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Vieles, was auf der Erde noch zu wünschen übrig lässt, funktioniert im Weltall schon ganz gut, etwa internationale Kooperation oder der Umstieg auf alternative Antriebstechnologien. Während in Deutschland eine Ernüchterung nach der anderen kommt, feiern elektrische Antriebe, vor allem der Ionenantrieb, bei Raumfahrzeugen ihren Durchbruch.
Geschichte
Die Idee, sich mit einem Ionenantrieb im All fortzubewegen, ist älter als die Raumfahrt selbst. Der Raumfahrtpionier Hermann Oberth beschrieb den Ionenantrieb bereits in seinem 1923 erschienenen Buch Die Rakete zu den Planetenräumen und der späteren Überarbeitung Wege zur Raumschifffahrt, in denen er die postulierte, dass es möglich sei, Maschinen zu bauen die über die Atmosphäre hinaus fliegen könnten und dabei womöglich sogar so weit flögen, dass sie nicht auf die Erde zurückkehren.
Das Buch wurde zunächst als Utopie und Spinnerei abgetan. Man war sich recht sicher, dass es niemals möglich sei, Maschinen oder gar Menschen über die Atmosphäre hinaus zu befördern. Noch 1936 titelte die New York Times:
“Eine Rakete wird niemals die Erdatmosphäre verlassen können.”
Nur acht Jahre später erreichte die erste Rakete das Weltall. Der Ionenantrieb blieb jedoch recht lange eine Vision, erst in den 60er Jahren gab es erste Prototypen.
Funktionsweise
Die Funktionsweise eines Ionenantriebs ist eigentlich recht simpel. Eine gasförmige Masse, meist Xenon, wird ionisiert. Atome bestehen aus positiv geladenen Protonen und negativ geladenen Elektronen. Sind von beiden gleich viele vorhanden, ist das Atom neutral und nicht geladen, ist eine der beiden Komponenten in der Überzahl, ist das Atom entweder positiv oder negativ geladen, man spricht von Ionen.
In einem Ionenantrieb werden einem Gas also Elektronen entzogen, sie werden ionisiert. Diese Ionen können dann durch ein elektrisches Feld beschleunigt werden, der Strahl von geladenen Teilchen erzeugt einen Rückstoß. Ganz zum Schluss werden den Ionen die Elektronen wieder zugefügt, denn geladene Ionen würden natürlich in einem Bogen zum Raumfahrzeug zurückkehren.
Bei dieser sogenannten Neutralisierung entsteht das charakteristische blaue Leuchten von Ionenantrieben, welches wir aus der Science Fiction kennen. Ein Ionenantrieb hat also keinen richtigen Treibstoff, elektrischer Strom ist der Treibstoff.
Dieser wird meist durch Solarzellen gewonnen, dann spricht man von einem solarelektrischen Antrieb. Eine noch unverwirklichte Idee ist ein nuklearelektrischer Antrieb, hier würde die Energie durch Kernspaltung gewonnen – ein vielversprechender Antrieb für die Zukunft, der Flüge jenseits unseres Sonnensystems ermöglichen könnte.
Begrenzte Einsatzmöglichkeiten
Doch der Ionenantrieb hat seine Grenzen, die Begründung dafür liegt in der Physik. Dies kann man sich mit der sogenannten Raketengrundgleichung erklären.
Das ist weniger kompliziert als es aussieht. Es sagt aus, dass die Geschwindigkeitsänderung im wesentlichen von zwei Dingen abhängig ist, von der Masse der Rakete und des Treibstoffs und der Ausströmgeschwindigkeit des Treibstoffs. Das lässt sich einfach veranschaulichen: Steht man auf einem Boot und wirft einen Stein weg, bewegt sich das Boot in die entgegengesetzte Richtung.
Die Geschwindigkeit, mit der man sich bewegt ist nun abhängig von der Masse des Steins und der Geschwindigkeit, mit der man ihn wegwirft. Ionenantriebe haben einen sehr geringen Schub, aber sind sehr effizient. Die Geschwindigkeitsänderung pro ausgestoßener Masse ist also sehr hoch, man spricht vom spezifischen Impuls. Dieser fließt übrigens mathematisch in die Ausströmgeschwindigkeit ein, weshalb er in der Raketengrundgleichung nicht vorkommt.
Ein Ionenantrieb hat einen Schub von etwa 70 Millinewton, das sind 0,07 Newton und entspricht in etwa der Gewichtskraft einer Postkarte. Dafür gelang es bei neusten Prototypen bereits, die Ausströmgeschwindigkeit auf 210 km/s zu erhöhen, durch die enorme Sparsamkeit und Effizienz kann ein Ionenantrieb zudem Monate mit nahezu konstanter Leistung arbeiten, wodurch sich langfristig eine große Beschleunigung ergibt.
Schub | spezifischer Impuls | Status | |
Chemischer Feststoffantrieb | 1.000 – 1 Mio. N | 265 s | Fliegt |
Elektrischer Ionenantrieb | 0,6 N (bei 34,6 kW) | 6.000 – 9.150 s | Fliegt |
Elektrischer Hall-Antrieb | 0,068 N (bei 1,2 kW) | 1.640 s | Fliegt |
VASIMR | 5 N (bei 5.000 s & 200 kW) | 5.000 – 30.000 s | In Entwicklung |
Nuklearer Pulsantrieb | 100.000 – 10 Mio. N | 3.000 – 10.000 s | In Entwicklung |
Fusionsantrieb | 30.000 N | 47.000 s | Theoretisch |
Antimaterieantrieb | 1 Mio. N | 400.000 s | Theoretisch |
Sonnensegel | 9 N/km2 (bei 1 AE) | unendlich | Fliegt |
Wir sehen hier, dass der Schub bei einem Ionenantrieb und auch bei der Weiterentwicklung, dem Hall-Antrieb, bei dem die Elektronen durch ein Magnetfeld behindert werden, die negative Elektrode zu erreichen, extrem gering ist, millionenfach geringer als zum Beispiel bei einem Space Shuttle. Doch die Effizienz in Form des spezifischen Impulses, also der Geschwindigkeitsänderung pro ausgestoßener Masse, ist viel besser.
Der geringe Schub macht es allerdings unmöglich, mit einem Ionenantrieb ins All zu fliegen oder von der Oberfläche anderer Planeten abzuheben. Dafür ist der Antrieb aber perfekt für mehrjährige Langzeitmissionen, etwa für Satelliten oder kleine interplanetare Raumsonden.
Raumsonden mit Ionenantrieb
Lange blieb es jedoch bei einfachen Tests, andere elektrische Antriebe wie etwa der gepulste Plasmaantrieb wurden bereits deutlich früher im Regelbetrieb eingesetzt. Die erste Raumsonde mit Ionenantrieb im tiefen Weltraum war Deep Space 1. Sie wurde im Rahmen des New-Millennium-Programms im Jahre 1998 gestartet, welches neue Technologien wie den Ionenantrieb erproben sollte.
Deep Space 1 flog am Asteroiden (9969) Braille und am Kometen 19P/Borrelly vorbei, 2003 brach zudem die japanische Raumsonde Hayabusa zum Asteroiden (25143) Itokawa auf, entnahm dort Proben und brachte sie zurück zur Erde. Ebenfalls 2003 startete die europäische Raumsonde SMART-1 mit einem neuartigen Ionenantrieb zum Mond und suchte dort nach Wasser.
Die letzte und bisher umfangreichste Raumsonde mit Ionenantrieb war die NASA-Sonde Dawn, die mit drei Ionentriebwerken zum Hauptgürtel zwischen Mars und Jupiter flog und in einen Orbit um die Objekte (1) Ceres und (4) Vesta eintrat.
Unterstützung bei Satelliten
Viel populärer als bei Raumsonden, die tief ins All fliegen, ist der Ionenantrieb jedoch schon jetzt bei Satelliten. Erdnahe Satelliten, etwa Kommunikationssatelliten in einem geostationären Orbit können mit einem Ionenantrieb Kurskorrekturen vornehmen, um auf ihrer Umlaufbahn zu bleiben und am Ende ihrer Betriebszeit können sie auf einen Friedhoforbit navigiert werden, wo sie andere Satelliten nicht stören.
Zunächst waren die meisten kommerziellen Satellitenanbieter natürlich zurückhaltend, wie sie es eigentlich bei jeder Neuheit sind, doch der Ionenantrieb ist für solch lange Einsätze einfach perfekt geeignet, praktischer und natürlich auch günstiger. Immer mehr Satelliten steigen auf Ionenantriebe um, schon bald wird es wahrscheinlich zum Standard für neue Satelliten werden.
Zukünftige Raumsonden
Doch auch zukünftige Raumsonden könnten mit Ionenantrieb weiter ins All vordringen als je zuvor. Derzeit sind mehrere Raumsonden der neuen Generation mit Ionenantrieb geplant. 2021 wird ein Ionenantrieb zunächst im Double Asteroid Redirect Test einen Forschungssonde zu einem Doppelasteroiden führen. Eine davon soll auf ihm einschlagen und beweisen, dass die Menschheit die Bahn eines Asteroiden verändern kann.
2022 soll dann die Raumsonde Psyche mit einem Ionentriebwerk zum Eisenkern eines ehemaligen Protoplaneten namens (16) Psyche fliegen, dort soll sie offene Fragen zur Planetenbildung klären. Wegen der hohen Effizienz des Ionenantriebs verspricht er auch Reisen in die Tiefen des Alls, zum Beispiel ins äußere Sonnensystem.
Es gibt etwa ein Konzept für eine Raumsonde zum Uranus, die an dem Planeten vorbeifliegen und eine Atmosphärensonde absetzen soll. Im inneren Sonnensystem würde sie einen solarelektrischen Antrieb nutzen und erst im äußeren Sonnensystem auf einen chemischen Antrieb umsteigen, da dort die Intensität der Sonnenstrahlung abnimmt. Die Raumsonde bräuchte nur zehn Jahre bis zum Uranus und könnte dabei zahlreiche Instrumente transportieren. Das ergäbe eine um ein Drittel kürzere Flugzeit.
Kleine Nuklearreaktoren an Bord zur Energieversorgung könnten Ionenantriebe auch im äußeren Sonnensystem praktikabel machen. Besonders China zeigt hier Pioniergeist, drei Raumsonden sollen bis an den Rand unseres Sonnensystems fliegen und erstmals den umliegenden interstellaren Raum in 1.000 Astronomischen Einheiten sowie die Oortsche Wolke, eine zirkumsolare Kometenwolke, erforschen. Dies wäre eine Vorbereitung auf eine erste Mission zu einem anderen Stern.
Dabei wird in Erwägung gezogen, einen Ionenantrieb einzusetzen, der zwei Jahre durchgehend feuern würde. Danach sollen Vorbeiflüge an den Planeten die Sonde weiter beschleunigen. Eine dritte Sonde soll das Sonnensystem senkrecht zur Ekliptik verlassen und somit keine Planeten passieren, daher könnte hier erstmals ein Kernreaktor zur Energiegewinnung eingebaut werden.
Einsatz in der astronautischen Raumfahrt
Doch es wird schon in drei Jahren ernst werden, denn dann wird der Ionenantrieb seinen ersten Auftritt in der astronautischen Raumfahrt haben, nämlich bei der Kolonisierung des Mondes. Dafür möchte die NASA 2022 eine Orbitalstation in der Mondumlaufbahn errichten, die bis zu vier Raumfahrer bis zu sechs Monate lang beherbergen soll, das Lunar Gateway.
Dort sollen Menschen erstmals dauerhaft fernab der Erde leben und arbeiten. Vom Lunar Gateway aus sollen dann Menschen auch mit einer Landefähre auf die Oberfläche kommen. Der Orbit, den man für die Raumstation gewählt hat, hat zwar viele Vorteile, ist jedoch instabil, sodass die Raumstation ihn mit einem eigenen Antrieb hin und wieder um einige Meter korrigieren muss.
Für genau sowas ist der Ionenantrieb perfekt geeignet. So wird die Raumstation ein Antriebsmodul haben, welches mit einem elektrischen Triebwerk ausgestattet ist. Die Energie wird es aus den an der Station befestigten Solarpaneelen gewinnen. Der konkrete Bauauftrag für das Modul ist bereits an die Firma Maxar vergeben worden, 2022 soll es gestartet werden.
Auch bei ersten astronautischen Flügen tief ins Sonnensystem, etwa zur Venus, zum Mars oder zu einem Asteroiden, könnte der Ionenantrieb genutzt werden. Die bisher konkreteste Konzeptstudie für ein Marsraumschiff ist das Deep Space Transport. Das ist ein wiederverwendbares Raumschiff, welches mit einer Kombination aus chemischem und Ionenantrieb bis zu sechs Astronauten zum Mars bringen soll.
Es soll aber nicht von der Erde aus starten, sondern das Lunar Gateway als Heimathafen nutzen. Das Deep Space Transport soll aus einem Antriebs- und Versorgungsmodul, einem Andockmodul für das Lunar Gateway und einem Habitat für die Astronauten bestehen, diese Teile sollen einzeln zum Lunar Gateway gebracht und dort zusammengebaut werden.
Als Test soll das Deep Space Transport vom Lunar Gateway abkoppeln und ein Jahr lang autark den Mond umkreisen, um zu demonstrieren, dass es eine unabhängige Mission durchführen kann. In den 30ern soll es dann zur ersten astronautischen Marsmission aufbrechen und vorher an der Venus vorbeifliegen. Die Astronauten sollen sich währenddessen im Habitat aufhalten, womöglich aber auch im Kälteschlaf. Später sollen Landungen folgen.
Der Ionenantrieb wird also nicht nur eine neue Raumsondengeneration ermöglichen und das Satellitengeschäft revolutionieren, vermutlich ist sogar der Antrieb für einen ersten Flug der Menschheit tief ins Sonnensystem ein Ionenantrieb.