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Dinosterben im Volksparkstadion Hamburg

Im Volksparkstadion Hamburg blickt Jason auf die berühmte Uhr.

Hamburger SV-FC Augsburg, 26.04.2015

„Wir schalten rüber in den Hamburger Volkspark“ oder auch „Tooor im Volksparkstadion Hamburg!“ In den Neunzigern sah ich selten Fußball, sondern hörte die Radiokonferenz mit meinem Dad und der Hamburger Volkspark brannte sich ungesehen in meine Netzhaut, wie es vielleicht sonst nur dem Bökelberg gelang. Aus Fansicht wohl eines der unbeliebtesten Stadien, ist es heute das erste Stadion, dass seinen Namen nicht nur durch Verkauf verlor, sondern ihn auch durch den Verkauf des Namens wieder zurück erhielt. Aber auch zu Zeiten, als der Name AOL Arena oder HSH Nordbank lautete, war das für mich persönlich imm er der Hamburger Volkspark oder das Volksparkstadion Hamburg.

Unsere Reise zum Volksparkstadion Hamburg.     

Nicht einmal auf die Unzulänglichkeiten des HSV ist Verlass. Das vollständige Versagen wurde uns versagt. „Das könnte ein historisches Spiel werden“, habe ich dem Sohn gesagt. „Vielleicht werden sich in zwanzig Jahren noch Menschen unterhalten und werden sagen: „Damals, als der HSV noch erstklassig spielte.“ Ein spannendes Wochenende schien vor uns zu liegen. Zweitligatristesse par excellence mit öder Stimmung und spielerisch limitierten Mannschaften. Nein, nicht beim HSV, wir waren an diesem Wochenende ja auch noch in Frankfurt beim Zweitliga-Klassiker FSV Frankfurt gegen VfR Aalen.

Jason wollte den Dino gerne noch in der ersten Liga sehen und einige Tage vor dem Spiel gegen Augsburg dachte ich, es könnte für den HSV tatsächlich wieder verdammt eng werden. Die Verpflichtung von Bruno Labbadia erschien mir zunächst wie eine abstruse Bestätigung der Vereinsführung, dass man dieses Jahr nicht wieder an einer erfolgreichen Relegation scheitern wolle, doch dieses scheinbare Vakuum an Kompetenz ließ Hannover 96 natürlich nicht auf sich sitzen und vermeldete die Verpflichtung von Michael Frontzeck, der in der Vergangenheit auch eher ein Garant für Abstiege zu sein schien.

Beim HSV empfand ich die Situation insgesamt als ein wenig unglücklicher, da die Medien zum Teil bereits die Verpflichtung von Thomas Tuchel bekannt gaben und Labbadia nun eher wie der Notnagel wirkte, ohne irgendetwas dafür zu können. Mir ging es jedenfalls wie Uwe. Ich sorgte mich, dass es den HSV in diesem Jahr tatsächlich erwischen könnte. Ich malte mir aus, welche lustigen Dino-Witze ich mir anhören müsste und trotzdem hätte ich keine großen Schwierigkeiten, den HSV bei meinem Verein in der allerbesten Super-Zweiten-Giganten-Liga der Welt begrüßen zu dürfen. Der HSV hätte ja vielleicht auch den VfB und Freiburg mitbringen können. Dafür gehen dann der KSC, RBL und Ingolstadt in die erste Liga. Eine durchaus charmante Konstellation. Je mehr ich dann über diese zu diesem Zeitpunkt nicht so unrealistische Variante nachdachte, umso mehr missfiel sie mir.

Ich will die Diskussion um Traditionsvereine nicht weiter schüren, weil diesbezüglich vielleicht jeder auch so seine eigene Definition des Regelwerks hat. Wann fängt Tradition genau an? Gründungsjahr und zeitlicher Abstand zum Profifußball? Bundesligagründungsmitglied? Keine verkauften Anteile? Nur echte Fans mit Liebe oder Kutte oder Choreo oder Matchworn-Trikot aus den Achtzigern?

Bei mir ist es so, dass egal welchen Maßstab ich für mich anlege, der HSV in die Kategorie der Vereine fällt, die eigentlich in die erste Liga gehören, selbst wenn sie es durch übelstes Missmanagement vielleicht anders verdient hätten.

Sei es, weil sie mich belustigt haben durch ihre Außendarstellung und ihre teils eklatanten Personalfehlentscheidungen oder auch, weil sie mich begeistert haben im DFB-Pokal gegen meine Düsseldorfer Fortuna oder in der Champions League gegen Juventus.

Vielleicht aber auch einfach nur, weil da so ein letzter Nimbus fallen würde. Das letzte Gründungsmitglied, welches absteigt. Die Bundesliga hat nicht mehr viel Ursprüngliches. Braucht sie das? Keine Ahnung. Schlimm genug, dass der HSV nun herhalten muss, aber einen Abstieg fände ich tatsächlich nicht gut. Hamburg, München, Berlin, Köln, Düsseldorf (hüstel) sind eigentlich Städte, wo Bundesligafußball schon auf Grund der Attraktivität der Stadt stattfinden sollte. Nun gut, Leipzig und Dresden müsste man nach diesem Maßstab dann eigentlich auch ran lassen. Und was machen wir um Gottes Willen mit Gelsenkirchen und Dortmund? Lassen wir das. Ich verrenne mich. Ja, ich bin alt, vielleicht kein Dino, aber zumindest noch so weit in der Bundesliga verwurzelt, dass ich nach meinem eigenen Maßstab für mich Vereine definiere, die ich unabhängig von ihren Verfehlungen, Fanaussetzern und ihrer spielerischen Leistung in der ersten Fußballbundesliga sehen möchte. Der HSV gehört dazu. Und wenn dem irgendwann einmal nicht mehr so ist, werde ich es verkraften.

Jason hatte die Besonderheit des HSV jedenfalls verstanden und er mag ja bekanntlich außergewöhnliche Dinge. Umso schwieriger wurde das Spiel plötzlich für ihn. Augsburg ist sein Geburtsort. Er hegt dort nun keine intensiven Verbindungen zum FC Augsburg, aber live verlieren sehen möchte er ihn dann nun doch nicht. Aber den HSV möchte er mit der Gefahr des möglichen Abstiegs auch nicht verlieren sehen. Ein Unentschieden wünschte der Herr und wenn Mudda Lasoggas Sohn nicht innerhalb von einer Minute den zwischenzeitlichen Ausgleich der Augsburger mit einem brachialen Tor beantwortet hätte, wäre der Wunsch des Sohnes auch in Erfüllung gegangen. Oder aber, der HSV hätte nach einem obligatorischen Westermann-Spielaufbau noch das 2:3 kassiert.

Aber wir wollen uns nicht beschweren. Angereist, um ein Potpourri aus Abwehrfehlern – angereichert mit einem Vakuum an effizientem Spielaufbau und einem Mittelfeld, welches Woche für Woche die Messlatte für den Höhepunkt an Lethargie höher legt – zu sehen, überraschte der HSV mit leidenschaftlichem Kampf, der dann auch mit frühen Toren belohnt wurde. Das Publikum wusste das Engagement zu schätzen und entfachte schnell eine dieser Stimmungen, die Jay-Jay und ich so mögen und die sich nicht automatisch aus dem Publikum heraus ergeben kann, weil man sich heute mal Mühe geben will und ganz doll die Mannschaft unterstützen möchte.

Besondere Spiele oder besondere Spielverläufe sind notwendig, um zu spüren, wie der Funke aus der Kurve in die Gegengerade und die Haupttribüne überspringt. Immer wieder von den Spielern aufgepeitscht war die Stimmung in Hamburg am Samstag sehr außergewöhnlich. Vielleicht erlebten wir Ähnliches zuvor in Dresden gegen Kaiserslautern, aber ansonsten fallen mir keine Spiele ein, wo der Anhang nicht nur laut, kreativ oder ausdauernd war, sondern schlicht und ergreifend mitreißend und dem Spielgeschehen angepasst agierte.

Jason konzentrierte sich zwischenzeitlich mehr auf die Bundesliga-Uhr, weil er Angst hatte, das Umspringen der neunundfünfzigsten Minute der dreiundzwanzigsten Stunde zu verpassen. Ich glaube es war so ca. die 60. Spielminute, als die Uhr kurzzeitig sowohl bei den Stunden als auch bei den Minuten und Sekunden jeweils zwei Nullen anzeigte.

„Guck mal Papsi: So viele Nullen.“

Ich freute mich, bis ich feststellte, dass er gar nicht den Westermännern auf dem Platz folgte und just, vielleicht sogar in der Sekunde der Nullanhäufung, auf die Bundesligauhr starrte und somit noch einen Pfostenschuss von „Weißnichtwem“ verpasste.

Der HSV war ihm zwischenzeitlich kurz suspekt geworden, als Lotto King Karl die Menge einstimmte.

„Warum singen die das Baumarktlied?“ verwirrte mich kurzzeitig. Meine Erklärung verarbeitend, was es mit der Band Queen und „We Will Rock You“ auf sich hat, verpasste er die durchaus emotionale Sangeskunst der Nordtribüne fast komplett. Ehrlich: „Hamburg, meine Perle“, gesungen von der Nord, wäre durchaus ansprechend, wenn die Typen auf dem Kran nicht gewesen wären.

„Papsi, bist du der HSV in unserer Familie?“

„Ähm. Was?“

„ Na ja, der Dino. Der älteste halt.“

„Ja, aus dem Blickwinkel betrachtet könnte man das so sehen.“

Es war auf dem Rückweg vom Volksparkstadion zum Hamburger Hauptbahnhof, als dieses Gespräch begann. Es begann mit Papsi als Familien-Dino und mündete plötzlich in einem Monolog von Jason, wie er sich das mit seinem Sohn dann später einmal vorstellt. Und mit dem Sohn vom Sohn und dessen Sohn.

„Kommst du dann immer noch mit, Papsi?“

„Klar, vielleicht musst du mich schieben, aber das bekommen wir dann schon irgendwie hin.“

Ich war erfreut über die Diskussion, die sich daraus ergab und dass sie nicht abdriftete zum Thema Tod, was aktuell immer mal wieder unvermittelt aufkommt. Der Sohn, der bis dato klar den Standpunkt vertrat, er wolle vielleicht Kinder aber keine Frau, lockerte seine Einstellung: „Die Frau könnte ja dann in deinem Kellerloch wohnen, wenn du mit dem Rollstuhl sowieso nicht mehr die Treppe runterkommst.“

Empathie ist weiterhin ein Thema und das Thema Fortpflanzung ist in der Schule außerhalb des Schulunterrichts durchaus präsent. Allerdings wird über Klassenkameraden das Pferd der Aufklärung in den Unterrichtspausen mehr von hinten aufgezäumt, was das ein oder andere Problem mit sich bringt. Dazu aber vielleicht ein anderes Mal mehr.

Hamburg war ein äußerst chilliger Ausflug. Das FC-St.-Pauli-Empfangskomitee, welches uns am Bahnhof abholte und zum Stadion geleitete, das Banner der Sitzkissen-Fraktion, welches Jay-Jay mit aufhängen durfte, tolle Stimmung, gutes Spiel, ein völlig durchgeknallter Lasogga, ein brettstarker Djourou und Fußballgott Kacar live und in Farbe.

Tolle Leute im Stadion und nach dem Spiel im „Knappis“ kennen gelernt und trotzdem wieder viel zu wenig Zeit gehabt. Die Uhr, der Spielverlauf, fünf Tore, eine kleine Choreo, ein üppig befüllter Süßigkeitenstand und insgesamt hat der Spaß weniger als die Hälfte des Spiels des VfR Aalen in Frankfurt gekostet. Wir konnten nicht klagen.

Es passte wirklich viel an diesem Nachmittag.

Wer weiß, vielleicht hat der Sohn ja noch einmal Lust zum HSV zu fahren. Vielleicht gleich nächstes Jahr zum Derby gegen Kiel. Je nachdem wohin der Weg des Dinos führt.

Geschichten rund um das Volksparkstadion Hamburg

Im MeinSportradio durften Jason und ich über unseren Ausflug zum HSV berichten. Hier geht es zur Sendung.Sven schreibt was der Sieg gegen den HSV unterm Strich bedeutet.Hier entlang.

Unser Besuch in Hamburg und die nur deshalb ansprechende Leistung des HSV, war Balsam auf Saschas Seele.

Die Geschichte des Hamburger Volksparkstadion

Die Geschichte des Volksparkstadion Hamburg in Bildern. NDR

Martin Sonnleitner über die Geschichte des Stadions am Volkspark Hamburg auf blogtrifftball.de

Dokumentation über das Volksparkstadion Hamburg.

 

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2 Comments

  • HSV
    HSV

    […] Stadionbesuch schon eine ganze Weile her. Es war im November 1984, und es war ein Heimspiel des Hamburger SV gegen den SV Waldhof Mannheim. Es war ein bitterkalter Novemberabend, aber spätestens nach zehn […]

    Antworten
  • VfB Stuttgart

    […] zu meinem Vater VfB-Fan ist, hatte die Überraschung. Es ging in Station. Zum VfB. Gegen den Hamburger SV. Untertürkheimer Kurve, man wollte mich wohl nicht gleich zu viel Lautstärke und Fans aussetzen. […]

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