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Berlinreise

Berlinreise. Eine Art Weihnachtsgeschenk. Eine Reise nach Berlin mit der gesamten Familie um einen Aufzug zu besichtigen ausgerechnet an dem Tag an dem der Abstieg meiner Düsseldorfer Fortuna besiegelt wurde.

Die Lektüre dieses Blogposts bildet Dich weiter.

Die Lektüre dieses Blogposts macht mich ein wenig traurig.

Die Lektüre dieses Blogposts bricht eine Lanze für brasilianische Steuerberater.

Die Lektüre dieses Blogposts hat mich Kraft gekostet und verschafft mir sicherlich nicht nur Freunde.

Trotz Moa des Drachens und meinen (Fast)-Tränen im Olympiastadion und trotz der Tatsache, dass Sohnemann grausam zuschlug und die ersten beiden Vereine im Rahmen unseres Projektes aus dem Rennen warf bin ich der festen Überzeugung: Die Lektüre dieses Blogposts bildet Dich weiter.

Auch wenn es vielleicht nur dazu langt, dass du Dich demnächst erfreuen kannst, wenn du Dein großes Geschäft verrichtest, ohne fieseste Schmerzen am Rektum zu verspüren. Aber eins nach dem andern.

Die Reise stand ein wenig unter dem Motto: Wochenendrebellen-Sonderausgabe – Special Edition-Extended Version, oder wie Sohnemann sagt: „Zählt nicht. Berlin? Müssmanochma.“Alles war anders. Nun ja, fast alles.

Statt wie ursprünglich geplant am Freitag, düsten wir am Samstag in der Früh los gen Berlin um dort mit der gesamten Familie ein nettes Wochenende zu verbringen. Die „Special Edition“ ist ein wenig meiner Faulheit geschuldet, sich zu Weihnachten intensiv Gedanken um Geschenke zu machen, so dass wir jedes Jahr meine Eltern, sowie meine Schwester und ihren Mann mit ihrem Sohn zu einem Wochenende einladen. Dieses Mal nun sollte es nun die Hauptstadt sein und so entschieden wir vor einigen Wochen, dies mit dem Besuch der Berliner Hertha zu verbinden. Die separate Anreise von Sohnemann und mir  verlief unproblematisch und er verhielt sich in Erwartung der Highlights, die ihn erwarteten und die er bereits kannte (Brandenburger Tor und Aquadome) vorbildlich. Unglücklicherweise waren wir nicht die einzigen mit der Idee, einen kleinen Ausflug zu unternehmen und die Bahn als Verkehrsmittel zu nutzen. Aber nach Ankunft des Viehtransportes in Berlin schwand die schlechte Stimmung (bei mir – Sohn fand es total lustig, im Gang zu sitzen) wie im Flug.

Kaum in Berlin im Hotel eingecheckt, schickten wir die Mädels zum shoppen, während wir uns in einem Moabiter Dönerladen an einen Fernseher klebten, um über einen türkischen Liveticker die Bundesligageschehnisse zu verfolgen. Ein unwirkliches Szenario. Die finalen Resultate sind bekannt und hatten dementsprechend Auswirkung auf diverse Gemütszustände.

Sohn hatte Hoffenheim schon vor einigen Wochen als potentiellen Projektsieger aussortiert. In der Schule ist dieser Verein völlig unten durch. 7-jährige dissen sich gegenseitig mit: „Hoffenheimer“, als würde es sich um ein Schimpfwort handeln. „Alle behindert in Hoffenheim – alles Vollidioten.“ Wohlgemerkt, wir reden hier über Schüler der 2.Klasse. Keiner der Jungs konnte mir so richtig erklären wieso, weshalb, warum, aber alle waren sich einig (auch in der Wortwahl): „Die sind einfach Scheiße.“

Ich stehe dieser Einstellung und den vermutlich jeweils väterlicherseits indoktrinierten Pflichtpositionen diesen Verein betreffend eher kritisch gegenüber. Unabhängig von den Schnittmengen, die zum Beispiel auch der VfL Wolfsburg mit der TSG Hoffenheim gemein hat, reden wir von einem Projekt, welches sicherlich auf Hoppschen Privatmillionen basiert, für mich aber keinesfalls den heftigen Umgang mit der Mannschaft rechtfertigt. Mir ist das im Bezug auf Hoffenheim ein wenig viel schwarz-weiß, wenn gleichzeitig vielleicht andere Vereine separat-solidarische Kohle vom Fernsehsender erhalten und Stadien in völlig unterschiedlicher Art und Weise von Stadt und Land mitfinanziert werden und somit ein eindeutiger Wettbewerbsvorteil entsteht. Alle etablierten Vereine hatten lange genug Zeit, sich einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Vereinen aus der Konserve zu verschaffen. Einen Bundesligastammplatz, der nur der Tradition geschuldet ist? Das will niemand. Tradition ist wichtig, darf aber nie die einzig gültige Fahrkarte für den Profifußball sein.

Vermutlich schreien als nächstes die Anhänger der Vereine mit geräuberten Jugendabteilungen. Mein Gott, dann schenkt denen doch das Vertrauen und setzt die Spieler auch ein. Auch da ist mit meinem Mitgefühl nicht zu rechnen. Ich glaube, dass das Hoffenheimer Projekt durchaus eine Bereicherung für die erste oder zweite Liga sein kann. Ein Trainer, der den Mut hat, einen Spieler wie Niklas Süle in den entscheidenden Abstiegsendspielen zu bringen, wird weiteren talentierten Juniorenspielern dauerhaft Einsatzzeiten verschaffen. Dies gilt für mich, so lange sie den ursprünglich gewählten Ansatz konsequent verfolgen und überwiegend junge Spieler – aus welcher Region auch immer – einsetzen.

Natürlich kotzt es mich trotzdem an, wenn der Verein in der Lage ist, in der Winterpause mal eben 10 Millionen in Neueinkäufe zu investieren, aber hat einer dieser Einkäufe die TSG gerettet? Eher nicht. Aber warum soll ich mich über 30 Mio. Spieleretat in Hoffenheim aufregen, wenn in Wolfsburg, ohne jegliche Form der verhältnismäßigen Refinanzierung, die dreifache Summe verballert wird?

Nein, man hat sich in Hoffenheim gerade noch rechtzeitig besonnen, was man eigentlich ursprünglich vorgesehen hatte, und hat verdient die Klasse erhalten.

Nicht, dass ich missverstanden werde. Ich mag Hoffenheim nicht sonderlich und nur wenige wären glücklicher gewesen, wenn es sie anstatt der Fortuna erwischt hätte, aber man muss auch nüchtern betrachtet festhalten, dass sowohl Hoffenheim als auch Augsburg den Düsseldorfern insbesondere spielerisch überlegen waren. Klar könnte ich jetzt rumheulen, was die Dortmunder Borussen da am letzten Spieltag geleistet oder auch nicht geleistet haben, aber ich hätte es meinem Herzverein auch nicht übel genommen, einfach mal ein paar Spiele zu gewinnen. Zu Hause gegen Nürnberg, Bremen, Augsburg, Hoffenheim…

Ich bin über den Düsseldorfer Abstieg nicht sonderlich erschrocken oder enttäuscht. Natürlich hatte ich auch nach der Hinrunde gehofft, man könne sich einen Platz im Mittelfeld sichern, aber in Anbetracht der Etatlage ist ein Abstieg der Düsseldorfer nur logisch, auch wenn er vermeidbar gewesen ist. Man muss sich im Nachhinein durchaus einmal mit der Frage beschäftigen, welches Zeichen man gegenüber den Hinrunden-Helden mit fünf Neueinkäufen in der Winterpause gesetzt hat.

Aber wer weiß? Mit Rensing ist ein guter Anfang gemacht und nach der Trennung von Meier, die ich zwar nicht für sinnvoll halte, ist aber wohl ein Strategiewechsel möglich. Und Büskens stand zumindest für offensiv ausgerichtete, spielstarke Teams, ich nehme ihm eine Identifikation mit der Fortuna ab und er war mitverantwortlich für den verdientesten Aufstieg in die 1. Fußballbundesliga der letzten Jahrzehnte.

Hoffenheim, und darüber kamen wir, ist also für Sohnemann das erste Team (verdammte Chronologie), welches aus dem Projekt fliegt. Interessanter- und zufälligerweise auch das Team, welches wir auf unseren Reisen bisher am häufigsten gesehen haben.

Schenken wir dem Gastgeber vor Spielbeginn noch ein wenig mehr Aufmerksamkeit. Der Rest der Family hatte sich für ca. 14:30 Uhr angesagt, so dass Sohnemann und ich noch etwas Zeit am Berliner Hauptbahnhof verbrachten. Für mich bestätigte sich wieder einmal mehr, dass Berlin eine der würdigsten Hauptstädte ist. Barcelona ist schöner als Madrid, Istanbul schöner als Ankara und Paris ist… Mist. Dekadent und schmutzig.

Aber trotzdem ist auch Paris wohl die würdigste Hauptstadt Frankreichs. Bezüglich Berlin beurteile ich dies übrigens völlig unabhängig von der Historie. Vielleicht ist es der Größe geschuldet, aber bisher habe ich in keiner Stadt, auch außerhalb unserer Touren, immer wieder dieses hohe Maß an Toleranz einhergehend mit einem intensiv ausgelebten

Exhibit… Exibizio… , äh, Ausdruck von Individualismus genossen. Der Zugführer, der stilecht zwei Zöpfe in seinem Vollbart trug, sächselte zwar, wünschte uns viel Spaß, bevor sehr, äh …. interessante Gestalten in hoher Anzahl unseren Weg kreuzten. Sohn genoss es außerordentlich, die Menschen zu beobachten.

„Ich mag Menschen, die anders aussehen“

Mehr und mehr beschäftigt es ihn, dass er anders war. Nicht WEIL er anders war, sondern weil er es erstmals bemerkte , dass er eventuell anders ist. Bei Asperger-Autisten liest man häufig vom „Wrong Planet Syndrome“, eine, wie ich aus den Gesprächen mit Sohnemann raushöre, vortreffliche Beschreibung des eigenen Standpunkts.

Man stelle sich vor, mein Sohn läuft splitterfasernackt, nur mit einer gelben Schleife im blau gefärbten Haar, David –Hasselhoff-Songs singend, über den Kudamm.

Sohnemann würde sich in diesem Moment vermutlich lediglich darüber mokieren, dass die anderen völlig verrückt gekleidet sind, wäre enttäuscht über die fehlenden Schleifen und würde es äußerst ungewöhnlich finden, dass niemand singt. Wen interessiert schon Wahrscheinlichkeitsberechnung. Ich bin der einzig normale Mensch, umgeben von Verrückten.

Eine wunderbare Vorstellung, die es mir oft erleichtert, mit seiner Situation klar zu kommen. Und manchmal glaube ich sogar, er hat Recht. Es ist wie ein Blick in die Matrix, hinter die Fassade der Menschen, und Sohnemann nimmt mich an die Hand und zeigt mir die reale Welt. Vielleicht ist dies alles gar nicht mein Projekt oder unser Projekt.

Manchmal glaube ich, es ist sein Projekt. Hier geht es zum zweiten Teil unserer Berlinreise.

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