Ich bin ein wenig angesäuert.
Hauptsächlich bin ich wütend auf die DFL und die Vereine, die es noch immer nicht geschafft haben, sich gemeinsam und einheitlich im Rahmen einer „Refugees Welcome“-Kampagne deutlich genug zu positionieren.
Ein aufmerksamkeitsstarkes Zeichen, neben den Willkommensbündnissen, wäre wichtig gewesen.
So kam es den Herren Preetz und Co. teilweise wohl tatsächlich eher gelegen, dass sich die Bild, über den DFL-Partner Hermes, ein Plätzchen auf dem Ärmel der Bundesligavereine sicherte, um sich mit der aktuellen, zeitlich wie immer befristeten Bild-Botschaft, Flüchtlinge wären in Deutschland willkommen, auf Leserfang zu begeben.
Der FC St.Pauli ist es nun, der sich gallieresk dagegen wehrt und am Wochenende auf den „Bild-Hermes-Wir helfen“ Badge am Ärmel verzichten möchte. Das kann man dem Verein gar nicht hoch genug anrechnen. Es bleibt nicht viel übrig von sinnvollen Maßnahmen, klugen Gedanken und effizienten Ideen, unsere Gesellschaft ein wenig besser zu machen, wenn die Zeitung mit dem vermeintlich guten Sportteil es anpackt, durchkaut und ausspuckt. Sobald das Fähnlein einen Wind von rechts aufzeigt, der genügend Kraft hat, die Stimmung wieder zu drehen, dürften Kai und sein Team sich wieder berufen fühlen, die stille Masse auf den rechten Weg zu geleiten.
Versteht mich nicht falsch. Ich bin einer der großen Befürworter der „Wir helfen“-Kampagne der Zeitung. Sie sprach die richtige Zielgruppe, die schweigende Masse, an, die zuvor vielleicht auch kopfnickend und teilweise zustimmend die Zeilen über brennende Unterkünfte las. Die besorgte Zeitung kennt eben die Sorgen der besorgten Bürger. Trotzdem.
Ich fand das im Kern gut, schluckte mein immer wieder hervortretendes Mittagessen einfach mehrfach wieder runter und schwieg dazu. Denn vielleicht half es sogar ein wenig mit, die Stimmung in Deutschland positiv zu beeinflussen. Trotzdem wird dies immer ein Medium bleiben, welches, sofern es auf Grund der Stimmungslage die Wahl hat, die Leser tendenziell eher rechts der Mitte abholt. Man wartet also auf den nächsten guten Moment , wenn die
Gesellschaft sich mit ein paar populistischen Headlines wieder ein Stück weit dazu bringen lässt, dem bösen Ausländer zu zeigen, wie man sich als Deutscher eigentlich zu verhalten hat und welches Meinungsbild man zu vertreten hat. „Bild Dir deine Meinung“ war diesbezüglich übrigens eine der ekelhaftesten aber auch ehrlichsten Marketing-Kampagnen, die ich erleben durfte, wenn man die Kernaussage nüchtern, faktisch betrachtet. Wer sich seine Meinung durch Bild bildet, ist verloren. Das sind Menschen, die wir schützen müssen. Vor sich selbst und vor anderen.
Doch was sich hier nun entwickelt, ist vorhersehbar. Das intensive Einklinken der Zeitung in den Multiplikator Fußball holt vielleicht den ein oder anderen neuen Leser ab, der das Engagement der Zeitung schätzt. Dieser Leser wird dann auch in einigen Monaten die dann aktualisierte Botschaft der Zeitung über die Sozialschmarotzer aus dem Balkan und die uns auf der Tasche liegenden Flüchtlingen aufnehmen und auf widerwärtigste Art und Weise die Stimmung schüren.
Nun gut. Damit muss ich leben. Ich halte die Gesellschaft für stark genug, diesem Müll nicht zu viel Aufmerksamkeit zu schenken, und ich glaube tatsächlich auch, dass es die Zeitung schwer haben wird in den nächsten Jahren. Faktische, ungefärbte Information, vielleicht neutral interpretiert, aber eben nicht taktisch braun eingefärbt, werden in den kommenden Monaten verstärkt Interessenten finden. Dies ist eine journalistische Ebene, die dieses Blatt nicht zu leisten vermag. Das ist eine gute Nachricht in Anbetracht der Tatsache, dass man Wetten abschließen kann, wann die Hetze gegen Asylbewerber wieder anfängt. (Mein Tipp ist März 2016, weitere Tipps gerne in die Kommentare.)
Was uns jetzt bevorstehen könnte, ist eine Richtungsdebatte zum völlig falschen Zeitpunkt, denn die Bild wird dies nutzen um zu erfragen, ob politisch klar positionierte Vereine wie der FC St.Pauli sich das Recht herausnehmen dürfen zu entscheiden, wer Flüchtlingen hilft, vielleicht sogar weiter gesponnen, dass eine Nicht-Teilnahme an der Aktion auch ein kritisches Statement gegenüber #RefugeesWelcome ist und nicht ein Statement gegenüber #Bildnotwelcome.
Was helfen könnte? Weitere Vereine müssten sich dem Boykott anschließen und auch wenn der Zehntausendste Aufruf eines Fans an seinen Verein nicht zu einem konkreten Boykott führt, bin ich sicher, dass geballtes Feedback an Eure Vereine die entsprechenden Verantwortlichen sensibilisieren könnte. Trotz der Sorge, die Zeitung schreibe die Mannschaft und den Trainer demnächst wieder relativ unfundiert in Grund und Boden. Kontaktiert Eure Vereine. Nutzt Twitter, Facebeook, E-Mail, Briefe, Telegramme, Banner am Wochenende, um eure Vereine aufmerksam zu machen.
Ich schätze die dicken Eier des FC St.Pauli, befürchte aber, dass es mit der Reichweite der Bild funktionieren könnte, den FC St.Pauli als ignoranten Quertreiber, der mal wieder eine kultige Extrawurst braucht, darzustellen. Das gilt es zu verhindern, auch wenn es charmant die Gefährlichkeit der Zeitung detailliert und entlarvend darstellen würde, wenn es ihnen beim FC St.Pauli auch nur ansatzweise gelingt, der Öffentlichkeit vorzugaukeln, der FC St.Pauli wäre gegen Flüchtlinge. Alles nur, weil man sich nicht unter den braunen, muffigen Werbemantel der Bild begibt.
Ideen gäbe es übrigens viele. Warum nicht auf allen Homepages der Bundesligisten einen Spendenbutton für ProAsyl platzieren? Warum kein vereinsübergreifendes Merchandising und die kompletten Erlöse gehen an lokale, unterstützenswerte, nachhaltige Projekte innerhalb der jeweiligen Bundesligastadt? Auch ohne die Bild ist mit wenig Aufwand viel möglich. Wahrscheinlich ist aber, dass unsere Empörung wieder einmal mehr in unser aller Filterbubble versauert.
Ansonsten gilt was Max Goldt, der Übersteiger und Andreas Bock in der 11 Freunde sagen.
Ausserdem:
Das BildBlog auch zur Rolle von Hermes.
Andreas Rettig im Kicker mit dem Hinweis, dass es sich um eine freiwillige Aktion handelt.
Bundesliga.de nun auch mit Hermes/Bild Werbung.
Das Hamburger Abendblatt mit der Überschrift: „Darum boykottiert St.Pauli die Flüchtlings-Aktion der DFL“
Die SZ: „St.Pauli will nicht mit der Bild spielen“
Eine Bitte an den VfB Stuttgart. Von Heinz Kamke.
Beim Kiezkicker werden Erinnerungen wach.
@Marinelli wird bei den Blogrebellen etwas deutlicher.
Die Schwarzgelbeecke bezieht Stellung
„Spielt nicht mit den Schmuddelkindern“ von Schwatzgelb.de
Laut Horizont ist die Bild bei den Fans des FC St.Pauli „traditionell nicht gerade wohlgelitten“
„Dafür müsste die Zeitung aber konsequent sein und die Entscheidung des FC St.Pauli akzeptieren.“ Vice Magazin
Thomas Reinscheid auf effzeh.com
Axel vom Bockcast auf dervierteOffizielle.de
Die Stellungnahmen der Vereine Update Stand 18.09.2015, 11:30 Uhr
Die freiwillige Teilnahme wurde abgelehnt von:
1.FC Nürnberg „..wird der Club auf eine besondere Promotion des Medienpartners verzichten.“
Spielvereinigung Greuther Fürth ( ohne Stellungnahme)
Teilnahme zugesichert haben folgende Vereine:
Fortuna Düsseldorf (Bild Logo wurde angeklebt)
1.FC Köln
Hertha BSC (Screenshot aus der Bild)
FC Bayern München (Screenshot Bild.)
Und das was über allem stehen sollte:
Refugees Welcome! – Als Einstellung. Nicht als Marketingbotschaft.
dublinstinkt
Hätte die Bild ja nicht als Zeitung bezeichnet 😉 ansonsten: ich tippe auf Mitte, Ende Oktober, vielleicht auch früher. Menschlichkeit hält bei Bild standardmäßig maximal ein paar Tage…vermutlich ist mit „Grenzen überwinden“ am 3.10. das national (istisch) e Interesse schon längst wieder Alltag. Halte „bis März“ für seeeehr optimistisch…
Anita
Es beginnt bereits, ich geb dem ganzen nur noch ein paar Tage!
Curi0us (@Curi0us)
Ja. Alles. <3
Und weil das gar nicht genug gesagt werden kann: Danke für all Dein Engagement und Energie für die richtige(n) Sache(n).
Sebastian
Beide Daumen hoch!
elbblick (@elbblick)
Januar 2016. Nach Ende des Weihnachtsgelöts.