FC Würzburger Kickers-Fortuna Düsseldorf, 17.08.2014
Hey Jason, Fußball ist manchmal kacke.
Asperger-Syndrom. Deine besondere Logik hat seit unseren Erlebnissen vor zwei Wochen einen anderen Namen. Dafür hat Papsi ja eine besondere Logik zumindest in Verbindung mit seinem Fan-Leben.
Ich habe Dir ja erzählt, dass meine Vereinsfindung vielleicht nicht unbedingt nachahmenswert ist, manche die Umstände sogar verachten. Ich bin ja gar kein Fan oder wäre keiner gewesen, sagen sie. Vielleicht haben sie recht. In den letzten Monaten habe ich von so vielen Fansein-Experten gelesen, die detailliert andere Fans oder Menschen, die es vorgeben zu sein, detailliert aufgeklärt haben, was sich so gehört als Fan. Und jetzt bin ich mir wirklich nicht mehr sicher, ob ich Fan bin.
Ich bin verunsichert. Ein wirkliches Dilemma.
Ich habe da zum Glück viel von Dir gelernt. Du hast mir erklärt, dass man ein Fußballspiel auch genießen kann, ohne ein Fan der teilnehmenden Mannschaften zu sein, Du hast mich sogar gelehrt, dass man glühender Fan einer Mannschaft für wenige Minuten sein kann, weil eben „Deine“ Mannschaft gerade in Führung gegangen ist, oder eben, weil sie heute mal schöne Trikots anhaben. Und damit hast Du natürlich schon einmal gleich trölftausend der erwähnten Fan-sein-Experten Aussagen gepflegt in Millarden von kleinstatomare Trümmer zersprengt, denn während Du innerhalb eines Spiels auch Fan der einen Mannschaft sein kannst, weil sie heute ein dezent zum erblindenden bringendes Neongelb tragen, sind treue, echte Fans tatsächlich nämlich kurz vor der völligen Verzweiflung und nahe dran, sich von ihrem Herzverein abzuschwören, sobald das neue Trikot zu Saisonbeginn offiziell vorgestellt wird. Dies, so erschien es den letzten Wochen oftmals, muss nicht nur als Hipster-Fan, sondern auch als treue Seele absolut prioritär behandelt und negativ kommentiert werden. Es ist die Pflicht eines jeden Hardcore-Fans, sich in möglichst allen sozialen Netzwerken mit einem Höchstmaß an Hingabe über falsch gesetzte Streifen , historisch oder geografisch bedingte Farben oder um die Schriftart der Rückennummer auszukotzen. Wer kennt sie nicht, die guten alten Erinnerungen an historisch hohe oder immens peinlich Niederlagen, die man nicht nur erträgt, sondern an die man sich mit Stolz erinnert und sagen kann:
„Aber wir hatten das geilere Outfit.“
Papsi gehört da noch zur alten Garde und hat daher natürlich relativ entspannt müde gelächelt am vorletztem Wochenende, als wir bei diesem Testspiel zwischen der Düsseldorfer Fortuna und den Würzburger Kickers waren. Die knappe, unverdiente, ungerechtfertigte, mit Betrug zustanden gekommene, aber ja nun doch völlig belanglose Niederlage in diesem Cup, dessen Namen wir nicht mehr aussprechen wollen, weil er ja jetzt eh wertlos ist, ließ mich so entspannt bleiben, weil meine Düsseldorfer Fortuna diese stylischen knallig-gelben Trikots trugen, während der Gegner in einem schlichten, verdammt chicen schwarz antrat und wir tatsächlich sogar die optisch, äh, auffälligeren Trikots trugen.
Das ist schließlich das, was zählt, oder?
Die vielen anderen Dinge, die man als echter Fan eigentlich leisten muss, bekomme ich glaube ich schon gar nicht mehr zusammen.
Ich denke, es ist wichtig, dass man bei jedem neuen Transfer einen Youtube-Video-Link schickt, der je nach Lobby des Spielers die besten oder die grottigsten Szenen beinhaltet, und dazu dann einen fachmännischen Kommentar abgibt.
Standard ist eigentlich auch die in den letzten 17 Sommertrainingslagern einstudierten Spielsysteme unter Nennung der Schlüsselspieler parat zu haben und mit 140 Seiten Powerpointpräsentation deiner persönlichen Interpretation der einzelnen einstudierten Spielsysteme und ihrer Vor- und Nachteile aufwarten zu können.
Mit in den Top Ten der Dinge, die man als Minimum-Soll erfüllen sollte, um sich „Fan“ nennen zu dürfen, ist natürlich die Nennung diverser Zahlen strikt zu vermeiden. Dies beinhaltet in aller Regel in der untersten, fast schon nicht fanlebenswerten Kaste der „Echter-Fan-Hierarchie“, dass man am besten gleich restlos alle im Gründungstag des Vereins vorkommenden Zahlen nicht ausspricht. Pfui, pfui, pfui.
Darfst Dir halt keinen Verein suchen, der am 14.03.1925 gegründet wurde, wenn Du während Deiner Singlezeit noch als ernst zu nehmender Mannschaftssupporter Brötchen bestellen willst.
Deswegen weiß ich nicht so richtig, ob ich noch Fan bin, zumal mein Herzverein und Teile seines Anhangs mir aktuell weitere, streng einzuhaltende Regeln vorgeben.
Als Fan der Deluxe-Kategorie, und da will man heutztage schließlich hin, ist es zukünftig von absoluter Notwendigkeit, zu Auswärtsspielen mindestens einen Tag zuvor anzureisen und Teile der Gegner-Innenstadt kurz und klein zu schlagen, eine paar Einwohner abzuschwarten oder zumindest randalierend und pöbelnd anderweitig negativ aufzufallen.
Geradezu zwingend, so schien es auf jeden Fall an diesem eigentlich wunderschönen Sonntag-Nachmittag in Würzburg, ist es auch durch einen möglichst geringen Support aufzufallen.
Es ist weniger ein Akt der Höflichkeit gegenüber des Gastgeber, der mit fünfzig schreienden Männlein mehr Atmosphäre entfachte als unser gesamter Block, nein, es ist eher so ein Hipster-Ding, dass man ganz cool den Gegner einfach nur von stupiden Getrommel begleitet anschweigt, um ihm voll cool krass zu zeigen, dass man dieses lächerliche Anfeuern der eigenen Mannschaft, dieses Unterstützung zeigen, gar nicht braucht, um echter Fan zu sein.
Zudem steckt dahinter auch ein perfider Trick. Während der gegnerische Fanblock nämlich von der Schreierei (vielleicht auch ein wenig vom Sieg adrenalinisiert) sich nach Schlusspfiff kaputtjubelnd in den Armen liegt, haben wir ja dann die ganze Kraft gespart und können den Platz stürmen, Zäune eintreten und mit irgendwelchen Gestängen auf Menschen einprügeln, bis wir dafür sorgen, dass selbst ich beruhigt bin, dass die in Vollmontur angetretene Polizei das Geschehen in kurzer Zeit in den Griff bekommt.
Weißt du Jay-Jay, die Polizei macht manchmal Fehler, vielleicht sogar viele, und ich mag dieses martialische Auftreten oft nicht. Auch das Verhältnis von Einsatzkräften zur zu erwartenden Zuschauerzahl empfand ich ja das ein oder andere Mal als peinlich und überzogen.
Jay-Jay, auch wenn wir selbst zu keinem Zeitpunkt in Gefahr waren, so war ich doch froh über jeden einzelnen Polizisten, der da war. Man konnte von unseren Platz aus gut sehen, wie schnell die Situation eskalierte, und eine stattliche Anzahl an Securities von ebenso stattlicher Statur in Sekundenschnelle das Weite suchte, als der Mob es über den Zaun schaffte.
Letztendlich bin ich wahrscheinlich gar nicht Deluxe-Fan-tauglich und sogar charakterlich ein höchst fragwürdiger Typ, weil es mir nämlich noch nicht einmal um etwaige Verletzungen oder Beschädigungen in Folge der Eskalation ging.
Ich wollte einfach nur mit einem letzten Funken Würde aus diesem verdammten Pokal ausscheiden, dessen Namen wir nicht mehr nennen wollen.
Weißt Du, Jay-Jay, wenn Dein Team bei einer Mannschaft verliert, die aktuell zwei Ligen weiter unten kickt, relativ frisch zusammengestellt wurde und Du in verkehrswestenähnlichen Trikots spielst, dann ist das eigentlich nicht so schlimm, wie es sich anhört. Wenn Du es nicht schaffst, mit Deinem Anhang auch nur etwas ähnliches wie einen halbwegs anständigen Auswärts-Support hinzubekommen, dann ist das eigentlich nicht so schlimm. Wenn die „Stützen des Teams“ nur durch völlig unakzeptable Respektlosigkeiten nach dem Spiel auffallen oder sich im Spiel nach der Einwechslung bereits nach sechs Minuten eine rote Karte einhandeln, weil sie sich todesmutig dem Gegner an die Gurgel werfen, um einen völlig hilflosen und für seine ruhige Art bekannten Mitspieler zu schützen, dann ist das nicht so schlimm, wie es sich anhört.
Wenn Du dann, solltest Du mit dem Auto zukünftig auf Fußballreisen auswärts unterwegs sein, auf dem Rückweg an jeder Raststätte die Zufahrt versagt bekommst, weil Du ja sträflicherweise die gleichen Farben trägst wie oben benannte Deluxe-Fans, und Dich somit ja mindestens der Mitwisserschaft schuldig gemacht hast, dann ist auch das nicht so schlimm. Gerade das Thema Pinkeln lösen wir beide ja dann sowieso eher flexibel.
Eigentlich ist es alles nicht so schlimm, wenn man gerne leidet. (Ja, ja, ja.)
Schlimm ist nur, wenn du weisst, du kannst dich als Verein inklusive Anhang nicht schlimmer präsentieren. Schlimm. Explizit ausnehmen, muss ich natürlich die Hoolinetten, mit denen vor dem Spiel ein kurzes Treffen möglich war. Ich möchte dies zum einen erwähnen, weil ich die Düsseldorfer Hardcore-Fortuninen gerne mag, zum anderen, weil ich sowohl vor dem Hackebeilchen als auch vor dem Baseballschlägerchen großen Respekt habe.
„Muss ich mich überhaupt für eine Mannschaft entscheiden?“
Du fragtest mich dies auf der Rückfahrt von besagter Tour von Würzburg, und meintest eigentlich gar nicht Deine Fanwerdung. Zumindest nicht offensichtlich.
Es ging um Deine Kutte.
Ein anfangs sehr netter Herr zeigte Dir seine Kutte, womit dann natürlich auch die grausige Wahrheit über seinen wahren Charakter zu Tage trat, und Du wolltest wissen, warum Du keine hättest. Ich erklärte Dir, wie das mit so einer Kutte gehandhabt wird, und Du warst schnell Feuer und Flamme. Du wolltest sie relativ neutral halten und aus möglichst jedem Stadion einen Aufnäher mitnehmen, um ihn auf Deine Kutte zu nähen. Die Erinnerungswand, die Du zu Hause fleissig mit Devotionalien Deiner Ausflüge füllst, reichte Dir nicht mehr aus.
Du fragtest mich noch, welchen Verein wir dann an die Stelle setzen, wo der Arne das große Logo dieses bajuwarischen Provinzvereins hingenäht hat, um mich dann wieder daran zu erinnern, dass da Dein Zeichen hinkommt.
Dein Zeichen!
Ich erinnerte mich. Du warst auf dem Festival schon traurig, dass viele Zelte eine Flagge gehisst haben, nur wir nicht. Du wolltest eine Flagge mit Deinem Zeichen.
Nun gut, ich arbeite daran.
Ideen jemand für ein Wochenendrebell-Logo-Zeichen-Wappen?
Versteh mich nicht falsch, Jay-Jay. Ich liebe meinen Verein, und nur eine vollständige Fanszenen-Übernahme durch die rechte Brut würde mir dies verleiden können, aber irgendwie will ich doch eigentlich lieber Fußball gucken und nicht mit diesen zig Tausend Randerscheinungen konfrontiert werden. Und ja, natürlich weiß ich, dass wir bei den Verursachern negativer Begleitumstände in den meisten Fällen von einer Minderheit sprechen, aber wie auch immer.
Ich war vermutlich kein Fan, und Du wolltest keiner mehr werden. Zumindest nicht so schnell, und wenn dann scheinbar nicht einmal von einer einzelnen Mannschaft sondern vermutlich von mehreren. Ich rate Dir, Dich nicht bei Twitter anzumelden. Die zerreissen Dich.
Kommen wir zu den positiven Erscheinungen des Spiels, die wir direkt beeinflussen konnten. Der zunächst nette (und dann, Sie wissen schon) Herr hat uns die Festung in Würzburg gezeigt und uns auf eine tolle Stadttour eingeladen, was wir sehr genossen, zumal der werte Herr Gerlandiola sich selbst im dicksten Umzugsstress befand und sich trotzdem die Zeit nahm, mit uns das Spiel zu besuchen. Dass er Dich zudem mit einem Schal als Geschenk bedachte, war letztendlich die Krönung eines eigentlich ziemlich coolen Tages. Das Kutten-Ei, was er mir ins Nest gelegt hat, sehe ich gar nicht mal so eng. Mal abwarten, ob das in zwei Wochen bei Dir überhaupt noch Thema ist.
Achso und: Sehr schön gelegenes Stadion.
Kommen wir zu den nicht zu beeinflussenden, positiven Erlebnissen rund um die erste Pokalrunde des Wettbewerbs, dessen Namen wir nicht nennen wollen, und den wir erstmals und für diese Saison auch letztmalig besucht haben.