{"id":1253,"date":"2014-01-08T07:04:28","date_gmt":"2014-01-08T06:04:28","guid":{"rendered":"http:\/\/www.wochenendrebell.de\/?p=1253"},"modified":"2021-06-23T17:30:16","modified_gmt":"2021-06-23T15:30:16","slug":"voll-normal","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/wochenendrebell.de\/voll-normal\/autismus-spektrum\/","title":{"rendered":"Voll normal"},"content":{"rendered":"
Wenn Sie das n\u00e4chste Mal einen Menschen nackt in roten Gummistiefeln in einer Fu\u00dfg\u00e4ngerzone tanzen sehen, verurteilen Sie ihn nicht.<\/p>\n
<\/p>\n
Wenn Sie jemanden dabei beobachten, wie er mit ein und demselben Aufzug \u00fcber acht Stunden in den 4. Stock hinauf und wieder herunter f\u00e4hrt, dann reagieren Sie nicht verwundert, sondern unterst\u00fctzen Sie ihn.<\/p>\n
Wenn Sie demn\u00e4chst einen erwachsenen Menschen mit einem Kind, Metallica-Songs singend am Bahnhof in Str\u00fcmp sehen, dann informieren Sie nicht das Jugendamt. Es besteht kein Grund zur Beunruhigung, vielleicht ist dieser Mensch einfach nicht normal.<\/p>\n
Dies wird wahrlich keine sch\u00f6ne Geschichte<\/a>.<\/p>\n Wer Kinder hat, oder wer selbst vielleicht k\u00fcrzlich erst der Pubert\u00e4t entsprungen ist, kennt vermutlich noch die regelm\u00e4\u00dfigen Vorsorgeuntersuchungen, denen sich Kinder unterziehen m\u00fcssen, um ihren Entwicklungsstand zu \u00fcberpr\u00fcfen.<\/p>\n Diese Arztbesuche mit Jay-Jay waren die H\u00f6lle.<\/p>\n Ging es ihm mal richtig schlecht, oder war er wirklich krank, verweigerte er zwar auch den Gang in ein Krankenhaus oder zu einem Notarzt, aber er lie\u00df es wenigstens zu, dass wir in ein Behelfshaus fahren, also in eine krankenhaus\u00e4hnliche Einrichtung mit Menschen in wei\u00dfen Kitteln, die von Medizin viel verstehen, aber z. B. Spritzen nur mit ausdr\u00fccklicher Zustimmung der Eltern verteilen d\u00fcrfen.<\/p>\n (Diesbez\u00fcglich empfehle ich \u00fcbrigens in M\u00fcnchen gerne das Klinikum Dritter Orden – Fantastisches Personal, die sich ggf. auch Blaum\u00e4nner angezogen h\u00e4tten und eine Hymne vor jeder Untersuchung gesungen h\u00e4tten, wenn es notwendig gewesen w\u00e4re.)<\/p>\n Schwieriger waren aber tats\u00e4chlich diese Routineuntersuchungen, denn es bestand ja keinerlei Schmerz, und somit logischerweise auch keinerlei Begr\u00fcndung zu einem Besuch einer derartig seltsamen Einrichtung.<\/p>\n Ich erinnere mich gut an eine der Untersuchungen, wo ihm erkl\u00e4rt wurde, wie wichtig es ist, zu schauen, ob sich ein Kind normal entwickelt. Die \u00c4rztin, bzw. die Angestellte dieses Behelfshauses, erkl\u00e4rte ihm, wie man u. a. anhand von gemalten Bildern erkennen k\u00f6nnte, wie weit ein Kind entwickelt ist. Ab einem gewissen Alter sollten Kinder ihren Namen schreiben k\u00f6nnen, und bis zu einem gewissen Alter ist es eben auch normal, dass bei einem gemalten Baum alle \u00c4ste quasi aus der Mitte des Stammes herauswachsen, der wie ein Rohr auf der Wiese platziert ist, und, dass Menschen eben Arme haben, die auf Herzh\u00f6he aus dem K\u00f6rper herauswachsen oder noch keinen Hals sondern einen auf dem Rumpf aufgest\u00fclpten Kopf.<\/p>\n <\/p>\n Unsere Touren<\/a> haben eine Menge Probleme gel\u00f6st, und bei vielen weiteren Schwierigkeiten bin ich optimistisch, einzig sein Hang zum Gr\u00f6\u00dfenwahn sorgte mich mehr und mehr. Ein weiterer enormer Vorteil – schlagt mich, ich bin ein erpresserisches Dreckschwein – ist, dass die Touren, oder die Androhung, den n\u00e4chsten Spieltag sausen zu lassen, das einzig verbliebene Druckmittel f\u00fcr die Bew\u00e4ltigung des Alltags ist.<\/p>\n <\/p>\n Jay-Jay interessiert es nicht, ob er Stubenarrest oder Fernsehverbot hat, aber er h\u00f6rt eben auch nicht, einfach nur weil es sich geh\u00f6rt, zu h\u00f6ren.<\/p>\n Mit der Tourpausendrohung gibt es einen letzten Hebel. Eigentlich einen vorletzten, ich k\u00f6nnte ggf. auch drohen, die Schneeb\u00e4lle schmelzen zu lassen, die wir in unserer Tiefk\u00fchltruhe seit 2010 aufbewahren m\u00fcssen, oder die Scherben des Glastisches final zu entsorgen, die in der Garage eingelagert sind. ( Fragen Sie nicht – Zwei lange Geschichten )<\/p>\n <\/p>\n Eigentlich ist es gar kein richtiger Gr\u00f6\u00dfenwahn, sondern eher der Zwang der Gr\u00f6\u00dfte, Beste, Kl\u00fcgste, Erfolgreichste, … zu sein.<\/p>\n In allem.<\/p>\n Im Vergleich mit jedem.<\/p>\n Ich glaube nicht, dass er wirklich glaubt der gr\u00f6\u00dfte zu sein, aber trotz Vermessungen seines K\u00f6rpers im Vergleich zu meinem, und trotz logischster Darstellungen, behauptet er weiter, er w\u00e4re der Gr\u00f6\u00dfte der Welt. So wie er ja auch nie schl\u00e4ft, nie teilt, nie abgibt. Das strengt an, da es z.B. jegliche M\u00f6glichkeit des normalen gemeinsamen Spiels zu Hause verhindert, weil es zwangsl\u00e4ufig zur Eskalation f\u00fchrt.<\/p>\n <\/p>\n Es war Anfang Januar. Wir bloggten gerade beide.<\/p>\n Ja. Tats\u00e4chlich taten wir das beide.<\/p>\n Er ben\u00f6tigt f\u00fcr Texte immer etwas l\u00e4nger, und meistens k\u00f6nnen wir uns nicht auf eine Ver\u00f6ffentlichung seines Werkes einigen, weil ich ihm nicht versprechen will, dass es vielleicht auch einen negativen Kommentar gibt, oder, dass es vielleicht manchen nicht gef\u00e4llt. Er fragt dann immer, welchen Teil des Textes er rausnehmen muss, damit es allen gef\u00e4llt, und am Schluss bleiben dann doch nur zwei S\u00e4tze zur Beschaffenheit des Abfahrtsbahnhofs \u00fcbrig. Er ist diesbez\u00fcglich ungeheuer harmoniebed\u00fcrftig.<\/p>\n <\/p>\n Ich hingegen versuchte, mich durch die Notizen des Cottbus-Berichts zu w\u00fchlen. Es ist viel passiert dort, aber mir gelang es bis dato nicht, die Geschehnisse in ein lesbares Format zu packen.<\/p>\n Wir unterhielten uns \u00fcber Fortuna D\u00fcsseldorf<\/a>.<\/p>\n Er hatte sich auch dank der tatkr\u00e4ftigen Unterst\u00fctzung einer Hoolinette<\/a> dem Verein gegen\u00fcber ein wenig mehr ge\u00f6ffnet. Zumindest streitet er es ab, dass er Fortuna D\u00fcsseldorf vollst\u00e4ndig final aussortiert hat, und machte es nun nur am damaligen Abstieg fest.<\/p>\n \u201eIch bin nur Fan von einer Mannschaft, die nicht dauernd verliert. Und absteigen darf sie auch nicht.\u201c<\/p>\n Ich versuchte ihm zu erkl\u00e4ren, dass jede Mannschaft mal verliert, und dass die Niederlagen dann auch schmerzhafter sein k\u00f6nnen, je seltener sie vorkommen, w\u00e4hrend seltene Siege s\u00fc\u00dfer schmecken.<\/p>\n Aber meine Argumentation trug keine Fr\u00fcchte.<\/p>\n \u201eDu bist kein Bayern-Fan mehr, weil sie immer gewinnen, und bist jetzt Fan von einer Mannschaft, die immer verliert, und willst mir erkl\u00e4ren was sinnvoll ist?\u201c<\/p>\n Er bezog sich auf das Spiel der D\u00fcsseldorfer zu Hause gegen den 1. FC K\u00f6ln.<\/p>\n Wir sa\u00dfen bei meinen Eltern und schauten uns das Spiel an. Jay-Jay trug sogar das Fortuna-D\u00fcsseldorf-Trikot, welches er in Cottbus im G\u00e4steblock noch unter der Jacke versteckte, und war aufgeregt, als w\u00e4re er live dabei. Er fragte vorher, ob das so in Ordnung ist oder ob er sich mit dem Tragen eines Trikots final als Fan festgelegt h\u00e4tte, was er noch nicht m\u00f6chte. Er f\u00e4nde momentan eben mehrere Mannschaften gut.<\/p>\n Noch w\u00e4hrend ich ihm erkl\u00e4rte, dass er Fan sein darf, wie er es will, hatte sich das Thema durch den Verlauf des Spiels schon wieder erledigt. Das Fortuna-Trikot lag in der Ecke auf dem Boden, der Sohn verschwand in den Nebenraum und verblieb dort bis zum Spielende.<\/p>\n Wenn er zu einer Mannschaft h\u00e4lt, dann hat die auch zu gewinnen. Ansonsten kann das ungem\u00fctlich werden.<\/p>\n