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Bringt der Golfstrom wirklich eine neue Kaltzeit? Nein.

Bringt der Golfstrom wirklich eine neue Kaltzeit? Nein.

Wir haben es in Europa klimatisch wirklich sehr gut. Wenn wir im Fernsehen Bilder von Hagelstürmen, Tornados und Flutwellen sehen, dann sind die meistens sehr weit weg und lassen uns deshalb recht kalt. Auch wenn Extremwetter durch die Klimakrise selbst hier spürbar häufiger wird, sind wir im internationalen Vergleich recht gut bedient: Dazu trägt auch der Golfstrom bei, eine warme Meeresströmung, die infolge der menschengemachten Erderwärmung jedoch schwächelt. Droht Europa eventuell eine neue kleine Eiszeit?

Um das zu beantworten, muss zunächst klar sein, was Meeresströmungen überhaupt sind. Unsere Meere sind nämlich mehr als große Gewässer, sie verhalten sich nicht wie ein Glas Wasser, das gleichmäßig gefüllt und komplett homogen ist. Es gibt ein sogenanntes Globales Förderband, ein weltweites Meeresströmungssystem, welches die Ozeane miteinander verbindet.

Was sind Meeresströmungen?

Meeresströmungen entstehen durch eine Zirkulation des Wassers, bedingt durch unterschiedliche Temperatur und unterschiedlichen Salzgehalt – von diesen Faktoren ist nämlich die Dichte des Meerwassers abhängig und die entscheidet darüber, ob Meerwasser nach unten sinkt oder an die Oberfläche strömt.

Aber auch Winde und die Erdrotation spielen bei der Entstehung von Meeresströmungen eine große Rolle. Verschiedenste Kräfte wirken auf die Strömungen ein, etwa die Reibung, die Zentifugalkraft, aber auch die sogenannte Corioliskraft: Ein Körper in einem ruhenden Bezugssystem bewegt sich laut dem Zweiten Newtonschen Gesetz gleichförmig. Rotiert das Bezugssystem jedoch selbst (wie die Erde), so entsteht eine seitlich ablenkende Kraft senkrecht zur Bewegungsrichtung, die Corioliskraft.

Die genauen physikalischen Details sollen uns hier aber gar nicht interessieren, wichtig ist nur zu wissen, dass Meeresströmungen durch sehr viele sich auf komplexe Wiese überlagernde Kräfte entstehen und durch Störungen somit leicht aus dem Gleichgewicht geraten können. Von Natur aus bestehen sie jedoch häufig über lange Zeiträume beinahe unverändert.

Was ist der Golfstrom?

Dies gilt eigentlich auch für den Golfstrom. Der Golfstrom ist einer der mächtigsten und wichtigsten Meeresströmungen überhaupt und Teil des Globalen Förderbands. Er verläuft von der Karibik bis nach Europa, erst nördlich der Bahamas entsteht jedoch der eigentliche Golfstrom durch die Vereinigung des Floridastroms und des Antillenstroms, zweier kleinerer Meeresströmungen.

Man kann sich den Golfstrom nun nicht als kleinen unterseeischen Tunnel vorstellen, von dem man mitgerissen würde, käme man ihm zu nah – obwohl diese Erscheinung in Filmen häufig so gezeigt wird. Meistens hat der Golfstrom jedoch eine Breite von mehreren hundert Kilometern, befände man sich gerade mitten im Golfstrom, würde man keinen Unterschied zu einer ganz normalen Meeresstelle bemerken.

Nur durch wissenschaftliche Untersuchungen, beispielsweise durch Satelliten, wissen wir, dass es den Golfstrom gibt.

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Trotz dessen ist der Golfstrom sehr mächtig, er transportiert mit einer Geschwindigkeit von 1,8 Metern pro Sekunde zeitweise 150 Millionen Kubikmeter Wasser in der Sekunde – das ist über 100 Mal mehr als alle Flüsse der Welt zusammen ins Meer fördern. Dabei erbringt der Golfstrom eine Leistung von 1,5 Petawatt – das entspricht einer Millionen Mal der Leistung des weltweit größten Kernreaktors, könnten wir ihn anzapfen, wäre unser Energieproblem gelöst.

Tatsächlich gibt es sogar Ideen, die Energie der Meeresströmungen zur Stromerzeugung anzuzapfen und für den Menschen nutzbar zu machen, zum Beispiel die Energie der Gezeiten.

Auch ökologisch hat der Golfstrom jedoch eine riesige Bedeutung, Plankton und andere Lebewesen werden auf natürliche Weise mit dem Wasser transportiert. Das gilt aber leider auch für das Plastik, sowohl mikroskopisch kleine Partikel, als auch Tüten, Flaschen und Zigarettenstummel.

Klima in Europa

Der Golfstrom ist eine warme Meeresströmung und natürlich hat er auch Auswirkungen auf das Klima in Europa. Niemand muss sich hierzulande im Winter durch meterdicken Schnee graben, stattdessen wachsen in Südengland sogar Palmen.

Der Norden der USA liegt etwa auf ähnlicher Höhe wie Spanien und Italien, Vancouver in Kanada liegt auf ähnlicher Höhe wie Frankfurt am Main, dennoch sind die Temperaturen in diesen Gebieten sehr unterschiedlich – in Europa ist es viel wärmer als auf vergleichbaren Höhen in Amerika.

Lässt man den Golfstrom außer acht, müssten in Südeuropa eigentlich die kühlgemäßigten Temperaturen herrschen, die wir in Mitteleuropa vorfinden und Nordeuropa müsste beinahe polare Temperaturen aufweisen.

Jenseits der milden Temperaturen blieb Europa bis zur Klimakrise auch weitgehend von großen Extremwetterereignissen verschont – sicherlich auch ein mit Grund für die historische Bedeutung und den Wohlstand Europas.

Die klimatische Stabilität verdankt Europa zumindest zum Teil dem Golfstrom – welchen Einfluss er genau auf das Klima hat, das ist noch nicht gänzlich bekannt, aber dass dieser Einfluss existiert, gilt als sicher. So gab es vermutlich eine Periode vom 15. Jahrhundert bis ins 19. Jahrhundert, in dem der Golfstrom etwa zehn Prozent schwächer war als gewöhnlich. Dies gilt als eine der Ursachen für die Kleine Eiszeit.

Europa erlebte in dieser Epoche eine erhebliche Abkühlung: Auf der zugefrorenen Themse in London wurden Marktstände errichtet, in den Alpen wurden Dörfer von sich ausbreitenden Gletschern überrollt, Hungersnöte brachen aus und die gesellschaftliche Stimmung kippte, was als Nährboden für Hexenverbrennungen, Judenverfolgungen und sogar den Dreißigjährigen Krieg gesehen wird. Erst mit der menschengemachten Erderhitzung im 19. und 20. Jahrhundert endete die kleine Eiszeit endgültig.

Warum der Golfstrom versiegt

Apropos menschengemachte Erderhitzung: Diese wirkt sich natürlich auch auf die Meere aus. Die Ozeane werden wärmer, saurer und die Pegel steigen. Eine Veränderung wird jedoch gerne vergessen: Durch das Schmelzwasser sinkt der Salzgehalt.

Dass der Golfstrom dadurch versiegen könnte, ist der Wissenschaft keineswegs neu. Schon vor der Jahrtausendwende warnte ein Forscher des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung vor dem Erlahmen des Golfstroms.

Das ist auch völlig logisch: Wenn Eismassen schmelzen, gelangt Süßwasser ins Meer, doch der Salzgehalt und damit die Dichtedifferenzen sind wie bereits gesagt Motoren des Globalen Förderbands. Durch den sinkenden Salzgehalt wird der Antrieb der Meeresströmungen geschwächt. Tatsächlich wurde die vorhergesagte Abschwächung auch gemessen. Die Fließgeschwindigkeit hat sich um 15% verringert und das nur im Zeitraum zwischen der Mitte des letzten Jahrhunderts und dem Jahr 2018.

Das klingt zunächst erstmal recht harmlos, doch es bedeutet, dass pro Sekunde drei Millionen Kubikmeter weniger Wasser gefördert werden. Alleine die Abschwächung des Golfstroms entspricht also der 15-fachen Fördermenge des Amazonas. 2021 war der Golfstrom so schwach wie seit über 1.000 Jahren nicht mehr.

Ein Ende ist nicht in Sicht, denn die Eismassen schmelzen nicht nur immer weiter, sondern auch immer schneller und diese Veränderung droht unumkehrbar zu werden. Dabei wird noch viel mehr Süßwasser in die Ozeane geschwemmt werden. Dementsprechend ist in der Tat damit zu rechnen, dass sich der Golfstrom weiter abschwächt. Bis 2100 könnte die Abschwächung noch einmal 35-40% betragen.

Droht eine neue „Kleine Eiszeit“?

Doch droht dadurch nun eine Wiederholung der kleinen Eiszeit? Wenn man sich einige Schlagzeilen dazu durchließt, könnte man meinen, sie stehe quasi vor der Tür:

„Neue Eiszeit in Europa? Das passiert, wenn der Golfstrom versiegt“

Aber: Nein.

Zu allererst eine technische Bemerkung: Eine „Eiszeit“ droht definitiv nicht, denn dieser Begriff ist für global kühlere Perioden reserviert. Die globale Durchschnittstemperatur steigt allerdings unaufhörlich, daraus entsteht ja überhaupt erst das Problem des schwächelnden Golfstroms. Wir steuern also nicht auf eine Eiszeit zu, sondern auf einen neuen, insgesamt wärmeren Klimazustand zu.

Zweitens ist es unwahrscheinlich, dass der Golfstrom völlig versiegt und seine aktuelle Abschwächung ist schon jetzt mehr als nur vergleichbar mit jener während der kleinen Eiszeit – dennoch steigen die Temperaturen in Europa sogar schneller als im globalen Durchschnitt.

Der etwas schwächere Golfstrom war schließlich auch nur eine Ursache von vielen für die verhältnismäßig kühle Periode in Europa, auch eine Wiederbewaldung infolge des Bevölkerungsrückgangs durch die Pest, ein erhöhter Vulkanismus und eine geringere Sonneneinstrahlung werden als Ursachen diskutiert.

Es gilt als ausgeschlossen, dass die kühlende Wirkung des schwächelnden Golfstroms die allgemeine Erhitzung durch die Klimakrise in Europa übertrifft – die Durchschnittstemperaturen werden also nicht auf ein Niveau fallen, das unter dem vorindustriellen liegt. Aber könnten sich die Erhitzung und die Abkühlung nicht vielleicht ausgleichen, sodass Europa eine Insel gemäßigten Klimas inmitten einer brennenden Welt wird? Wohl eher nicht.

Unsicherheit unter Wissenschaftler*innen

Es ist unmöglich, quantitative Vorhersagen darüber zu machen, wie sich eine Abschwächung des Golfstroms langfristig auf das Klima in Europa auswirkt. Einige Wissenschaftler*innen befürchten sogar eine zusätzliche erwärmende Wirkung durch das schwächere Globale Förderband. Das ist durchaus plausibel:

Im schlimmsten Fall ist die sogenannte Marine Kohlenstoffpumpe betroffen: Strömungen transportieren auch nämlich im Wasser gelöste Stoffe in größere Tiefen, daher könnten sie die Globale Erhitzung bisher abgefedert haben, indem sie große Mengen Kohlendioxid in die Tiefen des Meeres gerissen haben.

Fällt dieser Mechanismus weg, kann plötzlich viel weniger des Treibhausgases im Meer gebunden werden und die Erwärmung nimmt sogar zu. Doch auch diese These wird von anderen Wissenschaftler*innen heftig angegriffen.

Während die Tatsache einer Globalen Erhitzung und auch einer Abschwächung des Golfstroms wissenschaftlicher Konsens sind, besteht über die Folgen also absolut keine Klarheit. Während der letzten großen Eiszeit, die vor 12.000 Jahren endete, lief der Golfstrom beispielsweise auf Hochtouren und durch die Abschwächung des Golfstroms werden sich auch die Luftdruckverhältnisse verändern, wodurch mehr warme Luft nach Mitteleuropa strömen könnte. Die Folge wären weitere Stürmen und Hitzewellen.

Klar ist also nur: „Erhitzung + Abkühlung = gemäßigtes Klima“ ist zu einfach. Das haben wir gerade erst am eigenen Leib erfahren: Durch die Erhitzung der Arktis kam es zu einer Instabilität des Polarwirbels, gleichzeitig wurden durch die grönländische Eisschmelze große Mengen Material für Niederschlag produziert.

Dies führte zu heftigen Kälteeinbrüchen und Schneefällen im Frühjahr 2021 in Europa, bedeutet aber nicht, dass die Temperaturen im Sommer nicht wieder viel zu hoch sein können, wie es für große Teile Europas vorhergesagt wird.

Was wären die Folgen?

Was sind also die wirklich realistischen Folgen für uns alle, sollte der Golfstrom weiter an Kraft verlieren? Jedenfalls sind es nicht die aus dem Film The Day After Tomorrow – die Bilder von der eingefrorenen Freiheitsstatue, den Superstürmen in Los Angeles und dreistelligen Minusgraden in Nordeuropa haben sich  in das kollektive Gedächtnis gebrannt, sind aber absolut auszuschließen (ganz abgesehen davon, dass der Golfstrom hier mit anderen Meeresströmungen verwechselt wurde).

Der Golfstrom stabilisiert das Klima in Europa zwar, ist jedoch keineswegs der einzige relevante Faktor und vor allem ist er sehr träge, reagiert also nicht sofort auf den Temperaturanstieg. Sollte die bis 2100 vorhergesagte Abschwächung tatsächlich eintreten, wären die Folgen jedoch für uns alle deutlich spürbar: Das Klima wird instabiler werden.

Temperaturen, die heute noch als extrem gelten, werden zur neuen Normalität und die neuen Extremtemperaturen werden in einem nie gekannten Maße verheerend sein. Diese sowieso schon vorhandene Entwicklung würde verstärkt.

Sowohl Kälteeinbrüche als auch Hitzewellen könnten theoretisch häufiger werden, selbst Hurricanes wie wir sie derzeit aus den USA kennen, sind über Europa nicht mehr auszuschließen. Des weiteren wird eine Zunahme der Hurricanes im Golf von Mexiko und ein schnellerer Meeresspiegelanstieg vor der US-Küste prognostiziert, da sich der Ozean in den tropischen Breiten erwärmen würde.

Abschließend lässt sich sagen, dass es eine kleine Eiszeit in Europa nicht geben wird. Dennoch ist die Angst vor dem Abschwächen des Golfstroms berechtigt, denn es wird bestehende Probleme vergrößern.

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