Ich vermag gar nicht einzuschätzen, wie viele das Stadion, wo wir unser Covershooting hatten, sofort erkannten. Das Cover war schon im ersten Gespräch mit dem Verlag Thema. Das lag nicht daran, dass wir schon eine konkrete Idee hatten, wie es aussehen soll, sondern eher daran, dass wir ganz genaue Vorstellungen hatten, wie es eben nicht aussehen soll. hat nichts im Titel oder auf dem Cover verloren und bildlich ist das letzte, was wir wollten, irgendeine dieser völlig sinnfreien Autismus-Metaphern, die hier munter vom politisch-missionarisch geprägten Sozialmedien-Rotzablasser-Sterotype, aber auch von Journalisten durchaus renommierter Medien verwendet werden. Die Kronen-Zeitung machte in der vergangenen Woche aus rücksichtslosen Fahrradfahrern „Drahtesel-Autisten“, bei Kabel eins sind Bluthunde „genetische Autisten“ und auch im politischen Journalismus hält man sich für besonders eloquent Trumps Verhalten „autistisch“ zu benennen. Das Amokläufern nachgängig im Kontext zum Motiv auch autistische Züge nachgesagt werden und sich in den sozialen Medien die Nutzung des Adjektivs zur Beschreibung negativer Verhaltensweisen von Politikern durchgesetzt hat ist auch eher Standard als Ausnahme.
Daher galt auch für den Titel selbst: kein Wording im Kontext zum Autismus. Das geht in 100 % der Fälle schief. Die Coverideen unsererseits konnten nicht einstimmig dem Verlag vorgelegt werden. Jason sah sich selbst als X stehend Bengalos in den Himmel recken, ich hatte eher ein Cover ohne Foto vor Augen. Bei meinem Vorschlag konnte ich argumentativ von der Notwendigkeit eines Bildes durch den Verlag überzeugt werden. Bei der Idee des Sohnes stoppte uns unglücklicherweise die Hausordnung des Gastgebers, des FC St.Pauli.
Warum St. Pauli?
Da das Buch zum Shooting-Zeitpunkt noch gar nicht fertiggestellt war, lag für die Covergestaltung grundsätzlich erst einmal die Bildthematik eines Stadions oder aus dem Fußballkontext nahe, wobei sich inhaltlich bereits abzeichnete, dass es weniger ein klassisches Fußballbuch werden würde.
Wir schlugen damals ein Shooting im Stadion am Herrmann-Löns-Weg vor, denn das Cover sollte möglichst vereinsneutral sein, schließlich hatte sich Jason noch immer nicht für einen Lieblingsverein entschieden und bei mir mehrten sich die Zweifel, dass sich diesbezüglich in den nächsten Jahren etwas Entscheidendes tut.
Ein leeres, verrottetes und zugewachsenes Stadion bietet genügend Plätze, an denen sich ein Fotograf austoben kann und es braucht in der Regel auch weniger Menschen zur Unterstützung, weil wir uns dort mit einem Fotografen treffen könnten und kein Platzwart, oder Stadionverantwortlicher dabei sein müsste. Für Jason einfach noch einmal ein Riesenunterschied, ob wir uns irgendwo mit einem, zwei Menschen oder mit fünf Menschen treffen. Zudem mochte ich Solingen als gemeinsame Erinnerung. Ich bin dort geboren. Wir fuhren dann gleich zwei Mal nach Solingen, weil Jason das Erforschen von verlassenen Orten gerne mag und wir ein paar Videoaufnahmen zur Vorlage beim Verlag aufnehmen wollten. Ich erspare euch hier mal unser Video von diesem wirklich besuchenswerten Ort, denn andere haben dies viel eindrucksvoller festgehalten.
Neben den Gedanken um den Ort des Shootings überwog aber auch die Sorge, einen guten Fotografen zu finden, der sich auf die Rahmenbedingungen mit Jason einlässt. Der Verlag schlug ein Shooting in Hamburg am Millerntor vor. Sie hätten dort eine empathische Fotografin und das Stadion böte alles, was das Fotografinnen-Herz höher schlagen lässt.
Dem hätte ich unumwunden zustimmen wollen, wenn man die Bilder für den nächsten Astra Urpils-Kalender schießen wollte oder einen Bildband über den FC St. Pauli plante. Aber lassen sich dort Fotos für ein vereinsneutrales Buchcover schießen? Meine Erinnerungen waren geprägt von Besuchen, die mich glauben ließen ich würde das Stadion gut kennen. Ein Irrtum wie ich feststellte. So ganz leer nimmt man ein Stadion dann doch noch einmal anders wahr. Aber zurück zum Kernproblem. Wir hatten zu wenig Fotoperspektiven, wenn man nicht auf den ersten Blick den FC St. Pauli erkennen sollte. Ich musste zudem mein Radio Nukular Shirt ausziehen, weil es einen stilisierten Totenkopf enthält. Ich hätte aber auch ein St. Pauli Trikot anziehen können. In neunzig Prozent der Foto-Perspektiven wäre eine Verwechslung mit einem anderen Verein sowieso unwahrscheinlich gewesen. Wir hatten auch vor Ort immer noch keine konkrete Vorstellung, welche Perspektive und welchen Hintergrund man für das Coverfoto benötigte, und auch die Fotografin konnte das nicht konkret beantworten, wirkte aber stets optimistisch, das eine oder andere brauchbare Bild schießen zu können. Man kann ja schlecht im Millerntor einfach mal riesige Schriftzüge, Graffitis und Statements abdecken. Auch, wenn da an dem Tag kein Fußball ist. Wir waren da ja nur zu Gast. Aber es war schon irrwitzig, eine so großartige Location fürs Covershooting nutzen zu können und dann doch so wenig Aussage mitnehmen zu können. Wir fanden glücklicherweise doch einige Plätze. Jason und ich hatten riesig Spaß, was auch an der großartigen Sabrina Nagel (Fotografin) lag, die sehr schnell Draht zu Jason fand und dadurch aus dem gesamten Shooting eine sehr entspannte Geschichte machte. Vielen Dank zudem an den FC St.Pauli. Für einen Debütautoren mal eben das Stadion zur Verfügung zu stellen ist auch alles andere als selbstverständlich.
Wer das Buch nicht kennt, kann sich die Übersteiger-Rezension zu Gemüte führen.
Noch ein wenig mehr Hintergrund gibts vielleicht aus dem Interview, welches Jason und ich neulich in der Sendung Buchgeflüster geben durften.
Jan Nebrog
„Dann ist auch Schluss mit der Pauli-Schleimerei…“ – danke für die Steilvorlage! Als Schleimerei könnte es nur dann ganz vielleicht eventuell ausgelegt werden, wenn Du hier nicht das SANKT unterschlagen hättest! 😉
Kiezkickerde
Häh? Wie, „warum St. Pauli“?
Streich das mal bitte, das muss ein Fehler im Text sein. Oder zumindest verstehe ich die Frage nicht.
LOL. Soso.
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Und dabei hätte #KeinFussball doch superklasse für das „Kein Fussball“ – und auch „Kein Autismus“ – Buch gepasst. 🙂