fbpx

Wochenendrebellen

Groundhopping | Autismus | Wissenschaft | Podcast | Weltverbesserung

Der Hambacher Forst – Geht´s hier ums Prinzip?

Der Hambacher Forst - Geht´s hier ums Prinzip?

Momentan ist mal wieder viel los: Der Chef des Verfassungsschutz entpuppte sich als Handlanger von Faschist*innen, eine historische Hitzewelle überrollt Europa und Nazis ziehen von der Polizei toleriert durch Chemnitz. Doch die Rodung eines Waldes, der seit der letzten Eiszeit besteht, für eine Energiequelle, welche die nächsten Jahrzehnte nicht überleben wird und darf, setzt echt nochmal einen drauf…

Die heiklen Punkte beginnen schon bei der Frage, wie alt der Hambacher Forst eigentlich ist. Viele Umweltschützer*innen behaupten, die Region sei seit 12.000 Jahren – also seit dem Ende der letzten Eiszeit -bewaldet und tatsächlich findet sich dies auch in wissenschaftlichen Quellen wieder.

Geschichte des Hambacher Forsts

Einige Wissenschaftler*innen meinen hingegen, der Hambacher Forst sei damals nicht viel mehr als eine Tundra gewesen und der Wald in seiner heutigen Form bestünde erst seit 4.000 bis 5.000 Jahren – so etwa Prof. Wolfgang Schumacher, der an der Universität Bonn als Professor für Geobotanik und Naturschutz arbeitet.

Was davon nun stimmt, ist wohl von der Interpretation des Worts „Bewaldung“ abhängig, aber eigentlich auch nicht mehr wirklich relevant. Klar ist, dass der Wald den Menschen schon seit der Antike und auch im Mittelalter gut bekannt war. Zur Zeit des Römischen Reichs befanden sich im Hambacher Forst sogenannte villae rusticae, Gutshöfe zur Versorgung der nahegelegenen römischen Kolonie Colonia Claudia Ara Agrippinensium, die später einmal Köln werden sollte.

Im Mittelalter hingegen galten im Gegensatz zu heute strenge Regeln für die nachhaltigen Umgang mit dem Wald unter Androhung heftiger Strafen. Eine bekannte Persönlichkeit aus dieser Zeit ist sicherlich Arnold von Arnoldsweiler, ein Heiliger des 8. Jahrhunderts, der Musiker im Gefolge Karls des Großen war. Als er den König zur Jagd im Hambacher Forst begleitete, bemerkte er, dass die umliegenden Dörfer in großer Armut lebten, schließlich durfte niemand im Wald, der königliches Eigentum war, jagen oder Brennholz sammeln.

Arnold wollte helfen und bat Karl den Großen, ihm so viel Land zu schenken wie er während eines Mahls umreiten konnte und dieser willigte ein – schließlich galt Arnold nicht als besonders guter Reiter. Er hatte im Voraus jedoch mehrere Pferde in in den umliegenden Dörfern stationiert, sodass er mehrfach wechseln konnte und ihm ein Großteil des Waldes geschenkt wurde.

Er verschenkte ihn weiter an die umliegenden Dörfer, wodurch er dort verehrt wurde und bis heute wird – nur eine der zahlreichen Anekdoten und Geschichten, die sich um den Wald ranken.

Lange war dadurch der Schutz des Waldes gewährleistet, denn obwohl die Bevölkerung in dieser Region explodierte und Menschen den Wald nutzten, wurde auf Nachhaltigkeit geachtet: Brennholz durfte entnommen und Schweine in den Wald getrieben werden, aber kein Baum gefällt. Erst als mehr und mehr Gebiete in Privateigentum fielen, schrumpfte der Wald langsam. In den 70ern wurde dann ein riesiger Teil des Waldes in kurzer Zeit vernichtet.

Hat Rot-grün die Rodung beschlossen?

Längst sind Fakten im Kampf um den Hambacher Forst zweitrangig geworden. Selbst die NRW-Landesregierung greift gezielte Desinformation von Rechten und Lobbyist*innen auf und verbreitet sie an die Öffentlichkeit. Ministerpräsident Armin Laschet behauptete etwa in der WDR Arena, die Rodung basiere auf einem Beschluss der rot-grünen Landesregierung von 2016.

Das ist grober Unfug, schließlich begannen die Rodungen 1978 und die Grünen existieren in dieser Form erst seit 1993. Eine Regierung kann auch gar keine Rodung beschließen, nur der Eigentümer des Waldes selbst, also RWE, bzw. dessen damalige Form Rheinbraun. An dem wiederum haben natürlich zahlreiche Kommunen Anteile, die somit großes Interesse daran haben, dass die Kohleindustrie läuft und der Hambacher Forst weichen muss. Insgesamt besitzen Kommunen und kommunale Verbände etwa 24% von RWE.

Eine Regierung kann eine Rodung des Waldes lediglich verhindern oder genehmigen. Dies geschah in den sogenannten „Leitentscheidungen“ aus den Jahren 1991 und 1987 – in beiden Jahren regierte die SPD alleine mit Johannes Rau als Ministerpräsident. Schon dort wurden die nun debattieren Rodungen also genehmigt.

Tatsächlich verabschiedete Rot-grün 2016 eine neue Leitentscheidung – die hatte allerdings mit dem Tagebau Hambach nichts zutun. Die Grünen haben dort sogar gegen den Willen des Koalitionspartners durchgesetzt, dass der Tagebau Garzweiler um ein Drittel verkleinert wird. Eine neue Leitentscheidung für Hambach und Ingen II wäre nun die Aufgabe von der Schwarz-gelben Landesregierung, diese schiebt die Lage aber lieber auf die Grünen.

Gehen andernfalls die Lichter aus?

Die Falschinformationen gehen aber noch weiter. RWE-Vorstandsvorsitzender Schmitz etwa nannte bisher unbekannte Demonstrant*innen, die Sachschäden verursacht hatten, „Ökoterroristen“ und übernahm damit rhetorisch das Framing von AfD und anderen Klimawandelleugner*innen. Des weiteren jagt RWE der Bevölkerung Angst ein und behauptet, würden die weiteren Rodungen nicht stattfinden, könnte es in Nordrhein-Westfalen schnell zu Blackouts kommen:

„Eine vorübergehende Aussetzung der für Oktober 2018 geplanten Rodung im Tagebau Hambach würde bereits kurzfristig die Fortführung des Tagebaus und damit die Stromerzeugung der Kraftwerke Niederaußem und Neurath in Frage stellen.“

Die Zahlen widerlegen das jedoch eindeutig. Nach Recherchen der Deutschen Welle und Zahlen des BUND würden die Reserven noch für mindestens drei Jahre genügen, selbst wenn nicht gerodet wird. Und letztlich wird auch ein signifikanter Teil des Stroms ins Ausland exportiert. Hier wird mit den Ängsten der Bevölkerung gespielt, und zwar auf Seite derer, die dies Klimaaktivist*innen so gerne vorwerfen.

Und selbst, wenn wir noch von Kohle abhängig wären, dann wäre dies das Ergebnis politischer Entscheidungen und könnte, nein muss, geändert werden. Richtig ist, dass RWE angekündigt hat, infolge des Rodungsstopps vermutlich Arbeitsplätze kürzen zu wollen.

Was macht den Hambacher Forst so wertvoll?

Doch wieso ist der Hambacher Forst so wertvoll, dass er Gegenstand einer bundesweiten Debatte ist und mittlerweile fast jeder seinen Namen kennt? Wie bereits erwähnt, ist das Alter dort sicherlich ein Thema, schließlich geht die Geschichte des Waldes tatsächlich bis zur letzten Eiszeit vor 12.000 Jahren zurück. Damals schlugen die ersten Bäume dort ihre Wurzeln, ob man das nun Wald nennen mag oder nicht. Noch besonderer ist das maximale Alter einzelner Bäume: Bis zu 350 Jahre.

Zudem handelt es sich um einen der wenigen intakten Mischwälder Mitteleuropas. Auch wenn der Hambacher Forst kein Urwald handelt ist und in Rumänien oder der Ukraine noch deutlich größere unberührte Waldareale existieren, ist er, bzw. was noch von ihm übrig ist, insofern zumindest bei uns etwas Besonderes. Doch die Besonderheiten gehen viel weiter, umfassen etwa den Boden des Waldes.

Dieser ist sogenannter Lössboden, er entstand ebenfalls in der letzten Eiszeit, in der noch Gletscher Mitteleuropa bedeckten und es kaum Vegetation gab. Dies ermöglichte, dass Sand und Schluff hinweggeweht werden und sich woanders wieder absetzen konnten, wo sie mit anderen Materialien vermischt wurden.

Dieser Boden ist der fruchtbarste und für die Landwirtschaft günstigste weltweit und dieses Geschenk der Eiszeit ist wohl ein Grund dafür, dass das Ruhrgebiet mit die größte Bevölkerungsdichte Europas entwickelte und zum Zentrum der sogenannten Blauen Banane wurde, eines riesigen Ballungsraums von der irischen See bis zum Mittelmeer.

Ebenfalls heiß diskutiert wird im Kontext des Hambacher Forsts die Bechsteinfledermaus, denn der Wald umfasst zwei Kolonien dieser vom Aussterben bedrohten Tierart. RWE verschloss bereits die Eingänge der Baumhölen, in denen die Fledermäuse leben – laut BUND ganz klar eine Methode zur Vertreibung der Bechsteinfledermaus. Die Naturschutzbehörde des Kreises Düren hingegen rechtfertige die Maßnahme, indem sie behauptete, sie stelle „nicht zwangsläufig“ einen Verstoß gegen das Artenschutzrecht dar.

Um den wirklichen Wert des Hambacher Forsts zu verstehen, muss man jedoch in die Vergangenheit schauen. So geht die frühere Bezeichnung Bürgewald zurück in die Zeit der Bauernkriege in Deutschland. Der Bauernstand erhob sich im 16. Jahrhundert gegen die zunehmende Umwandlung von Allgemeingütern in Privateigentum und forderte zum ersten Mal in Europa eine frühe Formulierung von Menschenrechten.

Die Aufstände forderten bis zu 75.000 Todesopfer, die Anführer der Aufständischen wurden nach der blutigen Niederschlagung der Proteste meist öffentlich auf grausame Weise gefoltert und hingerichtet und in den kommenden Jahrhunderten war die Macht der Obrigkeit weitgehend unangetastet. Natürlich strotz es nur so vor historischen Parallelen, wenn nun schon wieder Allgemeingut der Gier einzelner Personen geopfert werden soll – und das Jahrhunderte nach den Bauernkriegen.

Was kann man tun?

Nur so am Rande, man kann den Stromanbieter übrigens auch wechseln, wenn er Scheiße baut. Und dafür gibt es nun wirklich mehr als genug Gründe, auch jenseits des Hambacher Forsts. So wurde der Steinkohleabbau in Deutschland zwar beendet, RWE hingegen bezieht weiterhin Steinkohle aus anderen Ländern, etwa Kolumbien, Südafrika und Russland.

Dort sind die Folgen für Mensch und Umwelt noch schlimmer, viele Menschen sterben an Atemwegserkrankungen durch Schadstoffe in der Luft, da die Unternehmen großen Einfluss auf die Politik und dementsprechend die Naturschutznormen haben (in Deutschland völlig undenkbar…). Viele Flüsse sind zudem mit Schwermetallen verseucht, was die Wasserversorgung gefährdet und die Arbeitsbedingungen in Minen wie El Cerrejón sklavenähnlich.

Doch Konsequenz muss sein. Wer also mit RWE Schluss macht, muss sich von folgenden Anbietern trennen:

  • Innogy, an welches RWE bereits alle Stromverträge mit Privatkunden outgesourct hat, die Firma selbst gehört zu 76% RWE.
  • EnviaM als regionaler Versorger an dem RWE Anteile hält.
  • eprimo als regionaler Versorger, an dem RWE Anteile hält.
  • Westnetz als regionaler Versorger, an dem RWE Anteile hält.
  • Süwag als regionaler Versorger, an dem RWE Anteile hält.
  • E.on, der größte konventionelle Stromerzeuger Deutschlands, an den RWE den gesamten Vertrieb auslagern will.
  • Und leider viele, viele mehr…

Allgemein wichtig ist: Ökostrom ist nicht gleich Ökostrom. Obwohl RWE natürlich ganz besonders den Bock geschossen hat, haben die vier großen deutschen Stromkonzerne RWE, E.on, Vattenfall und EnBW alle Dreck am Stecken, ob durch fossile Energieträger, Zwangsumsiedlungen, Naturzerstörung oder auch Missbrauch der Atomenergie. Die Gewinne gehören den Unternehmen, der Müll wurde uns geschenkt und die Brennelementesteuer durch Lobbyarbeit gesenkt, sodass die Laufzeitverlängerung trotz ihr Milliardengewinne brachte.

Selbst wenn diese Konzerne auch Ökostrom anbieten, legitimiert jede*r Kund*in, ob nun Ökostrom oder nicht, die Geschäfte der Konzerne. Darüber hinaus ist auch nicht jeder Ökostrom in seiner Erzeugung umweltfreundlich: So gibt es etwa auch Wasserkraft aus Staudämmen, für die auf dem Balkan die letzten intakten Gewässer Europas zerstört werden – dennoch handelt es sich um „Ökostrom“. Einen Stromvergleich für wirklich umweltfreundlichen Strom findet ihr hier.

Show More

14 Comments

  • Nils
    Nils

    Wunderbar differenziert und klar geschrieben – vielen Dank dafür.
    Walk on!

    Antworten
  • HP Fischer
    HP Fischer

    Gut und verständlich geschrieben.
    Ich teile das dann mal.

    Antworten
  • Jonah
    Jonah

    Interessanter Beitrag! Präzise, logisch und informativ geschrieben.

    Mein einziger Kritikpunkt: Du schreibst „verschandelt“ statt „verschanzt“. Verschandeln ist etwas zerstören, sich verschanzen ist sich verstecken. Es ist nur eine Kleinigkeit, aber mich stört es, weil ich auch Asperger Autist bin.

    Inhaltlich habe ich nichts hinzuzufügen. Sehr kluge Gedankengänge für einen 13-Jährigen, Hut ab! Ich freue mich auf eure nächste Folge!

    Antworten
  • Eva Rimkus
    Eva Rimkus

    Hallo Jason! Danke für diese informative Darstellung der Probleme rund um den „Hambacher Forst“. Ich hatte in deinem Alter noch nicht dieses Wissen, da kann ich noch vieles lernen! Ich freu mich auf den nächsten Podcast von euch!

    Antworten
  • Daniel Heinze
    Daniel Heinze

    Eure Podcast Trilogie habe ich eben abgeschlossen. Es war sehr kurzweilig zuzuhören, außer das Dein Papsi was von Tierhaar Allergie sprach. Lass Dich nicht von ihm beirren, lass Dir von Axel (so heißt er glaube ich), alles vom FC Köln genau erklären! ?

    Die Rodung des Hambacher Forst ist ein Schlag ins Gesicht, für jeden der auf seinen Umgang mit vorhandenen Ressourcen achtet.
    Wir sind so klein und so kurz auf diesem Planeten, eine Schande wie wir mit ihm umgehen…

    Gruß Daniel

    Antworten
  • Jonas
    Jonas

    Alles was zu diesem Thema gesagt werde muss, kurz und knapp auf den Punkt gebracht.

    Danke dafür!

    Antworten
  • Georg
    Georg

    Super Artikel! Und Danke für den Hinweis zum Ökostrom. Der differenzierte Blick, was man durch die Wahl des Anbieters legitimiert ist total wichtig. Geht aber vielleicht unter weil man ja Ökostrom bezieht…

    Antworten
  • Angelika Habel
    Angelika Habel

    Ich werde das teilen – weil ich mit stolz sein kann, wenn ein 13jähriger uns die Welt erklärt – und wie sie sein könnte. Danke

    Antworten
  • Silke
    Silke

    Warum es für die Polizei „einfacher“ ist, im Hambacher Forst in der Stärke aufzutreten als in Chemnitz, kann ich dir in Teilen gern an anderer Stelle erklären…

    Dein Artikel gefällt mir sehr gut, denn du hast in allen Punkten Recht. Die Abholzung ist ein Irrsinn und RWE gehört boykottiert.
    Nun ist die Räumung des Waldes ja wegen des tragischen Todesfalls ausgesetzt. Vielleicht, meine Hoffnung stirbt zu letzt, für immer, weil bei RWE oder der Landesregierung jemand zu Verstand kommt und auch auf den allgemeinen Tenor der Bevölkerung hört. Du bist nicht allein mit deiner Einstellung und das allein gibt mir Hoffnung!

    Antworten
  • Simon

    Die ganze Situation auf den Punkt gebracht. Danke!

    Antworten
  • Jens Steckert
    Jens Steckert

    Sehr gut geschrieben, Jason!!

    Antworten
  • Papsi
    Papsi

    Ich hab’s neulich im Podcast zum Thema vielleicht nicht gesagt. Ich bin sehr stolz auf dich.

    Antworten
    • Silke
      Silke

      Das wird jedem Zuhörer in jedem Podcast klar. 🙂

      Antworten
    • Daniel
      Daniel

      Die Art wie ihr miteinander umgeht, zeigt es es mit jedem Podcast! ?

      Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert