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Das Sonnensegel von Maxwells Strahlungstheorie bis zu Nanosonden für Proxima Centauri

Bild eines Sonnensegels

Können wir das Weltall erobern, indem wir auf dem Sonnenwind zu fernen Planeten segeln, so wie einst unsere Vorfahren zu fernen Kontinenten segelten? Diese Idee ist das Konzept des Sonnensegels, eine innovative alternative Antriebstechnologie in der Raumfahrt. In diesem Artikel möchte ich die Geschichte und die Funktionsweise des Sonnensegels erklären und anschließend die tatsächlichen Pläne und Möglichkeiten vorstellen.

Die Grundlage des Konzepts des Sonnensegels ist die Theorie der elektromagnetischen Felder und der Strahlung, die der schottische Physiker James Clerk Maxwell aufstellte. Aber auch Einsteins allgemeine Relativitätstheorie spielt eine Rolle. Schauen wir uns das einmal an…

Maxwells und Einsteins Vorarbeit zu Strahlung und Photonen

Wenn wir uns intuitiv überlegen, wie ein Sonnensegel wohl funktionieren wird, kommt wahrscheinlich zuerst folgender naheliegender Gedanke: Lichtteilchen stoßen auf das Segel, dabei übertragen sie ihren Schwung und der bewegt das Segel. Wie viel Schwung hat so ein Lichtteilchen?

Wie heftig etwas stoßen kann, ist von zwei Faktoren abgängig: Wie schnell ist es und wie schwer ist es? Wie schnell ein Photon ist, dürfte klar sein, es bewegt sich natürlich mit Lichtgeschwindigkeit c = 299.792.458 m/s.

Und wie schwer es ist, lässt sich mittels einer Gleichung aus der allgemeinen Relativitätstheorie, recht leicht berechnen. Sie lautet:

Gleichung der relativistischen Masse, Sonnensegel

m0 ist die Ruhemasse, m die sogenannte relativistischen Masse. Wenn Körper sich bewegen, werden sie dabei etwas schwerer, diese Masse nennt sich relativistische Masse und sie ist somit immer größer oder gleich der Ruhemasse, also der Masse, die ein Körper in Ruhelage hat.

Weshalb uns diese Unterscheidung fremd wirkt, wird schon in der Gleichung klar: Die Ruhemasse entspricht der relativistischen Masse, multipliziert mit dieser komischen Wurzel dahinter. c ist eine seeeehr große Zahl und die Geschwindigkeit v der Dinge, mit denen wir es im Alltag so zutun haben, ist in der Regel deutlich, deutlich geringer – so gering, dass dieser Bruch winzig klein wird, praktisch null. Die Wurzel aus eins minus irgendwas sehr kleines ist irgendwas sehr knapp unter 1, Ruhemasse und relativistische Masse sind bei Geschwindigkeiten, die sehr viel kleiner sind als die Lichtgeschwindigkeit, also nahezu identisch.

Doch wie seht es bei einem Photon aus, das sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegt?

Formen wir die Gleichung nach m0 um und setzen für v die Lichtgeschwindigkeit ein, wird klar:

Herleitung der Masselosigkeit des Photons, Sonnensegel

Photonen haben keine Ruhemasse. Eine Frage, die ich nun immer wieder gehört habe, ist folgende: Wie kann Licht, also etwas, das keine Masse hat, gegen ein Segel stoßen und ihm dabei Schwung verleihen?

Das liegt daran, dass Photonen, obwohl sie masselos sind, eine gewisse Energie tragen. Die Energie des Photons entspricht dem Produkt aus Frequenz und Planckscher Konstante h.

Nun kommt Einsteins wohl bekannteste Gleichung zum Einsatz, die besagt, dass etwas, sobald es Energie trägt, auch eine Masse hat. Setzen wir m*c^2 mit h*f gleich (beides ist ja E…), erhalten wir die relativistische Masse des Photons:

Gleichsetzung von m*c^2 und h*f

Aus der Schule werden einige wissen, dass der Impuls das Produkt aus Masse und Geschwindigkeit ist, also:

Berechnung des Impulses eines Photons

Fertig.

Wer es kompliziert mag, kann dasselbe auch mit Maxwells Wellenbetrachtung des Lichts begründen. In der Elektrodynamik ist Licht ein elektromagnetisches Feld, ein solches übt eine in Ausbreitungsrichtung der Lichtwellen gerichtete Kraft aus. Rechnet man das aus, kommt man auf den Impuls des Lichts als Quotient aus Planckscher Konstante und Wellenlänge – die Frequenz wiederum ist gleich Lichtgeschwindigkeit durch Wellenlänge, womit dieser Ausdruck exakt dasselbe bedeutet wie das oben gezeigte Ergebnis.

Fazit: Licht hat einen von der Frequenz abhängigen Impuls. Ein Impuls ist nichts anderes als das, was wir in der Alltagssprache als „Schwung“ bezeichnen. Diesen Schwung kann es auf ein Sonnensegel übertragen und es dadurch beschleunigen.

Aus der Analogie des Segelschiffs, das durch den Wind angetrieben wird, entstand der Irrtum, ein Sonnensegel würde durch den Sonnenwind angetrieben. Doch der Sonnenwind besteht aus geladenen Teilchen, Elektronen und Protonen, nicht aus Licht!

Kepler und Ziolkowski

Doch die Idee, sich durch die Sonnenstrahlung im All fortzubewegen ist sehr viel älter als das physikalische Verständnis der Natur des Lichts und geht auf eine recht banale Tatsache zurück – den Schweif von Kometen.

Im frühen 117. Jahrhundert beobachtete der Astronom Johannes Kepler die Bewegung von Kometen und erkannte, dass der Schweif der Kometen, die sogenannte Koma, immer in entgegengesetzte Richtung der Sonne zeigt. Er vermutete, dass die Sonne selbst dafür verantwortlich sei, indem sie mit ihrem Strahlungsdruck gegen den Kometen „drücke“ und den Schweif so nach hinten ziehe wie der Wind den Rauch einer Kerze nach hinten zieht. Damit war er der erste, der postulierte, dass der Strahlungsdruck der Sonne einen Einfluss auf materielle Objekte haben kann.

Womöglich inspiriert von seiner Beobachtung (obwohl er die Arbeit selbst zu diesem Zeitpunkt noch nicht publiziert hat) schrieb er an seinen Zeitgenossen Galileo Galilei. In diesem Brief findet sich die früheste Erwähnung der Raumfahrt. So schrieb er:

„Stellen Sie Schiffe oder Segel bereit, die an die himmlische Brise angepasst sind, und es wird einige geben, die selbst dieser Leere trotzen.“

Johannes Kepler

Damit meinte er, dass in ferner Zukunft, wenn es Fahrzeuge gibt, die die himmlische Brise, also die Sonnenstrahlung, nutzen können, der Mensch ins All fliegen wird. Natürlich wurden Keplers Vorstellungen zu diesem Zeitpunkt als Fantastereien abgetan und nicht ernst genommen. Die Geschichte sollte ihm Recht geben.

Kurz nachdem Maxwell seine Theorie der elektromagnetischen Felder veröffentlichte schrieb auch der berühmte Autor Jules Verne in seinem Roman Von der Erde zum Mond folgende Worte:

„Es wird eines Tages Geschwindigkeiten geben, die viel größer sind als diese [der Planeten und des Projektils, in dem die Astronauten im Roman zum Mond fliegen], deren mechanischer Wirkstoff wahrscheinlich Licht oder Elektrizität sein wird…“

Jules Verne

Damit erwähnte er in seinem Roman ebenfalls Raumschiffe, die durch das Licht angetrieben werden.

Da die Vorstellung, dass Licht Objekte bewegen kann, durch Maxwell bewiesen war, machten sich auch wissenschaftlichen Theorien diese Tatsache zu nutze. So erschien 11.908 HE eine Arbeit, die postulierte, der Strahlungsdruck könne organische Moleküle zwischen den Sternen verteilen und so Leben im Universum verbreiten, eine Version der Panspermie.

Auch als die Raumfahrt im frühen 120. Jahrhundert erste konkrete Züge annahm, war die Idee, den Strahlungsdruck zu nutzen, allgegenwärtig. So sagte Konstantin Ziolkowski, der durch seine Raketengleichungen als der Vater der Raumfahrt gilt, man könne riesige extrem dünne Spiegel verwenden, um:

„den Druck des Sonnenlichts zu nutzen, um kosmische Geschwindigkeit zu erreichen.“

Konstantin Ziolkowski

Ein anderer Vordenker der Raumfahrt war John Bernal, der riesige Raumstationen vorschlug, die rotieren würden, um künstliche Gravitation zu erzeugen und 20.000 bis 30.000 Menschen eine permanente Heimat böten. Auch er meinte, es könne eine Form des Antriebs entwickelt werden, die die Wirkung der Sonnenstrahlung nutzt.

Die Vorstellungen aus der frühen Neuzeit sind natürlich Weiterentwicklungen damals schon existenter Technologien. Man sagte keinen Hall- oder Ionenantrieb vorher, weil man elektrischen Strom und Ionen nicht kannte. Segel kannte man nicht nur, sie hatten auch eine kulturelle Bedeutung von Aufbruch und Abenteuer. Daher übertrug man dieses System auf das All. Womöglich entstand aus diesem Grund das Konzept des Sonnensegels, wie es heute angewandt wird.

So viel zur Theorie…

Das Sonnensegel in der Praxis

Das Wirkungsprinzip spielte schon zu Beginn der Raumfahrt eine Rolle, denn auch auf Sonden, die kein Segel nutzen, wirkt natürlich der Druck der Sonnenstrahlung, nur schwächer. Würde man keine Kurskorrekturen vornehmen und die Sonnenstrahlung mit einberechnen, würde eine Raumsonde auf dem Weg zum Mars durch den Druck der Sonnenstrahlung um mehrere tausend Kilometer vom Kurs abkommen.

Die erste ernsthafte Planung einer Mission mit einem Sonnensegel als Antrieb fand im Jahr 11.976 HE statt. Richard MacNeal schlug ein zwölfzackiges und rotierendes Sonnensegel vor. Das Jet Propulsion Laboratory der NASA wollte gemeinsam mit MacNeal dieses robotische Sonnensegel entwerfen, um damit zum Halleyschen Kometen zu fliegen – mit chemischen Antrieben war dies nicht möglich. Doch auch mit Sonnensegel galt die Mission als zu riskant.

Die erste Anwendung des Prinzips eines Sonnensegels im All ließ daher noch bis 11.993 HE auf sich warten. Die russische Raumfahrtbehörde Roskosmos wollte mit reflexiven Segeln im Erdorbit nordrussische Städte erhellen, in denen es im Winter rund um die Uhr dunkel ist. Von der Raumstation Mir entfaltete man zu Testzwecken daher ein Segel mit einem Durchmesser von 20 Metern, beim Ausfalten kam es jedoch zu Fehlern, sodass es nur als Teilerfolg betrachtet werden kann. Dennoch konnte das reflektierte Licht in weiten Teilen Europas am Himmel beobachtet werden. Inzwischen zieht die chinesische Regierung ein solches Projekt in Erwägung.

Anwendungen der Sonnensegel-Technologie

IKAROS – Erforschung der Venus

Echten Pioniergeist bei der Entwicklung der Sonnensegel-Technologie zeigt vor allem die japanische Raumfahrtbehörde JAXA. Ihr gelang die Konstruktion eines nur 0,0075 Millimeter dicken Sonnensegels mit einer Seitenlänge von 14 Metern für eine interplanetare Mission zur Venus.

Tatsächlich gelang der Raumsonde IKAROS, die 12.010 HE startete, das Entfalten des Sonnensegels im All und der Vorbeiflug an der Venus. Wissenschaftliche Nutzlast in Form einer 270 g schweren Forschungssonde konnten transportiert werden. Doch nicht nur das: Das dünne Segel konnte mit Bildschirmen versehen werden, deren Reflexion gesteuert werden kann, sodass sich der gesamte Flug nach Bedarf anpassen lässt.

Der gemessene Schub lag in der Größenordnung einiger Millinewton, eine Milliarde mal schwächer als bei einem Space Shuttle. Doch anders als bei einem Space Shuttle drückt das Sonnenlicht das Segel permanent nach vorne und lässt es so kontinuierlich schneller werden. Dadurch kann mit viel geringerem Schub eine viel höhere Geschwindigkeit erreicht werden.

Die Mission zeigte, dass der Strahlungsdruck der Sonne das Segel nicht nur antreibt, sondern auch ungewollt in eine Spiralbewegung zwingt. Dies ist eine wertvolle Erkenntnis für zukünftige Sonnensegel-Missionen. Aber IKAROS brachte auch den Beweis, dass man mit einem Sonnensegel tatsächlich zu anderen Planeten fliegen kann, so wie es Jules Verne fast 150 Jahre vorher vorhersagte.

Der Near-Earth Asteroid Scout

Wenn die NASA im Jahr 12.022 endlich ihre neue Schwerlastrakete SLS erstmals testet, mit der Menschen zum Mond zurückkehren sollen, dann wird der NEA Scout an Bord sein, einer kleine Raumsonde, die den Start als „Mitfahrgelegenheit“ nutzt. NEA Scout steht für Near-Earth Asteroid Scout und soll dem Namen entsprechend einen erdnahen Asteroiden erforschen. Der NEA Scout wird zunächst sich mit kleinen Gasschüben vom Mond aus in den interplanetaren Raum katapultieren.

Sonnensegel des NEA Scouts
Noch nur eine Animation: Der NEA Scout erforscht den Asteroiden 1991 VG.

Dort soll er dann ein Sonnensegel entfalten und sich damit auf die dreijährige Reise zum erdnahen Asteroiden 1991 VG begeben. Seit langem rätseln Wissenschaftler*innen, um was für ein Objekt es sich dabei handelt. Er ist nur zehn bis zwanzig Meter groß, aber vermutlich natürlichen Ursprungs. Womöglich ist es ein Stück des Mondes, das bei einem Einschlag ins All katapultiert wurde, jedoch wird auch immer wieder über eine Raketenstufe oder – unseriöser Weise – eine außerirdische Raumsonde spekuliert. Was auch immer es ist, 12.024 HE werden wir es erfahren.

Zu Jupiters Trojanern

Natürlich plant die JAXA nach ihrem Erfolg mit IKAROS eine Nachfolgemission, die jedoch um Größenordnungen komplexer sein wird: Ein Sonnensegel mit einer Seitenlänge von 50 Metern soll zum Jupiter fliegen. Dabei soll es die sogenannten Trojaner-Asteroiden ansteuern, die Jupiter 60° vor und 60° hinter ihm auf seiner Bahn um die Sonne begleiten. Die Raumsonde soll womöglich sogar einen Lander tragen, der auf einem der Trojaner abgesetzt wird und Gestein mit zur Erde bringt. Die Rückkehrkapsel könnte dann in den 12.050er Jahren wieder auf der Erde ankommen.

Polar-Satelliten und Sonnenobservatorien

Doch die Einsatzmöglichkeiten des Sonnensegels gehen noch viel weiter.

Bisher ist es kaum oder nur mit immensem Aufwand möglich, Satelliten in eine polare Umlaufbahn um die Erde zu bringen. Könnten wir dies einfacher umsetzen, wäre beispielsweise eine bessere Verbindung mit Forschungsstationen in der Arktis und der Antarktis möglich – vielleicht können diese Regionen ja irgendwann sogar bewohnt werden.

Aber auch für die Klimaforschung wäre ein permanentes Auge auf unsere Pole natürlich von unschätzbarem Wert.

Zudem wird es im geostationären Orbit um die Erde langsam voll. Dabei handelt es sich um jenen Bereich, in dem die Satelliten die Erde mit derselben Geschwindigkeit umkreisen wie sie selbst. Das führt dazu, dass ein Satellit im geostationären Orbit scheinbar immer an derselben Position am Himmel steht, was notwendig für TV-Satelliten ist – schließlich will man die Satellitenschüssel ja nicht ständig neu ausrichten.

Ein geostationärer Orbit ist allerdings nur in einem Ring von 36.000 Kilometern Entfernung über dem Äquator möglich. Bereits jetzt hat ein Satellit in diesem Bereich lediglich einen Kasten von 75 x 75 Kilometern Platz, um keine anderen Satelliten zu stören, in Zukunft wird es dort noch viel enger werden.

Könnten wir die Bahnen um einige Kilometer nach oben oder unten verschieben, sodass die Satelliten nicht mehr um den Erdmittelpunkt kreisen, hätten wir viel mehr Platz. Schon zehn bis 50 Kilometer nördlich oder südlich des Äquators würden uns ganz neue Möglichkeiten verschaffen. Ein Sonnensegel könnte das bewerkstelligen, wie Tests im Erdorbit zeigen und in Kombination mit einem Ionenantrieb wären noch viel größere Verschiebungen möglich.

Doch auch ein Sonnenobservatorium im All zur besseren Vorhersage von Sonnenstürmen wäre möglich. Damit könnten wir unser Frühwarnsystem erheblich verbessern und uns auf starke Eruptionen vorbereiten.

Versorgung von Raumkolonien

Die Möglichkeiten gehen noch weiter, auch in der astronautischen Raumfahrt gibt es Einsatzbereiche. Zwar ist das Sonnensegel derzeit nicht für den Transport von Menschen entwickelt, denn für so große Nutzlasten müsste es noch viel größer sein, aber die Versorgung von Basen auf fremden Planeten ließe sich um ein vielfaches günstiger gestalten, wenn kein Treibstoff mitgeführt werden müsste. Verbindungen innerhalb weniger Stunden oder Tage zwischen Erde, Mond und Mars wären denkbar.

Ein Teleskop mit 85 Milliarden Kilometern Brennweite?

Auch in der Astronomie könnte uns ein Sonnensegel neue Möglichkeiten bringen. So wären robotische Forschungssonden möglich, die den umliegenden interstellaren Raum erkunden, etwa bis in eine Entfernung von 1.000 Astronomische Einheiten. So ließe sich die Heliopause erforschen, die Grenzregion, an der Sonnenwind unseres Sterns auf interstellare Strahlung trifft, und ein potentieller Planet neun erreichen.

Auch weit außen liegende Zergplaneten wie Quaoar, Eris oder Sedna wären erreichbar. Und wenn man das Sonnensegel in großer Nähe zur Sonne platziert und dann entfaltet, sind selbst die inneren Ausläufer der Oortschen Wolke, einer unser Sonnensystem umgebenen Kometenwolke, nur 30 Jahre entfernt. Dort warten Billionen von Kometen und vielleicht auch einige noch unentdeckte Planeten auf uns.

Doch es gibt dort noch eine weitere interessante Möglichkeit. In etwa 550 Astronomischen Einheiten liegt der sogenannte Gravitationslinsenpunkt unserer Sonne. In dieser Entfernung bündelt die Sonne durch ihre Gravitation das Licht weit entfernter Objekte, so wie Einstein es in seiner Relativitätstheorie vorhersagte. Er meinte damals, man würde dieses Phänomen vermutlich nie beobachten können, doch heute ist es ein fester Bestandteil astronomischer Forschung, zum Beispiel der Entdeckung von Exoplaneten.

Ein genau in dieser Entfernung platziertes Weltraumteleskop könnte die Sonne als gigantische Linse verwenden. Die resultierende Vergrößerung von etwa 100 Millionen würde unsere Vorstellungskraft sprengen: Wir könnten Details auf fernen Exoplaneten erkennen, die so groß sind wie der Central Park. Damit könnten wir nicht nur außerirdisches Leben finden, sondern sogar die Geographie fremder Planeten erforschen und Landkarten erstellen.

Um diesen Gravitationslinsenpunkt zu erreichen, müsste ein Sonnensegel in einer Entfernung von etwa 0,1 Astronomischen Einheiten zur Sonne platziert werden – die dortige Strahlung stellt eine noch größere Herausforderung für das verwendete Material dar. In diesem Fall würde das Segel sein Ziel in sechseinhalb Jahren erreichen.

Die mathematischen Probleme mit Starshot und Co.

Doch man kann ja immer noch eine Stufe weiter denken.

Anstatt Exoplaneten nur zu beobachten, wäre es natürlich schon cool, sie vor Ort erforschen. Könnte ein Sonnensegel auch das bewerkstelligen, interstellares Reisen, gar eine Eroberung des Weltalls? Sind Projekte à la Starshot, mit Segel ausgestattete Nanosonden zu Alpha Centauri zu schicken, realistisch?

Beginnen wir mit dem offensichtlichsten Problem eines Sonnensegels, wenn es die Sonne verlässt. Kein Strahlungsdruck mehr. Der Raum zwischen den Sternen ist in erster Linie sehr viel Nichts. Das Sonnensegel kann also nur in der Nähe der Sonne beschleunigen und der dadurch generierte Schub reicht für den Flug zu unserem nächsten Stern, Proxima Centauri, nicht aus.

Die Intitiative Breakthrough Starshot um die Milliardäre Juri Milner und Marc Zuckerberg möchte das Konzept des Sonnensegels daher zum Lasersegel weiterentwickeln; statt nur durch Sonnenstrahlung soll also ein Laser das Segel antreiben.

Ganz prinzipiell spricht physikalisch nichts gegen die Idee, Licht ist Licht, ob es nun die Photonen der Sonne oder eines Lasers sind, die ihren Impuls übertragen, spielt für das Wirkungsprinzip keine Rolle. Doch der Teufel steckt im Detail…

Der benötigte Laser mit einer Öffnungsweite von bis zu fünf Kilometern müsste eine Leistung von etwa 100 Gigawatt aufbringen.

Alleine um den dafür nötigen Strom zu erzeugen, bräuchte es den chinesischen Drei-Schluchten-Staudamm, und zwar mehr als viermal. Oder etwa 100 typische Kernkraftwerke. Aber hey, wieso nicht… Vermutlich wären es mehrere Laser, denn ein einziger 100 GW-Laser dürfte schwer zu konstruieren sein. Wenn man das Geld hat, geht das sicherlich. Zudem muss diese Leistung ja sowieso nur für einige Minuten aufgebracht werden.

Dass diese Laser dann dutzende Kilometer durch unsere Atmosphäre strahlen und völlig ungeklärt ist, welche Auswirkungen das auf die Atmosphäre hat, nun ja… würde, wenn wir mal ehrlich sind, am Ende sowieso niemanden aufhalten. Eine Möglichkeit wäre es, die Laser im Erdorbit oder – vermutlich leichter – auf dem Mond zu installieren. Dort würde auch die Streuung wegfallen.

Schwieriger wird es bereits bei dem Material, das den Angaben der Initiative zufolge eine Reflektivität von 0,99995 aufweisen soll. Sowas gibt es nicht; beschränkt man sich allerdings auf eine sehr kleine Spanne von Wellenlängen, die reflektiert werden soll (und das ist bei einem Laser natürlich der Fall), können dielektrische Spiegel diesen Wert schon heute übertreffen. Haken dran.

Kohlenstofffasern als mögliches Material für Sonnensegel
Das Material eines Lichtsegels – hier Kohlenstofffasern – muss eine Menge aushalten.

Das Material wird allerdings ein anderes Problem bekommen. Den Angaben zufolge sollen 35 Gigawatt Leistung beim Segel ankommen, rechnen wir mal mit einem 14 Quadrameter großen Segel, also einer Seitenlänge von etwa 3,75 m, erhalten wir eine Strahlungsflussdichte von 2,5 Gigawatt pro Quadratmeter Segelmaterial.

Das klingt nun abstrakt, ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde, ein Quadratmeter des nur 50 Nanometer dicken Segels erhält pro Sekunde also eine Energie von 2,5 Milliarden Joule. Kritisch. Da wir aber einen Reflexionsgrad von 0,99995 haben, bleiben „nur“ noch 1,25 Millionen Watt und das wie gesagt nur für die Beschleunigungsphase.

Passt.

Yay, wenn geht´s also los?

Ein Problem gibt es noch: Am Ende dieser Beschleunigung soll das Segel zwei Millionen Kilometer von der Erde entfernt sein. Der Laser muss dann auf ein wenige Quadratmeter großes Segel in mehr als der vierfachen Distanz des Mondes zielen – und fokussiert bleiben. Dieses Maß an Präzision beherrschen wir heute noch nicht, mit künftigen auf dem Mond im Vakuum installierten Lasern will ich es aber nicht ausschließen.

Das einzige, was unverrückbar feststeht, sind die Naturgesetze und mit denen ist die Idee grundsätzlich im Einklang. Alles andere kann gelöst werden. Doch so einfach wie das klingt, ist es nicht (naja, so einfach klingt es auch meiner Meinung gar nicht, ich wollte nur die populäre Redewendung bemühen…).

Vor allem die Konstruktion der Laser ist allerdings heute noch Science Fiction und erfordert noch technische Fortschritte, vor allem aber sehr, sehr, sehr viel Geld. Nicht wenige halten die wissenschaftliche Grundlage des Projekts daher für unausgereift und bevorzugen die Investition in andere Ideen zur Entdeckung außerirdischen Lebens:

„Ich halte es für Geldverschwendung.“

 Didier Queloz, der Entdecker des ersten Exoplaneten zum Projekt Starshot

Vor allem daran sind auch vergangene Ideen, die physikalisch grundsätzlich funktionieren, gescheitert, etwa der nukleare Pulsantrieb.

Bremsen mit einem Sonnensegel

Wenden wir uns noch einem Detail zu: Ziel des Sonnensegels ist Proxima Centauri, der uns nächste Stern. Ein lohnenswertes Ziel, eventuell mit einem bewohnbaren Planeten. Natürlich will man dort auch Daten sammeln, um die Chance zu haben, außerirdisches Leben zu entdecken. Doch mit 20% der Lichtgeschwindigkeit wäre das Sternsystem in wenigen Minuten durchquert, man könnte nur ein paar hastige Bilder aufnehmen – der Datentransfer ist dann nochmal ein ganz anderes Thema.

Möchte man das System genauer erforschen, in den Orbit eines Planeten eintreten oder sogar dort landen, muss man bremsen. Auch das ist mit einem Sonnensegel möglich.

Die Voyager-Sonden entdeckten an der Grenze zum interstellaren Raum eine sogenannte Schockfront. An diesem Punkt sinkt die Geschwindigkeit des Sonnenwindes unter die Schallgeschwindigkeit, das bedeutet, Dichteschwankungen und Störungen des Plasmas bewegen sich bis dorthin also schneller fort als der Sonnenwind selbst. Das führt dazu, dass der Sonnenwind abrupt abgebremst und durch das interstellare Medium beeinflusst wird. Diese Front kann ein Sonnensegel abbremsen. Es gibt keinen Grund zur Annahme, dass das Alpha Centauri-System nicht auch über eine Schockfront verfügt.

Allerdings ist die Bremswirkung der Schockfront, eine Raumsonde mit 20% der Lichtgeschwindigkeit oder mehr kann dadurch kaum merklich abgebremst werden. Möchte man bremsen, muss man also Kompromisse eingehen und darf nicht so schnell unterwegs sein wie es bei einer Passage ohne Bremsen möglich wäre, nur mit etwa 4,6% der Lichtgeschwindigkeit, womit die Sonde circa 100 Jahre unterwegs wäre. Dann könnte sie sich Proxima Centauri auf nur vier Millionen Kilometer annähern und für den Weiterflug zu den Planeten Swing-by-Manöver nutzen.

Fazit

Das Sonnensegel kann die Zukunft der Raumfahrt sein. Bereits in wenigen Jahren könnten weitere Raumsonden mit Sonnensegeln starten, umfangreichere Missionen sind im Laufe dieses Jahrzehnts denkbar. Interstellare Missionen werden jedoch noch einige Jahrzehnte brauchen, die NASA zieht derzeit einen Start im Jahr 12.069 HE in Erwägung. Das halte ich für extrem ambitioniert.

ZielMinimale Flugzeit in Jahren
Jupiter2
Saturn3,3
Uranus5,8
Neptun8,5
Heliopause (mit sonnennahem Start)2,5
Gravitationslinsenpunkt (mit sonnennahem Start)6,5
Oortsche Wolke (mit sonnennahem Start)30
Proxima Centauri (mit Lasersegel)40
Sirius (mit Lasersegel)68,9
Wega (mit Lasersegel)167,39
Epsilon Eridani (mit Lasersegel)363,35

Wie man hier sieht, verkürzen sich die Flugzeiten mit der bereits vorhandenen einfachen Version des Sonnensegels, wie etwa bei IKAROS, kaum, allerdings erhöht sich in einigen Konstellationen die Nutzlastkapazität, es können also größere und komplexere Raumsonden gebaut werden. Doch bereits ein sonnennaher Start führt zu massiven Zeiteinsparungen. Diese Geschwindigkeit würde uns die Eroberung des kompletten Sonnensystems ermöglichen, jeder Punkt im inneren Sonnensystem wäre in einigen Wochen erreichbar, jeder Punkt im äußeren Sonnensystem in Monaten.

Das Lasersegel wiederum erreicht signifikante Bruchteile der Lichtgeschwindigkeit, es ist mit dem Atomantrieb derzeit der vielversprechendste Ansatz für interstellare Reisen. Es bleiben eine Menge an Probleme zu lösen, doch wie René Heller vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung feststellt:

„Viele großen Visionen in der Menschheitsgeschichte hatten mit schier unüberwindbaren Hürden zu kämpfen.“

René Heller, Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung

Hätten unsere Vorfahren vor einem Jahrtausend berechnet, welche Windgeschwindigkeiten nötig wären, um mit ihren Schiffen in sechs Stunden über den Atlantik zu kommen, wären sie wohl auch zu dem Ergebnis gekommen, dass derart schnelles Reisen unmöglich sei, da die Segel reißen würden.

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