Wir betreiben keine Autismus Aufklärung. Jason will das nicht sein und ich kann es nicht sein, weil mein Blickwinkel auch nach tausenden von Stunden, die ich mit meinem Sohn über seinen Autismus sprach, noch immer der bin, der ich auch bleiben werde. Ein Elternteil mit Außenansicht. Es wäre vermessen zu beurteilen, wann sich Jason wie fühlt und es wäre unfair zu verurteilen, wann er sich wie verhält. Daher schildern wir meine Wahrnehmung von außen und in seltenen Fällen meine Vermutung zu Jasons Empfindungen oder ich gebe ihn inhaltlich oder sogar wortwörtlich wieder. Wir haben dies so oft wie möglich und so deutlich wie nötig auch auf unserer Lesereise bereits kommuniziert. Das ist uns aber zumindest bei einem Auftritt im Rahmen eines Autismus-Fachtags wohl nicht in vollem Umfang gelungen, so dass sich menschen verletzt fühlten.
In all unseren Geschichten und so auch hier, bei allen Beschreibungen unserer Erlebnisse auf der Lesereise der Wochenendrebellen vorweg vielleicht für alle Angehörigen von Autisten, die hier auch nach Hilfe suchen zur Information. Hier im Blog gilt analog zum Buch:
In vielen Medien wird verantwortungslos Autismus als dauerhafte Negativ-Metapher genutzt und so sehen wir uns in Anbetracht des vorhandenen gesellschaftlichen Bildes mittlerweile vielleicht als Botschafter zu zeigen, dass diese monothematische Hervorhebung von nicht einmal allgemein gültigen Schwächen oder Einschränkungen genauso ein Unsinn ist, wie dieses Bild des autistischen Genies oder noch schlimmer, wenn man auf der Gebrüder Grimms Pfaden wandelt und autistische Inder als Engelskinder mit außergewöhnlichen Fähigkeiten ansieht.
Autismus ist keine Gabe und nicht heilbar und auf der Suche nach Fakten zum Thema Autismus sollte man Seiten und Organisationen, die Heilung versprechen oder Drill-Methoden anbieten weiträumig vermeiden. Wir möchten „Autist sein“ nicht allgemeingültig erklären, was auf Grund der Vielfalt auch gar nicht möglich wäre, wir möchten aber zeigen was Autismus eben auch nicht zwingend sein muss. Ein Leiden.
Ob jemand unter Autismus leidet entscheiden weder wir für Autisten allgemein, noch ich für Jason. Das vermag nur jeder Autist selbst zu beurteilen und Jason hat dort seine Sicht der Dinge in unserem Buch ebenfalls recht unmissverständlich für sich ganz persönlich geschildert.
„Gäbe es ein Medikament, mit dem man das Asperger-
Syndrom »heilen« könnte, müsste ich nicht lange
überlegen, um zum Schluss zu kommen, es nicht zu
nehmen. Das liegt daran, dass das Asperger-Syndrom
Behinderungen, aber auch Vorteile beinhaltet. Das Behindernde
an den Behinderungen ist nicht die Behinderung
selbst, denn ein Problem entsteht erst, wenn
andere Menschen meine Regeln verletzen, sei es aus
Unwissenheit, aus Desinteresse oder aus purer Gemeinheit.
Leider kann ich nicht unterscheiden, ob jemand gemein zu mir sein will
oder vielleicht einfach
vergessen hat, dass ich beispielsweise nicht berührt
werden möchte. Im Gegenzug zu den Behinderungen
gibt es natürlich auch viele Vorteile, ich nenne sie
»Behilflichkeiten«, wie die, dass ich mir Dinge nur für eine
halbe Minute ansehen muss und sie dann nie wieder
vergesse (das kommt mir allerdings nicht immer zugute)
oder dass ich Algorithmen, solange sie geordnet
sind, sehr schnell erfasse und verstehe. Schwierig wird
es natürlich, wenn etwas anders läuft als geplant“
Auszug aus Jasons Einleitung zu „Wir Wochenendrebellen
Wenn wir im in unseren Geschichten, im Buch oder im Podcast über Autismus sprechen, dann sprechen wir über Jasons Autismus, nie allgemeingültig für oder über Autisten. Jasons Autismus bestimmt sein Handeln, sein Denken sein Tun, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Jason lebt mit seinem Autismus als elementaren Bestandteil seiner Persönlichkeit, den er wertschätzt und er ist sehr glücklich so wie es ist.
Wir auch.
Das Netz ist voll von Artikeln über Autismus, doch ein Großteil der Beiträge ist sehr defizitorientiert, was in unserer Wahrnehmung als Eltern diese nicht sichtbare Behinderung mit einem falschen Bild in der Gesellschaft prägt.
Jason zum Beispiel nimmt alles wortwörtlich. Er liest nicht zwischen den Zeilen, er interpretiert nicht meine Aussagen, sondern er nimmt mich beim Wort. Als ich ihn während eines großen Streites anschrie, ich glaube ich stünde im Wald, antwortete er recht sachlich, fast gelassen, dass dem nicht so sei, dies wäre schließlich sein Zimmer und hier gäbe es ja nicht einmal Bäume.
Auch seine Kommunikation ist sehr direkt und es entfällt die teils mühselige Interpretation. Ich kann mich auf seine Aussagen zu 100% verlassen. Das ist insbesondere in der Phase, wo bei uns das Pflegen unserer Beziehung, das Aufrechterhalten einer Erziehung ersetzte, von unschätzbarem Wert gewesen.
Er ist über dies hinaus unglaublich konsequent. Er versorgt sich mit Fakten, macht sich ein Bild und trifft Entscheidungen, die er leidenschaftlich vertritt und er bewahrt Haltung auch wenn er spürt, dass seine Sicht der Dinge eher unpopulären Anklang in seinem Umfeld findet. Das kann als Elternteil, als Schwester, als Lehrer oder als zufälliger gesellschaftlicher Kontakt sehr schmerzhaft, unangenehm und überfordernd sein, sei es auf Grund seiner brutalen Direktheit oder auch wegen seines Mangels an Interesse andere Meinungen betreffend. Er betreibt Autismus-Aufklärung für sich ganz persönlich ohne diesen von seiner Persönlichkeit zu trennen und das macht er ganz großartig.
Jason lügt nicht, fast würde ich sagen wollen, er kann es nicht, was gepaart mit seiner schonungslosen Offenheit zu skurrilen Situationen führt. Wenn ich ihm sage, er soll sich mal bei seinen Großeltern melden und ihm erkläre, dass Sie sich bestimmt freuen, was von ihm zu hören, dann ruft er sie sofort an. Wenn Oma sich dann erwartungsgemäß über den Anruf freute und glücklich fragte, was es Neues gibt oder warum er angerufen hat, dann antwortete er, dass er anrufe weil ich gesagt habe er solle sich mal bei Oma und Opa melden.
Aber selbst in intensiven, ausgeprägten Momenten kann ich in seiner Konsequenz, Ehrlichkeit, Geradlinigkeit, seinem moralischen Empfinden und seiner sehr strikten Haltung kein Defizit erkennen. Ich möchte dies nur für die sprachliche Ausrichtung dieses Blogs als Kontext liefern. Das soll und darf niemals darüber hinwegtäuschen, dass wir nicht ohne Grund von einem Autismus-Spektrum sprechen.
Ganz im Gegenteil. Das soll alles nicht über Schwierigkeiten und Defizite hinwegtäuschen, aber man gesteht uns glücklicherweise zu, dass wir gemeinsam selbst entscheiden welchen Einblick wir gewähren, weil wir dies vielleicht für hilfreich halten, sei es für uns selbst oder für auch für andere Eltern von autistischen Kindern oder eben auch für Autisten selbst, die sich mit Jasons Aussagen, Handlungen und Ansichten vielleicht besser identifizieren können.
Wir können vielleicht manchmal Beispiel sein ohne Vorbilder sein zu wollen, denn wenn ich im Kontext Autismus-Aufklärung etwas gelernt habe in den letzten Jahren, dann sicherlich, dass es oftmals nicht so ist, wie es scheint und so braucht moderne Aufklärung rund um das Thema Autismus vielleicht auch genau so unkonventionelle Wege, wie wir sie im Alltag gehen um miteinander klar zu kommen.
Wer sich für Autismus-Aufklärung interessiert, dem möchten wir unsere separate Seite Autistic Voices ans Herz legen. Wir werden versuchen dort Menschen zu Wort kommen zu lassen, die Autismus-Aufklärung betreiben und die es können, weil sie aus der Innensicht urteilen. Aussagen von Autisten selbst zum Thema Autismus einer höheren Gewichtung zu geben als der Aussage eines Menschen mit erlerntem Wissen zu Autismus ist grundsätzlich ratsam.