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Charlie Kirk, Pepe, Nick und die Groypers

Sammlung rechtsextremer Tweets mit Drohungen nach Charlie Kirks Tod

„Natürlich kenne ich Charlie Kirk”, sagte meine Tochter, als ich ihr nahelegen wollte, in den nächsten Tagen Social Media lieber zu meiden. Ihre politischen Interessen sind überschaubar – umso mehr überraschte mich ihr Wissen. Wie kann es sein, dass meine 14-jährige Tochter einen Rechtsextremisten kennt, der mit menschenfeindlichem, rassistischem und antidemokratischem Aktivismus Millionen junge Menschen radikalisierte, mit Hasskampagnen gegen Minderheiten und politische Gegner*innen hetzte und gezielt faschistische Narrative in die gesellschaftliche Debatte trug?

Das Attentat und seine digitale Wucht

Am 10. September 2025 wurde Charlie Kirk während einer Veranstaltung seiner „American Comeback Tour” an der Utah Valley University vor laufenden Kameras erschossen. Das Video des Attentats verbreitete sich mit einer Geschwindigkeit, die selbst für Social-Media-Verhältnisse außergewöhnlich war: Millionen Aufrufe binnen Stunden, geteilte Ausschnitte des Kugeleinschlags, Kommentarschlachten und Hashtags dominierten X , TikTok und Instagram.

Was besonders beunruhigt: Die Geschwindigkeit, mit der sich nicht nur die Nachricht, sondern auch die dazugehörigen menschenverachtenden Versatzstücke verbreiteten. Das zeigt wie durchlässig die digitalen Grenzen zwischen Mainstream und extremistischen Subkulturen geworden sind. #dankedonald

Täterprofile, Narrative und ideologische Zuweisungen können sich fern jeder Realität binnen Stunden im Netz verfestigen – ein Prozess, den extremistischer Online-Aktivismus längst perfektioniert hat.

Gefördert wurde dieses treibende Framing auch noch an Fehlinterpretationen von Springer-Medien wie Welt und Bild, die auffällig bereitwillig an der Fehlinterpretation von Memes festhielten, die auf den am Tatort gefundenen Patronenhülsen eingraviert waren. Sie konstruierten daraus zunächst ein Täterprofil eines antifaschistischen trans Menschen. Damit machten sich auch Springer-Medien mitschuldig an dem, was folgte: Von Aufrufen zum Bürgerkrieg und zur Verhaftung aller demokratischen Politiker*innen über Gedankenspielen zur Bombardierung demokratischer Städte durch die Airforce bis hin zur offenen Anstiftung zum Genozid an trans Menschen durch den einflussreichen rechtsextremen Podcaster Joey Mannarino:

“If the person who killed Charlie Kirk was a transgender, there can be no mercy for that species any longer. We’ve already tolerated far too much [from] those creatures”

Um das zu verstehen, muss man ihnen nur zuhören, der radikal antisemitische und sexistische Blogger Matt Forney sagte selbst: „Die Ermordung von Charlie Kirk ist der amerikanische Reichstagsbrand“. Der Reichstagsbrand diente der NSDAP 1933 als Vorwand, die Weimarer Verfassung durch die Reichstagsbrandverordnung außer Kraft zu setzen, der Weg für die NS-Diktatur und die Verfolgung politischer Gegner*innen durch SA und Polizei war frei. Rechtsextreme Aktivisten planen nun eine online zugängliche namentliche Liste aus etwa 20.000 Personen, die Kirks Tod gefeiert hätten, einstellbar nach Berufstätigkeit und Wohnort und selbst in Deutschland ist es dem menschenverachtenden Mob nicht zu dumm kritische Aussagen zum bisherigen Schaffen von Charlie Kirk brav via Erwähnung auf X (früher Twitter) in die USA zu “melden”.

Wer war Charlie Kirk wirklich?

"I don't care that he's dead."
"He's not a hero."
"He's a scumbag."
"He shouldn't be celebrated."
Charlie Kirk über George Floyd, 
der in den USA von einem Polizisten vor laufender Kamera getötet wurde
Gesellschaft und Geschichte | Charlie Kirk, Pepe, Nick und die Groypers | Charlie Kirk

Charlie Kirk war weit mehr als der „US-Podcaster” oder „Trump-Unterstützer”, als der er in vielen deutschen Medien beschrieben wurde. Diese Verharmlosung verdeckt die wahre Dimension seines Einflusses und seiner Ideologie.

Kirk gründete 2012 im Alter von nur 18 Jahren die Organisation Turning Point USA (TPUSA), die sich schnell zu einer der einflussreichsten rechten Jugendorganisationen der USA entwickelte. Mit einem Jahresbudget von über 100 Millionen Dollar und Aktivitäten an mehr als 3.000 Colleges und High Schools erreichte TPUSA direkt Millionen junger Menschen. Doch hinter der Fassade einer „konservativen Studentenbewegung” verbirgt sich ein systematisches Radikalisierungsprojekt, dass mit seinem Tod auch kein Ende erfahren wird.

Gleichzeitig war Kirk ein Meister der digitalen Manipulation. Seine Organisation wurde vom Southern Poverty Law Center wiederholt als rechtsextrem eingestuft und ihre Nähe zu White Nationalist-Gruppen ist gut dokumentiert. Ja, er war auch Podcaster, Familienvater, weißer Mann und auf dem Weg zum Märtyrer, den man aus ihm machen wollen wird, werden wir noch mehr niedrigschwellige Anknüpfungspunkte von informierten rechtskonservativen und kaum informierten öffentlich-rechtlichen Medien serviert bekommen. Aber eines bleibt dann doch, wenn man die Augen und die Ohren offen hält. Neben dem Erstaunen, wie viel Empathie (Kirk selbst empfand Empathie übrigens als Schwäche) ihm aus der Mitte der Gesellschaft entgegengebracht wird, so ist auch klar, dass kein Tod der Welt dich von den Boshaftigkeiten deines Lebens befreien kann.

Rassistisch, antifeministisch, antisemitisch – die Ideologie des Hasses

Charlie Kirks Strategien und Inhalte liefern ein Lehrbuch für moderne rechtsextreme Mobilisierung. Er bediente sich klassischer Muster des White Nationalism, indem er behauptete, weiße Amerikaner würden systematisch „ersetzt” und ihre Rechte beschnitten. Er behauptete, demokratische Einwanderungspolitik sei bewusst darauf gerichtet, „die weiße Demografie zu verringern”. Diese „Great Replacement”-Verschwörungstheorie, die auch bei Attentätern wie dem Schützen von Christchurch eine zentrale Rolle spielte, durchzog viele seiner Reden und Social-Media-Posts.

Ein unverzichtbares Element dieser Ideologie ist auch ein selbstmitleidstriefender und zugleich hochaggressiver, meist pro-natalistischer, Antifeminismus. Über das Argument der Geburtenraten wird eine Verbindung vom Antifeminismus zur völkischen Ideologie geschaffen, denn die niedrigen Geburtenraten der weißen Bevölkerung seien politisch gewollt und durch den Feminismus herbeigeführt, um die weiße Bevölkerung ersetzen zu können. Dies steht im Einklang mit den Warnungen Elon Musks, der den Geburtenrückgang als die größte Gefahr für die menschliche Zivilisation bezeichnete. Es beginnt vielleicht mit einem Rezept auf einem Tradwife-Account und endet im “demographischen Krieg”, in dem Kinderkriegen der Kampf gegen die linken Eliten ist: “We will outbreed them”, sagte Kirk.

Besonders perfide war Kirks Umgang mit wissenschaftlichen Erkenntnissen. Er leugnete die menschengemachten Klimakrise, verbreitete Desinformationen über Impfungen und stellte demokratische Institutionen grundsätzlich in Frage. Dabei nutzte er geschickt Halbwahrheiten und aus dem Kontext gerissene Statistiken, um seine Narrative zu stützen.

Seine Hasskampagnen richteten sich systematisch gegen verschiedene Gruppen: LGBTQIA+-Personen wurden als „Bedrohung für die Familie” dargestellt, Einwanderer als „Invasoren” und progressive Politiker als „Verräter am amerikanischen Volk”. Diese Entmenschlichung ist ein klassisches Muster faschistischer Bewegungen und bereitet Gewalt vor. Kirk äußerte sich auch antisemitisch, so bezeichnete er Abtreibungen als schlimmer als den Holocaust und behauptete nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel, “die Juden” würden nicht nur “die Hochschulen”, sondern auch “gemeinnützige Organisationen, die Filmindustrie, Hollywood, einfach alles” kontrollieren.

Kirks Rhetorik war dabei nie zufällig oder impulsiv. Seine Organisation TPUSA verfügte über professionelle Kommunikationsteams, die Botschaften gezielt für verschiedene Zielgruppen aufbereiteten. Was in akademischen Kreisen als „gemäßigt konservativ” verkauft wurde, erschien in anderen Kanälen als offen extremistische Propaganda.

Die Groypers: Nick Fuentes und seine Bewegung

Um die digitale Radikalisierungslandschaft zu verstehen, in der sich auch deutsche Jugendliche bewegen, muss man die „Groypers” und ihren Anführer Nick Fuentes kennen. Der Begriff „Groyper” leitet sich von einer Variante des Internet-Memes „Pepe the Frog” ab, einem ursprünglich harmlosen Cartoon-Frosch, der von rechtsextremen Kreisen als Erkennungszeichen und Kommunikationsmittel gekapert wurde.

Nick Fuentes, ein Holocaust-Leugner und White Supremacist (bekannt für den prägenden Slogan „Your body, my choice. Forever.“), führt eine Bewegung von überwiegend jungen Männern an, die sich als „America First Groypers” bezeichnen. Fuentes war beteiligt am rechtsextremen Aufmarsch in Charlottesville 2017 und auch am Putschversuch 2021 und seine Gruppe hat es sich zum Ziel gesetzt, die konservative Bewegung in den USA weiter nach rechts zu treiben und dabei Akteure wie Kirk als zu „gemäßigt” anzugreifen. Paradoxerweise nutzten sie oft Kirks eigene Veranstaltungen, um ihre noch extremeren Positionen zu verbreiten.

Die Groypers operieren mit einer perfiden Strategie: Sie nutzen Ironie, Memes und scheinbar harmlose Internet-Kultur, um rechtsextreme Ideologien zu normalisieren und neue Anhänger zu rekrutieren. Ihre „Groyper Wars” – koordinierte Aktionen, bei denen sie konservative Veranstaltungen infiltrierten – zeigten, wie effektiv diese Taktik ist. Fuentes räumte diese Taktik auch öffentlich transparent ein.

Die Bewegung zielt gezielt auf Jugendliche ab, die über Gaming, Meme-Kultur oder allgemeine Unzufriedenheit ansprechbar sind. Durch die Verbindung von Pop-Kultur-Referenzen mit extremistischen Inhalten schaffen sie Einstiegswege in die Radikalisierung, die von außen schwer erkennbar sind. Auch hier ist Antifeminismus der rote Faden: Fuentes selbst bezeichnet sich als “Incel”, was für “Involuntary Celibate” steht, eine misogyne Internet-Subkultur heterosexueller Männer, deren Anhänger sich in ihrer Einsamkeit zugleich als Opfer des Feminismus narzisstischer und bösartiger Frauen – im Incel-Sprech „Female Humanoids“ genannt – betrachten, zugleich aber eine natürliche männlicher Hegemonie beschwören.

Diese gefährliche Mischung aus Selbstmitleid und Chauvinismus erklärt misogyne Gewalt zur legitimen Selbstwehr und führte immer wieder zu Terroranschlägen, etwa der Amokfahrt in Toronto 2018 mit zehn Toten, die der Täter als “Incel Rebellion” bezeichnete. Auch Charlie Kirk beklagte die übertriebenen Erwartungen, die Frauen heute an männliche Partner hätten, ein klassischer Incel-Standpunkt.

Narrative der Incel-Bewegung haben es durch unkritische mediale Berichterstattung bis weit in den Mainstream geschafft, etwa die oft diskutierte “Male Loneliness Epidemic”, die zunehmende Einsamkeit junger Männer, die keine Partnerin mehr finden würden. Tatsächlich ist Einsamkeit laut WHO ein globales Gesundheitsproblem, doch eine geschlechtsspezifische stärkere Betroffenheit von Männern ist ein Mythos, das Problem zieht sich durch alle Geschlechter und betrifft Frauen im Schnitt stärker als Männer.

Pepe der Frosch: Vom Meme zum Hasssymbol

Die Geschichte von „Pepe the Frog” illustriert perfekt, wie Internet-Kultur von extremistischen Gruppen gekapert werden kann. Ursprünglich 2005 vom Künstler Matt Furie als harmloser Cartoon-Charakter erschaffen, wurde Pepe zunächst zu einem beliebten Meme in Online-Communities wie 4chan und Reddit.

Doch ab 2015 begannen rechtsextreme Gruppen, Pepe systematisch für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Sie erstellten Varianten des Froschs mit Nazi-Symbolen, rassistischen Botschaften oder in SS-Uniformen. 2016 erklärte die Anti-Defamation League Pepe offiziell zu einem Hasssymbol, eine beispiellose Entwicklung für ein Internet-Meme.

Die „Groyper”-Variante von Pepe, die Nick Fuentes und seine Anhänger verwenden, stellt eine Weiterentwicklung dar. Als pummeliger, grinsender Frosch wirkt der „Groyper” harmlos und wird oft in scheinbar unpolitischen Kontexten verwendet. Doch für Eingeweihte fungiert er als Erkennungszeichen und Rekrutierungsinstrument. “Dog whistle” nennt man sowas, denn wie eine Hundepfeife bleibt die eigentliche Botschaft für einige nicht hörbar, erreicht aber diejenigen, die sie erreichen soll.

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Die rechtsextreme Szene ist voll solcher Kennzeichen: Wer von “Globalist*innen” spricht, meint jüdische Menschen, die Zahl “217k” nutzen Holocaust-Leugner*innen für die Behauptung, die Nazis hätten nicht sechs Millionen, sondern höchstens einige hunderttausend jüdischer Menschen ermordet, ein Kugelschreiber wird zum Symbol der Behauptung, Anne Franks Tagebuch sei gefälscht, und eine Kiwi repräsentiert die transfeindliche Irrlehre der Zweigeschlechtlichkeit des Menschen.

Diese Entwicklung zeigt, wie geschickt rechtsextremistische Gruppen vorgehen: Sie nehmen vertraute kulturelle Symbole und laden sie mit neuen, radikalen Bedeutungen auf. Dadurch können sie ihre Botschaften tarnen und gleichzeitig Gemeinschaft unter Gleichgesinnten schaffen. Dies macht komplexe Ideologien zugänglich, schafft Gruppengefühl und bietet Möglichkeit zur Partizipation. Wer ein „Pepe”-Meme teilt oder „Based” kommentiert, signalisiert Zugehörigkeit, oft ohne die ideologischen Hintergründe vollständig zu kennen.

Debattenformate als Propagandawaffe

Ein zentrales Element von Kirks Strategie waren seine vermeintlichen „Debattenformate” an US-amerikanischen Colleges. Diese als „Change My Mind” beworbenen Veranstaltungen suggerierten offenen Dialog, dienten aber primär der Demütigung politischer Gegner*innen und der Produktion viraler Inhalte. Man findet diese Strategie auch in Deutschland in diversen Reden von Politikern rechtsextremer Parteien in Deutschland in denen es im Schwerpunkt um das Setzen von kompakten Talking Points im snackable Social-Media Format mit hohem Empörungspotential geht und eher selten um einen wirklichen Debattenbeitrag.

So, weil das jetzt seit Tagen in mir wurlt. Leute, die behaupten, Charlie Kirk sei immerhin an Unis gegangen um die Diskussion mit der anderen Seite zu suchen, sagen damit nur eins:"Ich habe keine Ahnung, wie Politaktivismus in den USA funktioniert." Ein Thread. 1/X

Roter Bär (@roterbaer.bsky.social) 2025-09-13T18:05:35.476Z

Kirks Methodik war dabei hochprofessionell und manipulativ:

Gezielte Auswahl der Gesprächspartner*innen: Kirk suchte sich bewusst junge, oft unvorbereitete Studierende aus, die emotional auf seine Provokationen reagierten. Erfahrene Debattierer*innen oder Expert*innen wurden gemieden.

Rhetorische Tricks: Er unterbrach seine Gesprächspartner systematisch, setzte auf schnell vorgetragene Standardargumente und nutzte „Gotcha”-Momente, um Schwächen zu inszenieren. Komplexe Sachverhalte wurden durch Cherry-Picking und Halbwahrheiten extrem vereinfacht.

Framing und Suggestivfragen: Kirk arbeitete mit stark suggestiven Fragen und einseitigen Narrativen, um linke oder „woke” Standpunkte von vornherein als lächerlich erscheinen zu lassen.

Content-Produktion für Social Media: Die eigentliche Debatte war nebensächlich, der Ausgang völlig irrelevant – wichtig waren die kurzen, pointierten Clips, die später auf verschiedenen Plattformen verbreitet wurden. Diese zeigten Kirk stets als überlegenen „Sieger” und seine Gesprächspartner als emotional, ahnungslos oder aggressiv.

Diese Strategie war extrem erfolgreich: Millionen von Jugendlichen konsumierten diese Clips, ohne den manipulativen Kontext zu erkennen. Sie sahen einen selbstbewussten jungen Mann, der scheinbar mühelos „linke Ideologie” widerlegte – ein mächtiges Rekrutierungsinstrument für die Rechte. Ein zentraler Aspekt dieses Erfolgs war die Normalisierung extremer Positionen durch ihre Einbettung in scheinbar alltägliche Kontexte. Seine Shows wirkten wie normale Talkshows, seine Social-Media-Posts wie gewöhnliche politische Meinungsäußerungen. Doch hinter dieser Fassade verbargen sich systematische Angriffe auf demokratische Grundwerte.

Auch hier braucht es aber nicht zwingend einen Blick über den großen Teich, denn viele rechte Youtuber , wie Ketzer der Neuzeit, Weichreite oder auch Charlotte Corday aus der extrem rechten Frauengruppe “Lukreta” bedienen sich seit Jahren an den o.g. Taktiken.

Mediale Verantwortung und Verharmlosung

Nach Kirks Tod war die internationale Resonanz in rechtsextremen Kreisen bemerkenswert. Deutsche Accounts übernahmen sofort US-amerikanische Verschwörungserzählungen, verbreiteten antisemitische Interpretationen des Attentats und nutzten Kirks Tod zur Mobilisierung gegen „die Linken”. Auch die CDU-Politikerin Caroline Bosbach geriet in die Kritik, als sie zunächst einen Beitrag postete, der Kirk als „Brückenbauer” darstellte, bevor sie ihn nach Protesten wieder löschte.

Diese schnelle internationale Vernetzung zeigt, wie durchlässig die Grenzen zwischen nationalen extremistischen Szenen geworden sind. Memes, Codes und Narrative zirkulieren in Echtzeit zwischen verschiedenen Ländern und Sprachen. Deutsche Jugendliche konsumieren US-amerikanische Inhalte, ohne immer deren ideologischen Hintergrund zu erkennen.

Dem entgegenzuwirken, braucht echte journalistische Verantwortung, Kirks extremistische Positionen nüchtern zu benennen und einzuordnen. Neben den “Medien”, die sich offenbar gerne zu Kompliz*innen der MAGA-Bewegung machen, gibt es noch diejenigen, die in absoluter Ahnungslosigkeit über Internetgeschichte und -kultur schreiben und damit massiven Schaden anrichten. So wird dann etwa die Gravur “Oh bella ciao bella ciao bella ciao ciao ciao” auf der Munition als Indiz für eine antifaschistische Einstellung herangezogen, obwohl diese ursprünglich antifaschistische Partisanenhymne in der rechten Internetkultur längst eine Umdeutung als ironisches Meme erhalten hat.

Es reicht nicht, über spektakuläre Ereignisse wie Attentate zu berichten. Die alltäglichen Mechanismen der digitalen Propaganda, die Wirkweise von Memes und die schleichende Normalisierung faschistischer Positionen müssen ebenso thematisiert werden. Die Algorithmen der großen Social-Media-Plattformen verstärken diese Mechanismen. Wer einmal mit rechten Inhalten interagiert, sei es auch nur durch Neugier oder Widerspruch, bekommt automatisch weitere ähnliche Inhalte vorgeschlagen. So entstehen digitale „Rabbit Holes”, die Nutzer schrittweise radikalisieren können.

Da diese Plattformen inzwischen selbst fest in den Händen rechtsextremer MAGA-Oligarchen sind, müssen wir davon ausgehen, dass dies kein Versehen ist.

Digitale Radikalisierung verstehen

Um zu verstehen, wie meine 14-jährige Tochter Charlie Kirk kennenlernen konnte, müssen wir die Mechanismen digitaler Radikalisierung genauer betrachten. Diese funktioniert heute subtiler und effektiver als je zuvor.

Der Einstieg erfolgt oft über harmlose Inhalte: Gaming-Videos, Memes, Lifestyle-Content oder allgemeine gesellschaftskritische Inhalte. Algorithmen erkennen Interessen und schlagen ähnliche Inhalte vor. Dabei werden die Empfehlungen schrittweise extremer.

Ein Jugendlicher, der sich für Gaming interessiert, bekommt vielleicht Videos über „Gamergate” vorgeschlagen. Von dort führt der Weg zu Inhalten über „Cancel Culture”, dann zu „woke Ideologie” und schließlich zu offen extremistischen Positionen. Jeder Schritt wirkt logisch und nachvollziehbar. Doch am Ende steht eine vollständige Weltanschauung.

Die Radikalisierung erfolgt oft in Gemeinschaft. Online-Communities bieten Zugehörigkeit, Anerkennung und Identität, besonders für junge Menschen, die sich sozial isoliert fühlen. Die rechtsextremistische Ideologie wird als „Insider-Wissen” vermittelt, das nur die „Erwachten” verstehen. Antworten auf komplexe Probleme und ein Gefühl der Überlegenheit gegenüber der „unwissenden Masse”, das kann sehr verführerisch sein.

Gegenmittel und Prävention

Die Erkenntnis, dass extremistische Inhalte auch unpolitische Jugendliche erreichen können, ist beunruhigend, aber nicht hoffnungslos. Es gibt durchaus Strategien, um digitaler Radikalisierung entgegenzuwirken.

Medienkompetenz ist essentiell: Jugendliche müssen lernen, wie Algorithmen funktionieren, wie Manipulation in sozialen Medien erfolgt und wie sie extremistische Inhalte erkennen können. Dies muss fester Bestandteil der Schulbildung werden.

Offene Kommunikation hilft – Schluss mit falscher Neutralität!: Eltern und Pädagog*innen sollten nicht davor zurückschrecken, auch schwierige politische Themen anzusprechen. Auch in der Schule ist gegenüber Menschenfeindlichkeit keine Neutralität gefordert.

Alternative Gegennarrative entwickeln: Statt nur zu kritisieren, müssen demokratische Gesellschaften eigene, attraktive Narrative entwickeln. Die Zukunft einer globalen grünen Transformation mit Fokus auf Gerechtigkeit und Gleichheit kann unglaublich werden, mag sie auch komplexer sein als die Erzählungen der Gegenseite, so ist sie ganz sicher insbesondere für die nächsten Generationen nicht nur attraktiv, sondern die einzige Chance.

X und Meta in die Schranken weisen: Social-Media-Unternehmen müssen stärker in die Pflicht genommen werden. X und Meta haben sich an die Regeln der Europäischen Union zu halten oder müssen in der EU konsequent verboten werden. Eine dieser Regeln: Algorithmen dürfen nicht systematisch rechtsextremistische Inhalte verstärken.

Internationale Zusammenarbeit: Da digitale Radikalisierung grenzüberschreitend erfolgt, müssen auch die Gegenmaßnahmen international koordiniert werden – auch ohne die zu einer Autokratie mutierenden USA.

Die wahre “Gefahr für unsere Kinder”

Das Attentat auf Charlie Kirk markiert nicht das Ende, und vielleicht nicht einmal den Höhepunkt einer Entwicklung, die schon lange im Gang ist: die systematische Radikalisierung von Teilen der Jugend durch digitale Propaganda. Dass meine Tochter Kirk kannte, war kein Zufall. Es war das Resultat eines professionellen Radikalisierungsapparats, der Millionen von Jugendlichen erreicht.

Die Figuren Charlie Kirk, Nick Fuentes und ihre Symbole wie „Pepe” und die „Groypers” stehen exemplarisch für eine neue Form des Extremismus: digital, international vernetzt, kulturell anschlussfähig und dabei hochgradig manipulativ. Sie nutzen die Sprache und Ästhetik der Jugendkultur, um antidemokratische und menschenfeindliche Ideologien zu verbreiten.

Doch die Geschichte zeigt auch: Extremistische Bewegungen sind nicht unaufhaltsam. Sie können gestoppt werden – durch Aufklärung, Bildung, starke demokratische Institutionen und den Mut, extremistische Positionen klar zu benennen und zu bekämpfen.

Die Verantwortung liegt dabei nicht nur bei Politik und Medien. Jeder von uns, der digitale Medien nutzt, trägt Verantwortung für das, was er teilt, kommentiert und verstärkt. Die Frage ist nicht, ob unsere Kinder mit rechtsextremistischen Inhalten in Kontakt kommen werden. Die Frage ist, ob sie dann die Werkzeuge haben, diese zu erkennen und zu widerstehen.

Charlie Kirk ist tot. Das Attentat ist zu verurteilen. Doch seine Ideologie und seine Methoden leben weiter – in unzähligen Nachfolgern, Nachahmern und digitalen Echokammern und in dem Versuch von MAGA ihn zum Märtyrer hoch zu stilisieren. Sie zu bekämpfen, ist eine der zentralen Aufgaben unserer Zeit. Denn es geht um nicht weniger als die Zukunft unserer Demokratie.

Quellenliste: Charlie Kirk und Rechtsextremismus

Wikipedia – Charlie Kirk
https://en.wikipedia.org/wiki/Charlie_Kirk

PBS NewsHour – Conservative Force
https://www.pbs.org/newshour/politics/how-charlie-kirk-helped-shape-a-conservative-force-for-a-new-generation

BBC – Teenage Activist to Trump Ally
https://www.bbc.com/news/articles/c33r4kjez6no

SPLC-Einordnung

Southern Poverty Law Center – TPUSA Case Study
https://www.splcenter.org/resources/reports/turning-point-usa-case-study-hard-right-2024/

Christian Post – SPLC Crosshairs
https://www.christianpost.com/news/charlie-kirk-warned-splc-wants-tpusa-in-the-crosshairs.html

Washington Times – SPLC Laughingstock
https://www.washingtontimes.com/news/2025/may/26/charlie-kirk-dismisses-splc-laughingstock-listing-turning-point-hate/

Groypers und Nick Fuentes

Wikipedia – Groypers
https://en.wikipedia.org/wiki/Groypers

Forbes – What Is A Groyper
https://www.forbes.com/sites/tylerroush/2025/09/13/what-is-a-groyper-nick-fuentes-says-his-followers-framed-in-charlie-kirk-shooting/

Economic Times – Nick Fuentes Spotlight
https://economictimes.com/news/international/global-trends/us-news-after-charlie-kirks-fatal-shooting-spotlight-falls-on-nick-fuentes-and-the-groyper-movement-all-you-need-to-know/articleshow/123867388.cms

ISD Global – Groypers Report
https://www.isdglobal.org/wp-content/uploads/2022/10/Groypers-External-October-2022-1.pdf

Pepe und Hasssymbole

BBC – Pepe Hate Symbol
https://www.bbc.com/news/world-us-canada-37493165

SPLC – Pepe Joins Echoes
https://www.splcenter.org/resources/hatewatch/pepe-joins-echoes-new-hate-symbols/

Bloomberg – Cartoonist Kills Pepe
https://www.bloomberg.com/news/articles/2017-05-09/pepe-croaks-cartoonist-kills-off-frog-turned-hate-symbol

Great Replacement Theory

Immigration Forum – Great Replacement Explained
https://immigrationforum.org/wp-content/uploads/2021/12/Replacement-Theory-Explainer-1122.pdf

New York Times – Charlie Kirk Dead
https://www.nytimes.com/2025/09/10/us/politics/charlie-kirk-dead.html

Attentat-Reaktionen

Time Magazine – This Is War
https://time.com/7316315/republicans-far-right-reacts-charlie-kirk-death-blame-left-crackdown/

New York Times – Political Violence
https://www.nytimes.com/2025/09/10/us/charlie-kirk-political-violence.html

Gazeta Express – Rising Political Violence
https://www.gazetaexpress.com/en/Charlie-Kirk’s-murder-raises-fears-of-increased-political-violence/

Joey Mannarino

Resist.bot – Trans Genocide Calls
https://resist.bot/letters/72a4cd82-8b38-4d87-b494-bf9565fc88d3

Reddit – Mannarino Trans Comments
https://www.reddit.com/r/NoShitSherlock/comments/1n2jmk5/republican_commentator_joey_mannarino_calls_for/

Caroline Bosbach

In-GL.de – Bosbach Post Deleted
https://in-gl.de/2025/09/12/caroline-bosbach-postet-und-loescht-beitrag-ueber-charlie-kirk/

WDR – Bosbach Umstrittener Post
https://www1.wdr.de/nachrichten/kirk-attentat-bosbach-instagram-100.html

n-tv – Bosbach Rudert Zurück
https://www.n-tv.de/politik/Caroline-Bosbach-rudert-nach-Post-ueber-Charlie-Kirk-zurueck-article26029750.html

Dog Whistles

Wikipedia – Dog Whistle Politics
https://en.wikipedia.org/wiki/Dog_whistle_(politics)

Oxford Blog – Dogwhistles Examples
https://blog.oup.com/2024/09/dogwhistles-10-examples-of-disguised-messages/

Reddit – Alt Right Dogwhistles
https://www.reddit.com/r/AntifascistsofReddit/comments/10uprvw/a_glossary_of_lesser_known_alt_right_dogwhistles/

Anne Frank Verschwörung

Anne Frank House – Diary Authenticity
https://www.annefrank.org/en/anne-frank/go-in-depth/authenticity-diary-anne-frank/

NPR – Antisemitic Projection
https://www.npr.org/2023/02/11/1156279273/anne-frank-house-amsterdam-holocaust-antisemitic-projection

Times of Israel – Polish-Canadian Convicted
https://www.timesofisrael.com/polish-canadian-convicted-for-antisemitic-projection-onto-anne-frank-house/

Bella Ciao Umdeutung

Reddit – Tyler Robinson Evidence
https://www.reddit.com/r/thebulwark/comments/1nftiw1/what_evidence_are_you_all_seeing_that_tyler/

Zusätzliche Quellen

Reuters – Kirk Rhetoric
https://www.reuters.com/world/us/charlie-kirks-rhetoric-inspired-supporters-enraged-foes-2025-09-13/

Jerusalem Post – Antisemitism Sparked
https://www.jpost.com/diaspora/antisemitism/article-867251

CNBC – Who Was Charlie Kirk
https://www.cnbc.com/2025/09/11/who-was-trump-ally-and-conservative-influencer-charlie-kirk.html

NBC News – Shooting Suspect Memes
https://www.nbcnews.com/tech/internet/charlie-kirk-shooting-suspect-fascism-memes-bullets-tyler-robinson-rcna230950

Verfassungsschutz – Right-wing Symbols
https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/publikationen/EN/right-wing-extremism/2022-07-right-wing-extremism-symbols-and-organisations.pdf

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