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Versinken Tuvalu und Kiribati im Meer?

Versinken Tuvalu und Kiribati im Meer?

Die pazifischen Inselstaaten sind längst zu Symbolen der Klimakatastrophe geworden – der Meeresspiegelanstieg lasse vor allem Tuvalu und Kiribati im Meer versinken, hört und liest man häufig. Doch stimmt das eigentlich?

Schlagzeilen wie diese sind bekannt:

„Ein Staat geht unter: Tuvalu versinkt im Meer“

Doch andere behaupten, die Inseln würden sogar wachsen:

„Inseln: Tuvalu geht nicht unter – im Gegenteil“

Beides gleichzeitig scheint kaum zu funktionieren. Aber wie ist es denn nun, versinken Tuvalu und Kiribati im Meer oder handelt es sich doch um Unwahrheiten für den guten Zweck? Leider lässt sich darauf keine allzu einfache Antwort geben. Schauen wir uns das einmal genauer an.

Wieso steigen die Pegel?

Zu Beginn stellt sich die Frage, wie man überhaupt darauf kommt, dass die Inselstaaten im Meer versinken. Der Grund dafür ist in erster Linie die menschengemachte Globale Erhitzung durch den Ausstoß von Treibhausgasen. Besonders schnell erwärmt sich die Erde dabei in der Arktis, da sich hier ein Teufelskreis einstellt: Durch das Abschmelzen von Eis treten dunklere Flächen zutage, die einen größeren Anteil des Sonnenlichts absorbieren und die Erwärmung damit weiter vorantreiben. Das hat messbare Folgen: Während die Globale Erhitzung zur vorindustriellen Zeit sich bisher auf etwa 1,2°C beläuft, erwärmten sich die Landflächen der Arktis seit 1979 um 0,5°C – aber pro Jahrzehnt! 

Derzeit befindet sich die Erde in einem Eiszeitalter, ihre Pole sind also von größeren Eismassen bedeckt – sehr viel Wasser lagert dort in gefrorener Form. Schmilzt das in Grönland und der Antarktis auf Kontinentalkruste gelegene Eis durch die Globale Erhitzung, steigt dadurch der Meeresspiegel. Zusätzlich steigt er durch die Erhöhung der Wassertemperatur der Ozeane, denn Wasser vergrößert bekanntlich sein Vilumen, wenn es erhitzt wird.

Dieser Meeresspiegelanstieg lässt sich auch messen: Seit 1880 sind die Pegel im globalen Durchschnitt um etwa einen viertel Meter gestiegen. 2018 wurde mit 3,7 Millimetern in einem Jahr ein Rekordwert registriert. Damit folgt der Pegelanstieg dem oberen Rand der IPCC-Prognosen aus den 1990er Jahren. Es wird mit einer drastischen Beschleunigung in den nächsten Jahrzehnten gerechnet, auf bis zu 50 Millimeter pro Jahr ab 2060. Dies würde sich auf einen weiteren Meeresspiegelanstieg von nochmal über einem Meter bis 2100 belaufen.

Wieso die Südseestaaten?

Nun rücken in Anbetracht dieser Entwicklung vor allem bestimmte Risikogebiete in den Fokus: Dazu gehören niedrig gelegene Flächen wie die Niederlande, große Teile Bangladeschs, Teile Chinas und der USA, aber auch die deutsche Nordseeküste. Ebenfalls besonders gefährdet sind allerdings viele Inselstaaten im südpazifischen Ozean – dort, wo der Osten fast schon wieder Westen ist. Uns wirken diese Staaten oft sehr fremd und fern, vielen sagen wohl die Namen Nauru, Palau oder Mikronesien kaum etwas. Lediglich wenn es um die Klimakrise geht, rücken diese Staaten hin und wieder in den Fokus.

Das liegt auch daran, dass die viele Inselstaaten dort Teil des sogenannten zirkumpazifischen Feuerrings sind. Dabei handelt es sich um eine Art Gürtel, an dessen Rändern mehrere Erdplatten aufeinander treffen, was zu extrem starker vulkanischer Aktivität führt – mindestens zwei Drittel der in der letzten Zeit ausgebrochenen Vulkane befinden sich dort. Bei einem Großteil der Inseln handelt es sich daher um unterseeische Vulkane, die nur wenige Meter aus dem Meer hinausragen. Dennoch leben inzwischen recht viele Menschen auf diesen Inseln.

  Einwohnerzahl Höhe über dem Meeresspiegel
Malé 142.909 1 m
Nukuʻalofa 35.200 3,05 m
Apia 36.735 2 m
Majuro 27.797 3 m
Vaiaku 682 0-1 m
South Tarawa 56.388 3 m
Castries 3.661 2 m
Bridgetown 110.000 1 m

Gleichzeitig sind viele Staaten Ozeaniens extrem wirtschaftsschwach, die sechs Länder mit den geringsten Bruttoinlandsprodukten der Erde liegen alle in Ozeanien – Tuvalu hat beispielsweise nur ein Bruttoinlandsprodukt von 42 Millionen US-Dollar, das ist die kleinste Volkswirtschaft der Welt.

Aus diesen Gründen können sich diese Staaten kaum vorbeugende Maßnahmen für Küstenschutz oder Landgewinnung leisten. Während wir in Europa Deiche bauen, Wasser abpumpen und über Dämme zur Abgrenzung der Nordsee vom Atlantik sprechen, ist man dort den Gewalten der Natur mehr oder weniger schutzlos ausgeliefert.

Zudem fällt der Meeresspiegelanstieg im Pazifik tendenziell stärker aus als in anderen Ozeanen, stellenweise viermal stärker als im weltweiten Durchschnitt, der Spiegel steigt dort um 12 Millimeter pro Jahr. Schließlich sind die Ozeane so groß, dass sich Wasser nicht wie in einem Glas überall gleich ausbreitet, etwa durch Meeresströmungen ergeben sich regionale Unterschiede.

Der Eisbär des Südens

Aus all diesen Gründen sind die Staaten Ozeaniens besonders betroffen vom Meeresspiegelanstieg. Auf vielen Klimakonferenzen sind die Staatsoberhäupter*innen der Inselstaaten daher anwesend und werfen den Industriestaaten vor, ihre Länder würden nicht nur unter den Folgen der Klimakrise leiden, wie es wohl alle tun, sondern ihnen sogar gänzlich zum Opfer fallen – nämlich im Ozean versinken.

Diese Sachlage hat sich längst im kollektiven Gedächtnis festgebrannt, die Inselstaaten wurden zum Symbol für die Umweltzerstörung durch die Erderhitzung, vergleichbar mit Eisbären, Gorleben oder dem Hambacher Forst. Nirgends scheint man dem Ende der Welt näher zu sein als dort, wo es jedes Jahr ein wenig näher an die Häuser kommt. Doch ist das lediglich ein modernes Märchen oder tatsächlich ein realistisches Szenario? Es ist kompliziert…

Erhebliche regionale Unterschiede

In Tuvalu ist der Meeresspiegel beispielsweise zwischen 1971 und 2014 um durchschnittlich vier Millimeter pro Jahr gestiegen, das zeigen Aufnahmen aus der Luft und dem Weltraum. Tatsächlich ist die Fläche des Inselstaates insgesamt aber um fast drei Prozent gewachsen. Die Küstenverläufe haben sich stark verändert, Land ist untergegangen und Land ist entstanden. Aber unterm Strich wurde Land gewonnen.

Der Grund dafür ist paradoxer Weise zum Teil auch die Klimakatastrophe. So wurden zahlreiche Korallen abgetötet, vor allem durch Stürme, die durch die Klimakatastrophe deutlich häufiger wurden. Ihre Ablagerungen wurden dann von Wellen an Land gespült und ließen die Küsten wachsen – eine Art natürliche Aufschüttung.

Wenn das Land dann später wieder unter dem Wasserpegel lag und Flächen für eine längere Zeit von Wasser bedeckt waren, lagerten sich natürlich auch dort Sedimente ab. Abgetragener Sand wurde also irgendwo anders einfach wieder dran gespült. Die Inseln haben dadurch ihr Gesicht verändert, sind jedoch insgesamt gewachsen.

Als diese Studie von Paul Kench der University of Auckland erschien, stürzten sich natürlich die Klimaleugner*innen nur so darauf. Sie feierten ihn und seine Ergebnisse als wissenschaftliche Einräumung, dass die „Hysterie“ um die Klimakrise unbegründet ist – ungewollt, denn in seiner Arbeit zweifelt Kench natürlich nicht an der menschengemachten Klimakatastrophe. Ganz im Gegenteil.

Inseln bereits versunken

Denn trotz des Wachstums durch Sedimente steigt der Meeresspiegel nun mal und daher ist auch bereits eine Insel Tuvalus gänzlich im Meer versunken. Ganze 27 weitere Inseln Tuvalus sind erheblich geschrumpft, teils um über die Hälfte. So werden Menschen in Tuvalu dennoch ihre Heimat verlassen müssen, denn diese Inseln werden in Zukunft vermutlich weiter schrumpfen und auch im Meer versinken.

Tuvalu als ganzer Inselstaat wird also vorerst nicht von der Landkarte verschwinden, eine Insel jedoch ist es schon und zahlreiche andere werden folgen. Daher werden die Tuvaluer*innen ihr Leben verändern müssen, bisher bewohnen sie überwiegend zwei Atolle. In Zukunft werden jedoch auch mittelgroße Eilande besiedelt werden müssen, denn diese sind insgesamt noch die stabilsten.

Es wird also staatlich organisierte Umsiedlungsmaßnahmen geben müssen – und das in einer Nation, deren größer Exportschlager das Länderkennzeichen „TV“ fürs Fernsehen ist. Prinzipiell ist die Herausforderung in Tuvalu jedoch zu bewältigen, besonders wenn die Täterstaaten der Klimakrise ihren Beitrag zur Behebung der Folgen leisten.

Kiribati besonders betroffen

Deutlich schlimmer als in Tuvalu ist die Situation allerdings in Kiribati, hier geht man tatsächlich davon aus, dass der gesamte Inselstaat von der Landkarte verschwinden wird – kein Staat der Erde ist heftiger vom Meeresspiegelanstieg betroffen. Und so ist es die primäre Aufgabe des Präsidenten von Kiribati, den Untergang seines Landes vorzubereiten.

Zahlreiche Inseln in Kiribati sind bereits versunken, so koordiniert die kiribatische Regierung derzeit die Evakuierung. Während Tuvalu vermutlich auch 2100 noch zum Großteil besteht, wird Kiribati wohl bereits bis 2050 weitgehend unbewohnbar und bis 2070 gänzlich versunken sein. Das ergeben Berechnungen der Weltbank.

Dabei ist Kiribati schon jetzt extrem überbevölkert, die Menschen entnehmen Sand zum Bauen, durch einen Damm wurde eine Meeresströmung umgeleitet, die im Anschluss zum Untergang einer Insel führte und die Klimakrise sorgt gleichzeitig für Wassermangel, extreme Dürren und kaum nutzbares Grundwasser. Kiribati scheint unwiederbringlich verloren zu sein.

Erste Umsiedlungen geplant

Noch hat Kiribati Zeit. Die Vorstellungen, dass Inseln rasch versinken und schon morgen unter Wasser stehen, sind falsch. Dennoch wird es eine Umsiedlung brauchen, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat und das benötigt ausreichend Vorlaufzeit. Sollten Menschen tatsächlich obdachlos werden oder gar sterben, wäre das an Tragik wohl kaum zu überbieten.

So sollen zunächst pro Jahr etwa 100 Menschen aus Kiribati nach Neuseeland umziehen – als erste Klimaflüchtlinge der Welt, Flüchtlinge einer neuen Epoche. Neuseeland erklärte sich zur Aufnahme einer kleinen Quote bereit. Gleichzeitig wurde ein Landstück der benachbarten und sicheren Fidschi-Inseln gekauft.

Im absoluten Notfall könnten alle 110.000 Einwohner Kiribatis dorthin umgesiedelt werden, mit dem Anbau von Gemüse für die künftigen Flüchtlinge wurde schon begonnen und die dortigen Einwohner*innen würden die neuen Bürger*innen willkommen heißen – in mancherlei Hinsicht ist man in Ozeanien eben doch schon etwas weiter.

Trotz allen kann man nur hoffen, dass die westlichen Industriestaaten sich ihrer Verantwortung in Anbetracht ihres kolossalen Scheiterns bei der Bewältigung der Klimakrise bewusst werden und daher Menschen aus Kiribati aufnehmen. Würden tatsächlich alle Einwohner Kiribatis auf das gekaufte Land ziehen, käme es dort zu katastrophalen und menschenunwürdigen Zuständen.

Kritisch ab einem Meter Meeresspiegelanstieg

Dabei dürfen wir eines nie vergessen: Der Meeresspiegelanstieg hat gerade erst begonnen. Während der Temperaturanstieg, das Artensterben und die Häufung von Unwetterereignissen relativ eng miteinander verkoppelt sind, ist der Meeresspiegel träge. Schließlich dauert es nicht nur, bis die riesigen Eismassen schmelzen, bis das Meerwasser seine volle Ausdehnung durch die Erwärmung angenommen hat, muss es erstmal bis in die größten Tiefen vermischt werden. Dass Tuvalu beispielsweise bisher noch wächst, ist deshalb keine Entwarnung.

Antarktischer Eispanzer
Die Eismassen der Antarktis sind besonders träge und schmelzen nur langsam.

Wenn 3,7 Millimeter aktuell noch als Rekordwert gelten, wir uns ab 2060 aber auf 50 Millimeter einstellen müssen, kann man sich denken, dass uns das Schlimmste noch bevor steht. Sollte sich das schlimmste Szenario des Weltklimarates bewahrheiten, könnte es aber selbst für Tuvalu und andere Länder kritisch werden. Im schlimmsten möglichen Szenario steigen die Pegel bis 2100 um 2,38 Meter. Schon ab etwa einem Meter Anstieg könnte es für die Staaten Malediven, Marshall-Inseln und Tuvalu eng werden, denn dann könnten jene Prozesse, welche die Atolle noch schützen und erneuern, zusammenbrechen.

Dass weitere Inseln sinken werden, ist also schon jetzt absolut sicher. Der genaue Anstieg bis 2100 bestimmt jedoch, wen es trifft und wer vor dem gänzlichen Untergang verschont bleibt und den genauen Anstieg können wir tatsächlich noch beeinflussen.

Eher ein wann, als ein ob

Doch nur weil unsere aktuellen Prognosen im Jahr 2100 enden, tut es der Meeresspiegelanstieg nicht. Vermutlich haben wir bereits bei dem einen Grad Celsius Erderwärmung, das wir schon verursacht haben, Prozesse in Gang gesetzt, die sich selbst verstärken, etwa in Grönland. Langfristig wird der Meeresspiegel alleine dadurch um mehrer Meter ansteigen.

Sollten wir zudem weiterhin fossile Brennstoffe nutzten oder sollte durch das Ausgasen von Methan gar der gesamte gebundene Kohlenstoff in die Atmosphäre gelangen, dann müssen wir über viele Jahrhunderte mit einem Meeresspiegelanstieg von 66 Metern rechnen. Aber wenn uns selbst die Prognosen bis 2100 nicht schocken können, wieso erzähle ich das dann überhaupt?

Eigentlich nur um Folgendes klarzumachen: Letztlich werden die Inselstaaten früher oder später mit ziemlicher Sicherheit versinken. Die Frage ist nur, wie viel bekommen wir davon mit und wie viel Zeit bleibt somit zur Vorbereitung und Abfederung der Kosten: Bei einem Meeresspiegelanstieg von einem halben Meter, der vermutlich deutlich vor 2100 erreicht wird, könnten sich die Schäden auf 35 Billionen US-Dollar belaufen – alleine das genügt für eine der größten Wirtschaftskrisen der Geschichte.

Und letztlich dürfen wir auch nicht vergessen, dass nicht nur Inselstaaten betroffen sind. In Ägypten würden etwa bei einem halben Meter Meeresspiegelanstieg zwölf Millionen Menschen ihre Heimat verlieren, in Bangladesch 70 Millionen bei einem Meeresspiegelanstieg von einem Meter.

Fazit

Die Vorstellung, dass ganze Inseln rasch verschwinden, ist falsch, viele wachsen sogar. Dennoch sind durch untergehende Landflächen schon in naher Zukunft Evakuierungsmaßnahmen erforderlich. Kiribati wird vermutlich bereits vor 2100 gänzlich von der Landkarte verschwinden, andere Staaten könnten bei ungebremster Erderhitzung folgen.

Wir sehen, die Antwort ist leider nicht so einfach, wie es viele gerne hätten. Die Vorstellung, das beinahe alle Inseln rasch verschwinden ist genauso falsch wie jene, dass die Inselstaaten aufgrund des Wachstums vieler Inseln nicht vorm Versinken bedroht sind.

Trotz dieser differenzierten und unaufgeregten Betrachtung darf man natürlich nicht vergessen, worüber man dabei spricht. Wir sprechen hier darüber, wie viele Menschen aufgrund unserer überheblichen Lebensweise ihre Heimat im Meer versinken sehen und wie viele Städte und Inseln von der Landkarte getilgt werden. Meiner Meinung nach ist das schon krass genug…

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