erkrankten sterben.

Die Schutzimpfung hat eine Wirksamkeit von über 99% und kann die Masern langfristig ausrotten, doch durch Impfgegner*innen – einige davon auch anthroposophisch bewegt – stieg die Zahl der Masernfälle global wieder an und die WHO erklärte sie 12.019 HE zur Bedrohung für die globale Gesundheit.

Auch in der Corona-Pandemie sind Waldorfschulen Problemherde. Die Impfquote ist unterdurchschnittlich und laut Bayerischem Kultusministerium gab es sieben Mal mehr Maskenatteste als an öffentlichen Schulen. Bei einem massiven Corona-Ausbruch an einer Waldorfschule in Freiburg erwiesen sich von 55 Maskenattesten nahezu alle als ungültig.

Das Menschen-und Krankheitsbild an der Waldorfschule ist also auch zutiefst menschenverachtend: Krankheiten müssen durchgemacht werden und letztlich sind die Erkrankten selbst Schuld, schließlich ist es ja eine Botschaft des Karmas. Krankheiten werden damit stigmatisiert. Wenn jemand dann stirbt, war es so vorbestimmt. Sozialdarwinismus pur. Ähnliches gilt für Schwangerschaftsabbrüche: Manchmal sei der Tod der Mutter eben gewollt und dem Kind sei das Leben bestimmt. Bei einer Abtreibung würde die Seele des Kindes die schwangere Person weiter verfolgen. Abartig.

Fazit und Ausblick auf die Zukunft der Anthroposophie

Ich denke, es ist klar, dass die Anthroposophie weg muss. Sie gehört in die Geschichtsbücher verbannt, in eine Reihe mit der Alchemie und der Astrologie. Das Hochgefährliche an der Anthroposophie ist die Förderung eines Weltbilds, das sich vom wissenschaftlichen Erkenntnisweg abwendet. Das den wissenschaftlichen Maßstäbe, Kriterien und Methoden ihre Absolutheit abspricht und suggeriert, es gäbe eine Alternative zu ihnen, die es nicht gibt.

Ist man erst einmal bereit, etwas für existent zu halten, was wissenschaftlich widerlegt ist, dann ist das ein perfekter Einstieg in weitere Verschwörungsideologien. Das zeigt sich perfekt an der Beliebtheit der Anthroposophie in der antisemitischen und wissenschaftsfeindlichen „Querdenken“-Bewegung (hier unser Bericht von der antifaschistischen Gegendemo in Kassel).

Wenn nicht einmal mehr geleugnet wird, dass es für die eigene Aussage keine wissenschaftlichen Nachweise gibt, sondern das schlicht egal ist, laufen wir auf eine extrem schädliche Form des postfaktischen Gesellschaft zu. Leider sieht es ganz so aus als würde genau das passieren und als sei die Anthroposophie in zehn oder 20 Jahren vielleicht sogar noch verbreiteter als heute.

Was können wir also tun, um sie zu bekämpfen?

Aufklären. Die Aufklärung ist der Feind der Anthroposophie, hat sie sich ja schließlich selbst dem Kampf gegen den „Rationalismus“ verschrieben. Verbreitet dazu gerne diese Podcast-Episode. Wer auf dem Gebiet der Aufklärung ganze Arbeit leistet, ist der Anthroposophie.blog, auf Twitter als @AnthroBlogger. Hier geht es zu seinem Blog. Viel lesen und weiterverbreiten!

Wer möchte, kann auch gerne versuchen, anthroposophische Marken zu boykottieren. Das betrifft beispielsweise

  • Demeter,
  • Alnatura,
  • Weleda,
  • Wala,
  • Rapunzel,
  • Software AG,
  • Mahle,
  • GLS Bank

und leider viele mehr.

Bleibt der Wissenschaft treu. Bis zur nächsten Episode.

Diese Episode war einen Themenwunsch eines unserer Supporter auf Steady. Steady ist eine Plattform, auf der man uns durch monatliche Beträge unterstützen kann und dafür kleine Besonderheiten erhält, etwa die Malzbiertaufe in unserem Podcast oder eben die eigene Episode mit Wunschthema. Die Einnahmen helfen uns, Tools für den Blog oder Equipment zu kaufen, auch unser Podcast-Studio ist bspw. damit finanziert.

Nun aber viel Spaß beim Hören!

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