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Margaret Hamilton

Bild: Daphne Weld Nichols, Photographer, Margaret Hamilton 1995, schwarz-weiß, CC BY-SA 3.0

Die erste astronautische Landung von Menschen auf dem Mond gehört zweifellos zu den größten Leistungen, die wir Menschen je erbracht haben und hat unseren Maßstab für das Mögliche für immer verändert. Doch klar ist auch, dass die drei Astronauten, die schließlich zum Mond aufbrachen nur die Spitze des Eisbergs waren und jahrelange harte Arbeit von etwa 400.000 Menschen verkörperten, deren Namen heute kaum jemand kennt. Eine der wichtigsten Beiträge zum Apollo-Programm leistete aber sicherlich die Mathematikerin und Informatikerin Margaret Hamilton. Sie schrieb ein Programm, das ein Raumschiff zum Mond bringen konnte und das in einer Zeit, in der die stärksten Computer viel schwächer waren als ein einfaches Smartphone…

Steckbrief: Margaret Hamilton

Vollständiger Name: Margaret Elaine Heafield Hamilton

Geboren: 17. August 1936 in Paoli

Berufsfeld: Informatik, Mathematik

Projekte: Semi-Automatic Ground Environment (SAGE); On-Board-Flugsoftware des Apollo-Raumschiffs; Software der Raumstation Skylab

Ehrungen: Ada Lovelace AwardNASA Exceptional Space Act AwardOutstanding Alumni Award; Computer History Museum Fellow Award; Legofigur von ihr im Women of NASA-Set gemeinsam mit Figuren von Mae Jemison, Sally Ride und Nancy Grace; Ehrendoktorwürden der Polytechnischen Universität von Katalonien und des Bard Colleges; Washington Award; Intrepid Lifetime Achievement AwardPresidential Medal of Freedom

Lebenslauf

1936: Geburt in Paoli

1954: Abschluss an der Hancock High School

1955: Mathematikstudium an der University of Michigan

1958: Bachelor der Mathematik am Earlham College

1959: Geburt von Margaret Hamiltons Tochter, der Schauspielerin Lauren Hamilton

1961: Beginn der Arbeit am SAGE, einem Computersystem zur Erstellung eines einzigen Radarbildes des Luftraums in einem größeren Gebiet

1963: Fertigstellung ihrer Arbeit am SAGE

1965: Beginn der Arbeit an der Apollo-Software

1969: Margaret Hamiltons Software ermöglicht die erste astronautische Mondlandung

1973: Start der Raumstation Skylab, ebenfalls mit Margaret Hamiltons Software ausgestattet

1976: Beginn als Geschäftsführerin bei der Firma Higher Order Software, bei der sie selbst Mitgründerin war

1984: Ende als Geschäftsführerin bei Higher Order Software

1986: Gründung von Hamilton Technologies, Inc.

2005: Erscheinung eines Dokuments, welches zum Schluss kommt, dass Margaret Hamiltons Software erkannt hat, dass sie mit falschen Informationen der Hardware versorgt wurde und darauf reagierte

2016: Auszeichnung mit der Presidential Medal of Freedom

Zitate

“Rückblickend betrachtet waren wir die glücklichsten Menschen der Welt. Es gab keine andere Wahl, als Pioniere zu sein; keine Zeit, Anfänger zu sein.“

Margaret Hamilton

“Es ist immer toll, wenn sich Leute für deine Arbeit interessieren.“

Margaret Hamilton

“Die Software gewann tatsächlich und notwendiger Weise den gleichen Respekt wie jede andere Disziplin.“

Margaret Hamilton

Lebenswerk

Keine einzige Frau ist je mit dem Apollo-Programm zum Mond geflogen. Selbst im NASA-Kontrollzentrum saß zu diesem Zeitpunkt nur eine einzige Frau. Man könnte meinen, dass Apollo eigentlich ein reines Projekt von Männern war, zumindest wenn man betrachtet, welche Personen in diesem Kontext öffentliche Präsenz genossen. Doch das ist komplett falsch, denn um Menschen zu einem anderen Himmelkörper zu bringen, sind natürlich viel mehr Personen nötig als nur die drei Astronauten, die im Raumschiff sitzen. Es benötigt zum Beispiel eine Software, mit der man im Weltraum und dann vor allem beim Anflug auf den Mond navigieren kann – ein sehr kritischer Punkt, zahlreiche robotische Raumsonden gingen bereits verloren oder sind auf der Oberfläche zerschellt.

Damals waren Computer unzuverlässig, so groß wie ganze Zimmer und überhitzten schnell und „Programmieren“ bedeutete damals noch das Ausstanzen von Löchern in Lochkarten, die dann über Nacht verarbeitet wurden. Es ist Fakt, dass der Arbeitsspeicher des Apollo Guidance Computers, des Bordcomputers des Apollo-Raumschiffs, etwa eine Millionen Mal kleiner ist als der eines Smartphones.

Die vollkommen autonome Steuerung war daher damals noch nicht möglich, die Mondlandefähre musste von Neil Armstrong manuell gesteuert werden, die digitalen Systeme halfen ihm lediglich dabei, richtig zu navigieren. Die Flugbahnen wurden zum Beispiel im Voraus auf der Erde berechnet, und zwar per Hand von sogenannten „Computern“. Damit gemeint sind aber nicht die digitalen Rechner, Computer, also „Rechner*in“ war damals tatsächlich ein Beruf bei der NASA und meistens waren die Computer Frauen – Frauen wie Margaret Hamilton.

Sie hatte sich bereits vor ihrer Karriere bei der NASA einen Ruf als Programmiererin und auch als Mathematikerin verschafft, so hat sie etwa mit Edward Lorenz, dem Vater der Chaostheorie (meinem eigenen Forschungsgebiet) an den damals noch sehr unzuverlässigen Wettervorhersagen gearbeitet – ein mathematisch äußerst anspruchsvolles Feld.

Als es daher dann darum ging, Programmierer*innen für die Software des neu entwickelten Raumschiffs zu finden, war Margaret Hamilton von Anfang an ganz vorne dabei. Heute sieht das Apollo-Raumschiff mit seinen Luken, Kabeln und Verkleidungen neben den autonomen per Touchpad bedienbaren Raumschiffen von SpaceX fast schon antik aus, doch man kann sich kaum vorstellen, was für ein futuristisches Gefährt das für die Menschen in den 60ern gewesen sein muss – und wie unvorstellbar die Aufgabe, eine Software zu programmieren, mit der man damit zum Mond kommt.

Programmieren war damals überhaupt noch etwas ganz anderes, es gab keine Kurse oder Bücher dazu, Programmieren war nur etwas für weit fortgeschrittene Wissenschaftler*innen, denn einfache und verständliche Programmiersprachen, die im Grunde jede*r in einigen Wochen lernen kann, gab es damals noch nicht – wozu auch, so ohne Internet oder andere praktische Anwendungen im Alltagsleben? Für die wenigen Wissenschaftler*innen, die sich damit beschäftigen, galt Learning by Doing und so auch für Margaret Hamilton. Viele Ansätze entwickelte sie komplett selbst, vor allem auf den Gebieten der Softwareentwicklung, der Systemarchitektur, den Mensch-Maschine-Schnittstellen und vielen weiteren. Einige sagen, Margaret Hamilton habe die Disziplin der Softwareentwicklung gar erfunden.

Schließlich konnte sie jedenfalls eine Software vorweisen, welche den Astronauten bei der Navigation auf dem dreitägigen Flug zum Mond und vor allem der Landung dort hilft. Das Programm bestand aus unglaublich viel Code, als Margaret Hamilton ihn ausdruckte und die Blätter stapelte, war der Stapel fast so groß wie sie selbst. Vor allem aber war Margaret Hamiltons Software die erste überhaupt, die auch menschliche Fehler einkalkulierte.

Bisher ist man in der Informatikwelt eigentlich immer davon ausgegangen, dass Menschen, besonders Astronauten, perfekt und eigentlich vollkommen fehlerfrei seien. Doch durch einen interessanten Zwischenfall begann Margaret Hamilton dies zu hinterfragen: Da sie während des Programms fast rund um die Uhr an einer originalgetreuen Nachbildung des Raumschiffs und der Landefähre arbeitete, brachte sie meist ihre Tochter Lauren mit zur Arbeit und diese nutzte die Raumschiff-Attrappen natürlich als Abenteuerspielplatz.

Dabei kam Lauren aus Versehen auf einen Knopf, dessen Auslösen während eines Flugs fatale Folgen haben könnte. Margaret Hamilton dachte sich darauf, dass sich auch nervöse Astronauten mal vertippen könnten und ging mit diesem Anliegen zu den Vorgesetzten bei der NASA. Diese wiederum nahmen sie nicht wirklich ernst und beteuerten, ihre Astronauten seien perfekt ausgebildet und ihnen würde sowas nie passieren.

Schon bei der nächsten Mission passierte allerdings genau das und es kam zu einem Totalausfall, den Margaret Hamilton und ihre Kolleginnen und Kollegen in Windeseile manuell korrigieren mussten. Von da an war auch den Verantwortlichen bei der NASA und dem Massachusetts Institute of Technology klar, dass sie Recht hatte. Es war das erste Mal, dass Computer mehr machten als nur stumpf Vorschriften abarbeiten, zum ersten Mal interagierten sie wirklich mit Menschen und entschieden selbstständig – was sich später als bitter notwendig erweisen sollte.

Denn als Margaret Hamiltons Software einige Monate später bei Apollo 11 zum Einsatz kam, trat der Ernstfall ein. Kurz vor der Landung auf dem Mond war der Computer plötzlich überlastet von der Flut anströmender Daten und gab Fehlermeldungen aus. Im NASA-Kontrollzentrum war man sehr besorgt, würde man nicht schnell eine Lösung finden, ginge der Treibstoff für den Rückflug drauf und die Astronauten müssten ohne Landung die Heimreise antreten.

Doch Margaret Hamiltons Programm hat geliefert: Es erkannte, dass mehr Arbeit von ihm verlangt wurde, als es ausführen konnte. Nicht unbedingt für die sichere Landung benötigte Funktionen wurden daher automatisch deaktiviert, etwa das (aus zunächst unerfindlichen Gründen) sinnlos laufende Rendezvous-Radar, welches 15% der Kapazitäten schluckte. So konnte das Programm Neil Armstrong weiterhin unterstützen und er wenige Minuten später sanft im Meer der Stille aufsetzen.

Die genaue Rolle von Margaret Hamiltons Programm und der Hergang des gesamten Vorfalls waren lange Gegenstand von Aufarbeitungen, schließlich kam man jedoch zum Schluss, dass die Landung ohne das Intervenieren des Programms nicht möglich gewesen wäre. 2005 erschien dann auch ein Dokument, das die Ursache für den Vorfall offen legte: Das Rendezvous-Radar lieferte aufgrund eines Hardware-Fehlers weiterhin Daten an den Computer, obwohl es sich im Stand-by-Modus befand, da die Daten zu diese Zeitpunkt sinnlos waren. Ich stelle mir häufig vor, was für eine verdammte Genugtuung dies für Margaret Hamilton gewesen sein muss. Ihre Standards setzen sich danach jedenfalls durch, heute ist es selbstverständlich, dass Programme ihren Betrieb selbst managen.

Margaret Hamilton selbst beschrieb die Lage am 1. März 1971 in einem Brief an das Computermagazin Datamation wie folgt:

„Aufgrund eines Fehlers in der Checkliste wurde der Schalter für das Rendezvous-Radar in die falsche Position gebracht. Dadurch wurden falsche Signale an den Computer gesendet. In der Folge musste der Computer seine normalen Funktionen für die Landung ausführen und erhielt gleichzeitig zusätzlich sinnlose Daten, deren Verarbeitung bis zu 15 % seiner Kapazität beanspruchte. Der Computer (bzw. vielmehr die Software in ihm), war schlau genug zu erkennen, dass mehr Arbeit von ihm verlangt wurde, als er ausführen konnte.

Er löste daher einen Alarm aus, der dem Astronauten sagen sollte: ‚Ich bin durch Aufgaben überlastet, die ich jetzt nicht ausführen sollte, und ich werde mich nur auf die wichtigen Aufgaben konzentrieren,‘ also die, die für die Landung benötigt werden. […] Tatsächlich war der Computer programmiert, mehr zu tun, als nur den Fehler zu erkennen: In der Software befand sich ein ganzer Satz an Rettungsprogrammen. In diesem Fall reagierte er damit, die weniger wichtigen Aufgaben abzubrechen und die wichtigeren wieder zum Zug kommen zu lassen. […] Hätte der Computer das Problem nicht erkannt und entsprechend reagiert, dann bezweifle ich, dass Apollo 11 die erfolgreiche Mondlandung geworden wäre, die sie war.“

Margaret Hamilton

Der letzte Satz zeigt vielleicht das Ausmaß der Bedeutung von Margaret Hamiltons Arbeit sehr gut auf. Sie veränderte ihr Berufsfeld in jedem Fall nachhaltig, nicht nur indem sie neue Standards in der Informatik setzte und das Gebiet der Softwareentwicklung ins Leben rief, sondern auch durch die nachfolgenden Anwendungen ihrer Technologie in der Raumfahrt. Margaret Hamiltons Software brachte anschließend nämlich noch viele weiteren Menschen zum und auf den Mond und auch nach Ende des Apollo-Programms ging es weiter.

Die NASA plante, die restliche Apollo-Hardware weiter zu nutzen, etwa durch eine Mondbasis, einen Flug zur Venus oder aber den Umbau einer Saturn V-Oberstufe zu einer kleinen Raumstation für eine dreiköpfige Besatzung. Letzteres wurde schließlich als einziges Element dieses Apollo Applications Programs umgesetzt, und zwar unter dem Namen Skylab. Mit dem Skylab führten auch die USA erstmals Langzeitaufenthalte im Weltraum durch und erforschten die physischen und psychischen Auswirkungen derer auf Astronaut*innen. Skylab war aber natürlich auch technologisch eine Meisterleistung, Margaret Hamiltons Software wurde auch hier eingesetzt. Und letztlich basieren selbst die autonomen Programme, die heute Menschen ins All bringen, zu einem großen Teil auf der Arbeit Margaret Hamiltons.

Langsam beginnt man auch in der Wissenschaft, die Beiträge der vielen weiblichen Computer zu würdigen, US-Präsident Barack Obama demonstrierte das, in dem er Margaret Hamilton die Presidential Medal of Freedom verlieh. Mittlerweile machen Frauen aber auch bei der NASA zum Glück nicht mehr nur die wenig angesehene Arbeit und rechnen, das machen sowieso digitale Computer, auch Frauen bauen nun an Raketen mit, übernehmen Führungspositionen im Raumfahrtmanagement und fliegen natürlich auch selbst ins All – was Emanzipation im Weltall angeht, sind die Amerikaner*innen uns Europäer*innen sogar um einiges voraus.

Und so lange wird es auch bis zur ersten Frau auf dem Mond nicht mehr dauern, 2024 sollen die nächsten Menschen am Südpol des Mondes landen und sich dort länger aufhalten und dann soll auch die erste Frau im Mondstaub hüpfen. Auch in Deutschland und Europa geht es voran, wenn auch langsamer, eine private Initiative bildet etwa derzeit die ersten deutschen Astronautinnen aus. Klar ist aber, dass alle Frauen und alle Männer, die in Zukunft noch auf dem Mond landen, leben und arbeiten werden, in den Fußstapfen einer Programmiererin und ihrer neugierigen Tochter waten – in den Fußstapfen von Lauren und Margaret Hamilton.

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