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Kommentar zum Weltraumtourismus

Dennis Tito

Der Weltraumtourismus beginnt in großem Stil: Während bisher nur hin und wieder mal Tourist*innen mit zur ISS fliegen durften, gehen nun die ersten eigens für touristische Zwecke entwickelten Raumschiffe an den Start und bringen erstmals Menschen ins Weltall – sowie zuletzt die VSS Unity des Unternehmens Virgin Galactic. Selbst Mond-Tourismus scheint schon in naher Zukunft Realität werden zu können – doch dabei werden einige Probleme übersehen…

Erstmal einige wissenschaftliche Anmerkungen: In den sozialen Medien wurde viel darüber gestritten, ob die VSS Unity tatsächlich im Weltraum war oder nicht. Laut der Internationalen Aeronautischen Vereinigung (FAI) liegt die Grenze zwischen Erdatmosphäre und Weltraum bei 100 Kilometern – dies entspricht in etwa der Höhe, in der ein Flugzeug so schnell fliegen müsste, um durch den Luftauftrieb oben zu bleiben, dass die Fliehkraft bei dieser Geschwindigkeit größer ist als die Schwerkraft der Erde – nämlich mit etwa sieben km/s. Die Luftfahrt wird hier zur Raumfahrt – zumindest ungefähr hier, denn die Grenze ist fließend, schließlich endet auch die Erdatmosphäre nicht abrupt, sie wird nur immer dünner.

In einer Höhe von 10.300 Metern hat sich der Luftdruck bereits auf ein Viertel dessen, der am Boden herrscht, reduziert – so gesehen fliegt ihr schon mit dem Flugzeug durch 75-prozentigen Weltraum in die Ferien. Die USA verwenden daher nicht die Definition auf Basis der Aerodynamik, sondern legen die Grenze auf 50 Meilen (etwa 80 Kilometer) fest und da die VSS Unity eine Höhe von etwa 85 Kilometern erreicht hat, war sie nach dieser Definition tatsächlich im Weltraum.

Die scheinbare Schwerelosigkeit, welche die Passagier*innen der VSS Unity erleben, entsteht jedoch nicht dadurch, dass sie sich so weit vom Erdboden entfernen – in einer Höhe von 85 Kilometern unterscheidet sich die Erdgravitation noch nicht wesentlich von jener am Boden. Wenn die Triebwerke in einer Höhe von 42 Kilometern bei dreifacher Schallgeschwindigkeit allerdings aufhören zu brennen, schlägt die VSS Unity eine Wurfparabel ein, sodass sich die Passagiere quasi im freien Fall befinden – deshalb spüren sie keine Schwere. Allerdings genügt die Höhe von 85 Kilometern, um die Krümmung der Erde deutlich zu sehen.

Demokratisierung des Weltraumes?

Bisher wird der Flug von Virgin Galactic in vielen Medien überwiegend positiv und relativ unkritisch aufgenommen, ein häufig gefallenes Schlagwort dabei ist die vermeintliche „Demokratisierung des Weltraumes“, die mit dem Weltraumtourismus beginne.

„Viele sprechen von einer Demokratisierung des Weltraumes. Der Zugang zum Weltraum wird weiteren Bevölkerungsschichten, jedenfalls wenn sie gut betucht sind, geöffnet.“

Reinhold Ewald, ESA-Astronaut

Das Problem ist offensichtlich: Es kann sich kaum um eine Demokratisierung handeln, wenn der Weltraum nur kleinen Bevölkerungsschichten zugänglich ist – und das ist bei einem Preis von 250.000 US-Dollar inklusive Training und Raumanzug eindeutig der Fall. Aber selbstverständlich kann sich das auch ändern. Stellen wir uns vor, in einigen Jahren hat sich das Geschäft entsprechend weiterentwickelt. Virgin Galactic führt einige Flüge pro Tag durch, Blue Origin, das Raumfahrtunternehmen von Jeff Bezos, einige pro Woche und vielleicht sind noch weitere Player hinzugekommen, so plant etwa der Konzern Bigelow Aerospace gar ein Hotel im Erdorbit.

Bild eines BEAM-Moduls in der Montagehalle
Das aufblasbare Modul BEAM von Bigelow Aerospace, hier in der Montagehalle

Wenn diese Projekte realisiert werden, dann sinken wohl auch die Preise für einen Flug ins All weiter, sodass sie für einen größeren Teil der Gesellschaft realistisch sind und ein regelrechter Markt für Weltraumtourismus entsteht. Wäre dann alles gut?

Umweltbilanz des Weltraumtourismus

Nein. Überhaupt nicht. Denn um in den Weltraum zu gelangen, muss erst einmal die gesamte Atmosphäre durchkreuzt werden und dabei werden große Mengen von Stoffen abgegeben, die dort eigentlich nicht hingehören. Das SpaceShipTwo von Virgin Galactic verbrennt Verbindungen von Kohlenstoff und Wasserstoff in fester Form, den nötigen Sauerstoff dafür liefert Lachgas, eine Verbindung aus Sauerstoff und Stickstoff. Bei der Verbrennung entstehen unter anderem Kohlendioxid, welches den größten Beitrag zur menschengemachten Erderhitzung leistet, und zum anderen kohlenstoffhaltige Rußpartikel.

Zwar liegen die Emissionen in einem ausgelasteten Raumflieger pro Kopf bei „nur“ 0,8 Tonnen (zumindest nach Angaben des Unternehmens selbst, die durchaus auch bezweifelt werden) und damit unterhalb der Emissionen eines Fluges von London nach New York, allerdings werden diese in einer deutlich größeren Höhe emittiert und sind dadurch viel wirkungsvoller als Emissionen auf der Erde oder selbst die von gewöhnlichen Flugzeugen.

Aufgrund der geringen Zahl von Flügen ist die Treibhauswirkung des Weltraumtourismus und auch der Raumfahrt überhaupt noch zu vernachlässigen, aber wenn es plötzlich tatsächlich 1.000 Flüge pro Jahr gäbe – und das ist nicht unrealistisch – sähe das bereits ganz anders aus. Die Wirkung wäre wahrhaft schockierend, denn in der großen Höhe werden die Partikel über den ganzen Globus verteilt, sodass sie das Klima erheblich beeinflussen: Stellenweise sinken die Temperaturen durch den Ruß um 0,7°C, in der Antarktis hingegen steigen sie beispielsweise um 0,8°C – einer Region, die für die Eisschmelze und damit den Meeresspiegel besonders wichtig ist und diverse Kippelemente beherbergt.

Aber es wird noch schlimmer. Während die Rußpartikel die niedrigste Atmosphärenschicht, die das irdische Wetter bestimmende Troposphäre, abkühlen, erwärmen sie die darüberliegende Stratosphäre und das fördert den Abbau der Ozonschicht, einer Schicht mit einer erhöhten Konzentration von Ozon in der niedrigen Stratosphäre. Dieses Ozon erfüllt jedoch den wichtigen Zweck, die energiereiche und krebserregende UV-Strahlung der Sonne abzuschirmen.

Erholung des Ozonlochs
Seit der Jahrtausendwende erholt sich die Ozonschicht – doch das könnte gefährdet werden.

Über den unbewohnten Polen könnte sich der Ozongehalt durch den Weltraumtourismus sogar erhöhen, doch über dem Äquator wird er sinken. Die Folge könnten höhere Krebsraten in den entsprechenden Regionen sein. Aktuell sind erst 0,1% der ozonschädigenden Emissionen auf Raketen zurückzuführen, doch der Anteil wird mit dem Weltraumtourismus drastisch steigen und könnte den insgesamt positiven Trend im schlimmsten Fall gefährden. Selbst Michael Mills der leitende Forscher einer entsprechenden Studie vom National Center for Atmospheric Research in Boulder war schockiert von den Ergebnissen.

„Die Reaktion des Klimasystems auf die relativ kleine Ruß-Menge ist überraschend.“

Michael Mills, National Center for Atmospheric Research in Boulder

Dem wohnt schon eine gewisse Ironie inne: Wir bringen Tourist*innen an den Rand des Weltraums, was noch vor wenigen Jahrzehnten als Science Fiction galt, aber tun das noch mit derselben Energiequelle, die wir seit über 200 Jahren nutzen – das Verbrennen von Pflanzenkadavern aus der Kreidezeit. Es kann uns also kaum etwas Schlimmeres passieren als dass der Weltraumtourismus für alle zugänglich wird, zumindest solange keine nachhaltigeren Techniken zur Verfügung stehen.

Eine ECHTE Demokratisierung des Weltraums

Wie sieht denn nun mein Gegenentwurf aus? Die Raumfahrt muss wieder der Wissenschaft dienen, es gibt so viele Ziele, die wir innerhalb weniger Monate oder Jahre erreichen könnten. Wir können Raumsonden bauen, die in unter den Eiskrusten verborgenen Ozeanen der Jupitermonde nach Spuren außerirdischen Lebens suchen, die noch kaum erforschten Eisriesen Uranus und Neptun genauer unter die Lupe nehmen, wir könnten auch unsere Erdbeobachtungsprogramme intensivieren, um präzisere Daten über den aktuellen Stand von Eisschmelze, Meeresspiegelanstieg und Ozonschicht zu erhalten. Stattdessen lassen wir ein paar dutzend Menschen pro Jahr kurz an der Grenze des Alls kratzen.

Wir sind in ein Sonnensystem voller interessanter Orte hineingeboren und uns Menschen fällt nichts besseres ein als Geld damit zu verdienen? Natürlich können und müssen auch Privatunternehmen in der Raumfahrt eine Rolle spielen, etwa beim Transport von Fracht und Menschen oder der Herstellung von Modulen. Ein Vorschlag: Ein kleines Habitat auf der Oberfläche des Mondes (bspw. im wissenschaftlich hochinteressanten Südpol-Aitken-Becken) für Forschung und Entdeckung als Nachfolgerin der ISS, betrieben von den Weltraumorganisationen der Erde und versorgt von kommerziellen Partnern – als gemeinsamen Außenposten der Menschheit, als ersten Schritt der Eroberung des Weltraums und als den Ort, an dem der Mensch lernt, dauerhaft fernab seines Heimatplaneten zu leben – zusammen. Wenn Kapazitäten vorhanden sind, können dann vielleicht auch mal Tourist*innen mitfliegen – es geht nicht darum, Weltraumtourismus zu verbieten, es geht darum, die ökologischen Gesichtspunkte nicht zu vergessen.

Für eine echte Demokratisierung des Weltraums braucht es eine Neuauflage des Weltraumvertrags, denn als er in den 60ern beschlossen wurde, lag der Fokus noch auf dem Gebrauch von Nuklearwaffen im All und der Prävention von Weltraumkriegen. Das ist heute natürlich immer noch wichtig, doch in Zeiten, in denen eine Privatperson 40.000 Satelliten in den Erdorbit schießen kann, genügt es nicht mehr – es braucht auch Regelungen für die private Raumfahrt. Eine Nutzungsgebühr für Satellitenplätze im Erdorbit und Maßnahmen gegen Weltraumschrott sowie zum Schutz der Ozonschicht könnten erste Schritte sein.

Wie geht es weiter?

Und wie wird es wirklich kommen? Anders. Auch Blue Origin wird schon bald Tourist*innen ins Weltall (und zwar tatsächlich auf eine Höhe von über 100 Kilometern) bringen, nicht mit einem Raumflugzeug, sondern mit der klassischen Raketentechnologie und in einer Kapsel, die mit den „größten Fenstern im Weltraum“ wirbt. Auch die Rakete kann separat landen und wiederverwendet werden.

Kapsel von Blue Origin nach der Landung
Kapsel von „Blue Origin“ nach der Landung

Auf der Website verspricht das Unternehmen mit dieser Technologie den „Weltraum für alle“.

„Earth, in all its beauty, is just our starting place. Blue Origin is opening the promise of space to all.“

Blue Origin

Globale Regeln im Weltraum, die auch für Konzerne gelten, scheinen derweil beinahe utopisch, schließlich gerät selbst der bisherige Konsens zur friedlichen Nutzung des Weltraums ins Wanken: Immer wieder kommt es zu provokativen Machtdemonstrationen, die USA, Indien, Frankreich, aber auch China entwickeln Raketen oder Laserwaffen, mit denen Satelliten im Weltraum zerstört werden können – 2019 feuerte Indien damit einen eigenen Satelliten ab, vermutlich auch als Kampfansage an das verfeindete Pakistan. Zum ersten Mal seit 50 Jahren ist wieder richtig Bewegung im Aufbruch ins All – allerdings unter keinem guten Zeichen.

Mond-Tourismus ab 2023?

Während im Eurospace-Report aus dem Jahr 2006 touristische Flüge zum Mond etwa auf das Jahr 2100 datiert wurden, schaut es nun ganz danach aus, dass der Raumfahrtkonzern SpaceX schon in wenigen Jahren bis zu acht Menschen zum Mond und zurück fliegen wird – im Starship, einem großen wiederverwendbaren Raumschiff, das eines Tages auch bis zu 100 Menschen pro Flug zum Mars bringen soll. Es enthält Duschen, ein Labor, ein Gewächshaus und auch einen Schutzraum für Sonnenstürme – wobei das Schiff für touristische Flüge wohl auch umgestaltet werden könnte.

Die Dimensionen dieses Projekts sind enorm: Hunderte hochqualifizierte Menschen aus Wissenschaft und Technik müssen für einen solchen Raketenstart arbeiten und ihre Kapazitäten darauf verwenden, eine Flugverbotszone muss eingerichtet werden, enorme Mengen Treibstoffs werden verbraucht und letztlich bleibt natürlich auch das Risiko eines Starts – all das sind gute Gründe dafür, dass Weltraumflüge bisher noch keine reinen Vergnügungsunternehmen sind.

Der Nutzen muss im Verhältnis zu diesem riesigen Aufwand und Risiko stehen: Ob dies bei der ISS oder dem Apollo-Programm der Fall ist, wird kontrovers diskutiert – ich persönlich denke ja. Aber bei einem reinen Vergnügungsflug ist der praktische Nutzen definitiv viel zu gering, egal wie viele noble Motive Yusaku Maezawa, Milliardär und erster Kunde für die Mondfahrt mit Starship, auch nennen mag. Er möchte ausgewählte Künstler*innen auf den Flug einladen, die nach der Reise dann davon inspirierte Kunstwerke schaffen.

„Diese Meisterwerke werden den Träumer in uns allen inspirieren.“

Yusaku Maezawa

Geplant ist Maezawas Flug derzeit für 2023, doch noch in diesem Jahr sollen vier Tourist*innen die Erde in einer kleineren Dragon-Raumkapsel von SpaceX drei Tage lang umkreisen – der erste rein zivile Raumflug der Menschheitsgeschichte

Aufführung in Mikrogravitation innerhalb eines Starships
Unterhaltungsprogramm in der Mikrogravitation auf einem Starship-Flug

Ich will hier nicht die Spaßbremse sein, denn ich kann den Drang, selbst in den Weltraum fliegen zu wollen, voll uns ganz nachvollziehen. Wer würde nicht gerne mal auf dem Mars-Vulkan Olympus Mons fast bis in den Weltraum klettern, von einem Zeppelin in der Venus-Atmosphäre den Merkurtransit beobachten oder in der dicken Atmosphäre des Saturnmonds Titan nur mit einem Wingsuit wie ein Vogel abheben können?

Wäre der Preis auf dem Niveau irdischer Reisen und die ökologischen Probleme gelöst, wäre ich ohne zu zögern selbst dabei. Wer könnte schon widerstehen, wenn solche Poster im Reisebüro der Zukunft hängen? Auch wenn es sicherlich noch dauern wird, bis Menschen oder gar Tourist*innen tief ins Sonnensystem vordringen, auszuschließen ist das alles längst nicht mehr. In einem halben Jahrhundert könnte es Weltraumhotels geben, die für eine Masse an Menschen bezahlbar sind – nicht jedes Jahr, aber vielleicht einmal im Leben.

NASA-Werbeposter touristische Ziele im Sonnensystem

Aber leider ist das nicht unsere Zeit, unser Geburtsdatum verdammt uns zu einem Jahrhundert, das voll und ganz im Zeichen dessen steht, dass wir Gefahr laufen, unseren eigenen Planeten unbewohnbar zu machen. Wer die Atmosphäre unserer Erde und damit viele Menschenleben weniger wohlhabender Menschen aufs Spiel setzt, bzw. in besorgniserregenden Maße dazu beiträgt, um seinem persönlichen und absolut nachvollziehbaren Wunsch nachzugehen, einmal in den Weltraum zu fliegen, verhält sich unanständig.

Im Kampf gegen die Klimakrise gilt das, was in jedem wichtigen Kampf gilt: Absolutheit. Wir müssen jetzt nette, aber nicht notwendige und für den Kampf hinderliche Aktivitäten zurückstellen, um all unsere Ressourcen darauf zu verwenden, den Kampf zu gewinnen. Wissenschaft und Forschung sowie Exploration sind für unsere Spezies notwendig, aber Weltraumtourismus ist es nicht. Denn eines ist klar:

Werbeposter für die Erde

Hier bei uns zuhause ist die Luft frei und das Atmen leicht. Tun wir alles dafür, dass es so bleibt.

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1 Comment

  • Rainer Kirmse , Altenburg
    Rainer Kirmse , Altenburg

    Weltraumtourismus kann teurer werden,
    drum bleiben wir hier lieber auf Erden.😉

    ASTRO-FREUNDE 🌠🪐🌜 🔭

    Sie blicken zu Mond und Sternen,
    sind den Planeten auf der Spur;
    reisen zu des Weltalls Fernen,
    wenn auch mit Teleskopen nur.

    Unterwegs in finsterer Nacht,
    im Banne der himmlischen Pracht;
    Licht aus, Sterne an, klare Sicht –
    viel mehr brauchen sie dazu nicht.

    Rainer Kirmse , Altenburg

    Herzliche Grüße aus Thüringen

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