Inhaltsverzeichnis
Sedna ist wahrhaft ein Außenseiter im Sonnensystem und das im wahrsten Sinne des Wortes. Sie umkreist unsere Sonne in extremer Entfernung, somit vermutet man eine eisige Welt. Doch Sedna gehört scheinbar nirgends dazu, sie befindet sich dort, wo eigentlich nichts sein sollte.
(90377) Sedna wurde am 14. März 2003 entdeckt, weitere Beobachtungen mit dem Hubble-Weltraumteleskop und dem Spitzer-Weltraumteleskop bestätigten die Entdeckung, sodass sie am 15. März 12.004 HE bekanntgegeben wurde. Zu diesem Zeitpunkt gab es noch keine allgemein gültige Definition von Planeten, Pluto etwa war noch als Planet klassifiziert, aber was nun ein Planet ist und was ein Asteroid, waren Einzelfallentscheidungen.
Daher wurde auch Sedna vielfach als zehnter Planet des Sonnensystems bezeichnet, Wissenschaftler*innen zogen das allerdings nie ernsthaft in Erwägung. Da Sedna sich aber höchstwahrscheinlich im hydrostatischen Gleichgewicht befindet, also durch seine hohe Masse in eine Kugelform gepresst wird, gilt sie heute als Zwergplanetenkandidat.
Ein Mond und flüssiges Wasser?
Auch einen Mond will man dort schon gefunden haben, denn die Helligkeit schwankte in einem 40-Tages-Zyklus, was darauf hindeutet, dass Sedna so lange für einen Umlauf um sich selbst benötigt, da es einfach hellere und dunklere Regionen auf der Oberfläche Sednas gibt. Das ist jedoch eine sehr lange Rotationsperiode für einen Zwergplaneten, daher wurde vermutet, dass ein Mond die Rotation bremse. Neue Messungen ergaben allerdings Werte von zehn und 18 Stunden für einen Umlauf um sich selbst, diese Werte würden keinen Mond erfordern.
Letztlich kennen wir die Rotationsperiode allerdings nicht, weil wir die Oberfläche Sednas nicht kennen und somit können wir auch nicht wissen, ob sie einen Mond hat. Aber selbst wenn es keinen Mond benötigt, um die Messwerte zu erklären, heißt das nicht, dass es keinen gibt.
Um Sedna ranken sich jedoch noch viel mehr Rätsel. So vermutet man eine starke rötliche Färbung, womöglich stärker als die des Planeten Mars. Und selbst flüssiges Wasser wird nicht ausgeschlossen. Zwar ist die Sonne am Himmel von Sedna nur so groß wie ein Stecknadelkopf und dementsprechend eisig sind die Temperaturen, -243°C sollen auf ihrer Oberfläche herrschen, daher hat Sedna auch ihren Namen, sie ist nach der Meeresgöttin der Inuit benannt, die am Grund des Polarmeeres leben soll, doch laut einigen Berechnungen kann der Zerfall radioaktiver Elemente im Inneren Sednas genug Wärme erzeugen, um vorübergehend einen Ozean aus flüssigem Wasser unter ihrer Kruste zu ermöglichen.
Wenn sich Sedna der Sonne annähert, könnte der Ozean tauen, wenn sie sich wieder entfernt, zufrieren. Potentielle Lebewesen könnten dementsprechend in einen Jahrtausende langen Winterschlaf fallen und wieder aufwachen, wenn Sedna sich nähert – eine, wenn auch rein spekulative, faszinierende Vorstellung. Doch das größte Rätsel ist die Umlaufbahn Sednas.
Einzigartiger Orbit
Der Orbit Sednas ist wirklich skurril. Am sonnennächsten Punkt ist Sedna „nur“ 76,151 Astronomische Einheiten entfernt. Diese Entfernung ist schon recht seltsam, denn eigentlich befindet sich dort nicht viel. Zwar ist das Sonnensystem hinter dem Neptun keineswegs vorbei, dort befindet sich ein zweiter Asteroidengürtel, der Kuipergürtel, doch dieser befindet sich in einer Entfernung von etwa 30 Astronomischen Einheiten bis 50 Astronomischen Einheiten.
Pluto kreist mitten darin in 40 Astronomischen Einheiten Entfernung. Ein klassisches Kuipergürtel-Objekt kann Sedna also nicht sein. Doch weiter außen kreisen nur die Objekte der sogenannten Gestreuten Scheibe, diese haben ihren sonnennächsten Punkt allerdings innerhalb des Kuipergürtels und gelangen nur aufgrund ihrer exzentrischen Bahnen in diese Entfernung. Sedna kann also weder zum Kuipergürtel, noch zur Gestreuten Scheibe gehören. Doch wo kommt der Himmelskörper dann her?
Der sonnennächste Punkt von 76,151 Astronomischen Einheiten und die extreme Umlaufzeit von etwa 11.400 Jahren machen uns etwas ratlos. Zum Vergleich: Als sich Sedna das letzte mal an seinem aktuellen Bahnpunkt befand, ging auf der Erde gerade die letzte Kaltzeit zu Ende. Doch jenseits des Kuipergürtels gibt es die sogenannte Oortsche Wolke, die äußerste Grenze unseres Sonnensystems.
Das ist eine Wolke von Kometen, die unser Sonnensystem umgibt. Wie man sich anhand der Umlaufbahn denken kann, liegt der sonnenfernste Punkt viel weiter außen. Tatsächlich liegt er in einer Entfernung von 883,658 Astronomischen Einheiten! Das entspricht etwa 0,0146 Lichtjahren oder einem Dreihundertstel der Entfernung zum nächsten Stern Proxima Centauri. Und das ist so viel, dass man natürlich auch eine Zugehörigkeit zur Oortschen Wolke nicht ausschließen kann.
Doch diese beginnt nach gängiger Auffassung erst in einer Entfernung von 10.000 Astronomischen Einheiten, also erst viel weiter entfernt. Sedna ist also zu weit entfernt, um zum Kuipergürtel zu gehören, aber zu nah, um zur Oortsche Wolke zu gehören – ein Dilemma. Doch einige Lösungsvorschläge gibt es.
Theorien zur Herkunft von Sedna
Innere Oortsche Wolke?
Die offensichtlichste Möglichkeit liegt wohl auf der Hand: Die Oortsche Wolke ist uns einfach viel näher als wir denken und Sedna gehört zu ihren inneren Ausläufern. Schon lange wird vermutet, es gebe eine Art „Innere Oortsche Wolke“. Bereits in den 80ern stellte der Astronom Jack Hills die Hypothese auf, der Großteil der Kometen der Oortschen Wolke befinde sich in ihrem inneren Bereich, der sogenannten Hills-Wolke. Sie soll schon in 250 Astronomischen Einheiten Entfernung beginnen und 20 Billionen Kometen beinhalten.
Diverse Himmelskörper, die zur Hills-Wolke gehören könnten, wurden bereits entdeckt, Sedna könnte ihr größer Vertreter sein. Tatsächlich dürfte es die Oortsche Wolke nach 4,5 Milliarden Jahren eigentlich gar nicht mehr geben, schließlich stürzen immer wieder Kometen in die Sonne oder verlassen das Sonnensystem. Es muss also eine Art Nachschub geben, was ebenfalls klar für die Existenz der Hills-Wolke spricht. Aufgrund der verhältnismäßigen Nähe ist die Existenz der Hills-Wolke womöglich mit Teleskopen überprüfbar.
Für die Hypothese der Inneren Oortschen Wolke spricht:
- Die meisten Kometen der Oortschen Wolke haben ihre Hauptachse in einer Region im inneren Bereich der Wolke.
- Die äußeren Regionen der Oortschen Wolke könnten durch die Hills-Wolke mit Kometen versorgt werden, was ihr Bestehen erklären würde.
- Einige Himmelskörper wurden in diesem Bereich bereits jetzt gefunden.
- Eine Begegnung mit einem nahen Stern könnte zu dieser Umstrukturierung der Oortschen Wolke geführt haben.
Durch Planet neun gestreut?
Allerdings ist es sehr unwahrscheinlich, dass Sedna auf diesem Orbit entstanden ist, denn als die Planeten vor Milliarden Jahren entstanden, befanden sich dort so wenige Trümmer, dass ein Himmelskörper wie Sedna mit einem Durchmesser von 1000 Kilometern hunderte Millionen Jahre für die Entstehung benötigen würde – zu diesem Zeitpunkt ist die protoplanetare Scheibe allerdings längst vom Sonnenwind weggeblasen worden. Daher könnte Sedna aus dem Kuipergürtel kommen und durch etwas auf eine exzentrische Umlaufbahn gestreut worden sein.
Dieses etwas könnte ein neunter Planet sein, der weit jenseits von Neptun seine Bahnen zieht. Ein Eisriese ähnlich dem Neptun oder aber ein massereicher Gesteinsplanet, eine sogenannte Supererde, mit etwa der zehnfachen Erdmasse könnte Sednas Umlaufbahn erklären. Er könnte sich in einer Entfernung von 400 bis 1.500 Astronomischen Einheiten befinden, dann hätten wir mit den neuesten Teleskopen eine Chance, ihn zu entdecken. Zahlreiche Argumente sprechen für die Existenz eines solchen Planeten, derzeit ist er die plausibelste Variante zur Erklärung der Umlaufbahn von Sedna.
Für die Planet-Neun-Hypothese spricht:
- Transneptunische Objekte mit einer großen Halbachse von 250 Astronomischen Einheiten haben Apsidenlinien (Gedachte Linie zwischen sonnennächstem und sonnenfernstem Punkt der Umlaufbahn), die in dieselbe Richtung weisen. Das kann Zufall sein, die Wahrscheinlichkeit dafür beträgt allerdings nur 0,007%.
- Transneptunische Objekte haben alle ähnliche Bahnneigungen, normalerweise müssten Jupiter und Saturn zu ganz unterschiedlichen Neigungen führen, ein neunter Planet könnte sie angleichen.
- Der Äquator der Sonne ist relativ zur Ebene der Planeten geneigt.
- Bereits bekannte Planeten können Sedna laut Berechnungen nicht in diese Umlaufbahn gestreut haben.
- In unserem Sonnensystem gibt es keine bekannte Supererde, obwohl die Planetenklasse im Universum weit verbreitet ist.
- Weit entfernte Objekte haben alle ein Argument des Perihels von ungefähr null. Auch das kann Zufall sein, vermutlich hat eine größere Masse sie jedoch angeglichen.
- Der verantwortliche Planet könnte auch deutlich näher und kleiner gewesen (ca. 1.000 Astronomische Einheiten bei etwa einer Erdmasse) und anschließend in der turbulenten Frühphase der Planetenentstehung aus dem Sonnensystem katapultiert worden sein. Das würde seine fehlende Entdeckung erklären.
Durch Begegnung mit einem Stern gestreut
Es muss jedoch kein Planet sein, der Sedna vom Kuipergürtel oder der Oortschen Wolke gestreut hat. Wenn ein Stern sich dem Sonnensystem nähert und durch die äußeren Bezirke der Oortschen Wolke zieht, kann er das Sonnensystem im Chaos versinken lassen. Dabei kann er sowohl Kuipergürtel-Objekte nach Außen streuen, als auch Objekte der Oortschen Wolke nach Innen. Lange dachte man sogar darüber nach, dass unsere Sonne ein Doppelstern sei. Ihr Partnerstern, Nemesis genannt, sollte sich regelmäßig durch die Oortsche Wolke bewegen und dabei Kometen nach Innen streuen. Das sollte die scheinbare Regelmäßigkeit von Massenaussterben auf der Erde erklären.
Dies gilt heute als weitgehend widerlegt, aber Begegnungen mit nahen Sternen passieren immer wieder mal und können dieselben Folgen haben. Die gute Nachricht ist, dass sich diese Hypothese in Zukunft beweisen lassen könnte. Wurden Objekte der Oortschen Wolke oder des Kuipergürtels erst vor kurzem durch einen anderen Stern gestreut, müssten sich noch zahlreiche weitere Objekte auf exzentrischen Bahnen zwischen der Oortschen Wolke und dem Kuipergürtel befinden.
Sedna wäre dann kein Einzelfall, sondern einfach einer der wenigen Objekte einer neuen Klasse, die wir bereits entdeckt haben, weil sie so groß ist. Mit genaueren Teleskopen würden wir dann zahlreiche weitere Objekte dort finden.
Für die Hypothese der Sternbegegnung spricht:
- Vor etwa 70.000 Jahren näherte sich ein Roter Zwerg namens Scholz´ Stern der Sonne, es gab also belegbare Sternbegegnungen im Sonnensystem.
- Zahlreiche Kometenbahnen sind noch heute auf die Region ausgerichtet, die Scholz´ Stern passierte, somit ist auch der Einfluss von Sternbegegnungen auf Kometen belegt.
- Es gibt zahlreiche Indizien dafür, dass unsere Sonne in einem offenen Sternhaufen geboren wurde, dort müssen Begegnungen mit anderen Sternen an der Tagesordnung gestanden haben.
Extrasolare Herkunft
Es gibt jedoch auch eine Möglichkeit, die ohne hypothetische weitere Objekte funktioniert. Nicht die Ursache für die Streuung könnte von außerhalb des Sonnensystems kommen, sondern Sedna selbst. In der Frühzeit unseres Sonnensystems, etwa 100 Millionen Jahre nach der Entstehung der Sonne, hätte sich diese „Übergabe“ ereignen können. Ein Brauner Zwerg von etwa einem Zwanzigstel der Sonnenmasse oder ein sonnenähnlicher Stern mit 80% mehr Masse als die Sonne, der inzwischen ein weißer Zwerg wäre, könnten der Ursprungsort Sednas sein.
Eine stellare Begegnung nur 100 Millionen Jahre nach der Entstehung des Sonnensystems wäre kaum nachzuweisen, beinahe alle Spuren wären verwischt worden. Daher wundert es nicht, dass wir derzeit und womöglich auch in naher Zukunft keine Hinweise darauf haben.
- Es wurden bereits zwei Kometen entdeckt, die nachweislich aus einem anderen Sonnensystem kommen. Im Kuipergürtel könnten es um Größenordnungen mehr sein. Der Transfer von Objekten von Stern zu Stern ist somit belegt.
- Die Oortsche Wolke reicht bis in eine Entfernung von 1,5 Lichtjahren, dort übt die Gravitation anderer Sterne massiven Einfluss aus.
- Die Entstehung der Sonne in einem offenen Sternhaufen begünstigt solche interstellaren Übernahmen.
- Es ist nicht verwunderlich, dass wir keinerlei Spuren der Passage sehen, wenn sie sich 100 Millionen Jahre nach der Entstehung des Sonnensystems ereignete.
Eine Raumsonde für Sedna
Sedna gehört nirgends so richtig dazu und er regt wohl zu Spekulationen an, wie kein anderer Zwergplanet. Er wurde zum Prototyp der sogenannten Sednoiden, einer Gruppe von Asteroiden mit ähnlich seltsamen Eigenschaften. Aber er ist auch eine Chance für uns.
Sollte er tatsächlich ein Objekt der Oortschen Wolke sein, ist er womöglich für die nächsten Jahrzehnte unsere einzige Chance, ein solches Objekt zu erforschen, denn er kommt uns in diesem Jahrhundert recht nahe, auf fast 75 Astronomische Einheiten Entfernung – Voyager 1 ist schon doppelt so weit geflogen und ist zudem recht groß, sodass er lokalisiert werden kann. Doch wenn wir die Chance nicht nutzen, wird sie erst 12.000 Jahre später wieder eintreten.
12.033 HE und 12.046 HE könnte eine Sonde einen Jupiter-Swing-by nutzen, um Sedna in nur 25 Jahren zu erreichen. Letztlich könnte eine solche Mission auch die Frage nach der Herkunft von Sedna lösen. Denn Sedna und die Sednoiden zeigen uns, dass wir auch heute noch lange nicht alles im Sonnensystem kennen. Dort draußen muss es also noch sehr viel Unerforschtes geben und somit sehr viel zutun für künftige Forscher*innengenerationen. Die Frage nach der Herkunft von Sedna ist mehr als nur menschlicher Kategorisierungsdrang, sie ist wesentlich für das Verständnis unserer kosmischen Heimat und somit auch für das Verständnis unserer selbst.
Stephan535
Ich möchte mal „danke“ sagen.
Danke für die ganzen interessanten Beiträge. Ich lese sie gerne und interessiert.
Es erstaunt mich immer, wie viel Du über diese Dinge weißt. Bei mir sieht das anders aus. 😀
Deshalb lese ich sonst auch nur stumm mit. Und erweitere damit MEIN Wissen.
Also: Danke!
Stephan535
Oh. das ist schwierig. 🙂
Vielleicht einmal etwas über das Superteleskop Hubble.
Oder über die Polverschiebung.