{"id":2173,"date":"2015-05-27T09:05:49","date_gmt":"2015-05-27T07:05:49","guid":{"rendered":"http:\/\/www.wochenendrebell.de\/?p=2173"},"modified":"2020-02-25T16:15:09","modified_gmt":"2020-02-25T15:15:09","slug":"bonjour","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/wochenendrebell.de\/bonjour\/unsortiert\/","title":{"rendered":"Bonjour"},"content":{"rendered":"

AS Nancy-Angers SCO, 15.05.2015<\/h2>\n

Bonjour.<\/p>\n

F\u00fcr mehr reicht es leider nicht mehr. Trotz Franz\u00f6sisch als erster Fremdsprache. Ein nettes Wochenende liegt hinter uns. Wir sind sechs Stunden mit Regionalbahnen bis ins benachbarte Ausland gefahren, um dann ohne Tickets beim v\u00f6llig ausverkauften Spitzenspiel der zweiten franz\u00f6sischen Liga zu landen. Es wurde mit Fahnenst\u00f6cken auf uns eingepr\u00fcgelt, wir w\u00e4ren fast verhungert, wir erlebten, als einzige g\u00e4nzlich unvermummt, den Beginn der dritten Halbzeit, wir sa\u00dfen auf den beschissensten Pl\u00e4tzen des Stadions – kurzum, es war ein gigantisch gutes Wochenende.<\/p>\n

Es gab noch einige Pflichtbesuche zu absolvieren. Jason hatte sich innerhalb eines Punkterankings einen Auslandsground erspielt, weil er einige Herausforderungen gemeistert und Gefahrensituationen erfolgreich vermieden hatte. Au\u00dferdem lag ihm der Saarbr\u00fccker Ludwigspark noch am Herzen, da dieser vor dem Umbau steht und man im Anschluss ja nie wieder die M\u00f6glichkeit hat, diesen Ground im alten Zustand zu sehen. Bei den Vorabplanungen musste ich Vorsicht walten lassen, weil die Abreise an einem Freitag um 12:30 Uhr beruflich bedingt erst final an besagtem Freitag um 12:00 Uhr entschieden werden konnte. Gl\u00fccklicherweise funktionierte alles und so d\u00fcsten wir gegen Mittag ohne Hotel, ohne Tickets gen S\u00fcden, um am Abend das Zweitliga-Spitzenspiel AS Nancy gegen den SCO Angers zu sehen. Von dort aus sollte es dann am n\u00e4chsten Morgen ausgeruht in l\u00e4ppischen zwei Stunden r\u00fcber nach Saarbr\u00fccken gehen, um das relativ bedeutungslose Spiel des sicher feststehenden Relegationsteilnehmers 1.FC Saarbr\u00fccken gegen die SpVgg Neckarelz zu sehen.<\/p>\n

Die Anreise verlief entspannt. Der Sohn arbeitete weiter an seinem Blogpost. Er hat mittlerweile Zeilen gel\u00f6scht, die f\u00fcr ein Buch gereicht h\u00e4tten, aber nun gut. Es macht ihm Spa\u00df und gut Ding will nun mal Weile haben.<\/p>\n

Ein Hotel war nach Ankunft in Nancy zum Gl\u00fcck schnell gefunden, so dass wir uns sofort nach Ankunft mit dem Studium der \u00f6ffentlichen Verkehrsmittel besch\u00e4ftigen konnten. Der Sohn studierte die Pl\u00e4ne und geleitete uns mit ein wenig Unterst\u00fctzung zielsicher zur Haltestelle, die uns zum Stade Marcel Picot f\u00fchren sollte. Eine gute Stunde vor Anpfiff erreichten wir schon das innerst\u00e4dtisch gelegene Stadion und auch die ersten verschlossenen Kassenh\u00e4uschen lie\u00dfen mich noch nicht daran zweifeln, hier noch Tickets erhalten zu k\u00f6nnen. L\u00e4ngere Schlangen an diversen Schaltern nur wenige Meter weiter beruhigten mich dann sehr.<\/p>\n

Zu meiner \u00dcberraschung und zur Ver\u00e4rgerung des Wochenendrebellen-Chefs handelte es sich bei den Wartenden an den Schaltern allerdings um Abholer von reservierten Tickets. Ein weiterer Schalter diente f\u00fcr den Verkauf von Tickets f\u00fcr ein Spiel der Frauenfu\u00dfball-Nationalmannschaft. Nun fielen uns auch die Spielplakate auf, auf denen fett gedruckt \u201eComplet\u201c f\u00fcr ausverkauft stand. Die Dame am Schalter lachte h\u00e4misch und herzlich zugleich, als ich ihr meine Situation schilderte und nach einer M\u00f6glichkeit fragte, noch ins Stadion zu gelangen.<\/p>\n

Nun gut, dann eben Schwarzmarkt. Das kann ja nicht so schwer sein. Bei fast jedem Spiel wurden wir bisher angequatscht, ob wir Tickets ben\u00f6tigten. Wir drehten unsere Runden und trafen viele Gleichgesinnte. Alle suchten Tickets f\u00fcr dieses Spiel. Allm\u00e4hlich schlug auch beim Sohn die erste leichte Ver\u00e4rgerung in Wut um. Weder in gebrochenem Franz\u00f6sisch und auch nicht auf Englisch lie\u00df sich von irgendjemandem mehr als Gel\u00e4chter oder am\u00fcsiertes Kopfsch\u00fctteln entlocken. Einer hat dann den Ernst unserer Lage erkannt. Er h\u00e4tte noch ein Ticket zu verkaufen und hier in Frankreich<\/a> sei es unproblematisch, sein Kind auf den Scho\u00df zu nehmen, schilderte er uns seinen L\u00f6sungsansatz. Unser Problem sei also eigentlich gar keines. Ich bezweifelte diese Aussage, entschloss mich aber dazu, erst einmal dieses Ticket zu sichern, um sp\u00e4ter ggf. noch ein zweites Einzelticket zu ergattern. Alles andere k\u00f6nnte man sicherlich im Stadion l\u00f6sen.<\/p>\n

Einhundert Euro!<\/p>\n

Das war der Preis, den der gute Mann aufrief, mir versichernd, dass ich garantiert kein g\u00fcnstigeres Ticket bekommen w\u00fcrde. Die Stehplatzkarte kostet normalerweise 9 \u20ac.<\/p>\n

Ich glaube tats\u00e4chlich, bei zwei Tickets h\u00e4tte ich das bezahlt. Aber gl\u00fccklicherweise konnte auch das Geschrei des Sohnes, (\u201eNIMM DAS TICKET! DU KANNST DANN HIER AUF MICH WARTEN.\u201c) mich nicht zur Unvernunft bringen.<\/p>\n

Nun herrschte Stimmung. Ich sondierte die Umgebung. Vielleicht gibt es einen Turm, einen Berg oder eine verdammte Bushaltestelle, die man erklimmen k\u00f6nnte, um einen Blick ins Rund zu erhaschen. Eine leichte Frustration machte sich nun auch bei mir breit. Ins Ausland zu fahren, ohne sich vorab Tickets zu sichern, darf man an dieser Stelle durchaus auch mal als d\u00e4mliche Glanzleistung bezeichnen.<\/p>\n

Ich versuchte, den Sohn, der den Tr\u00e4nen nah war zu beruhigen, schilderte ihm sachlich die Situation und verdeutlichte ihm, dass wir die Situation wohl kaum \u00e4ndern k\u00f6nnten und dass, selbst wenn ich hier um Tickets betteln w\u00fcrde, wir keine mehr bekommen w\u00fcrden.<\/p>\n

\u201eDann bettel!\u201c<\/p>\n

Er grinste bei seiner Ansage, so dass ihn dies sicherlich belustigen w\u00fcrde, was ihn wiederum den Frust zumindest f\u00fcr die n\u00e4chsten drei\u00dfig Minuten vergessen lassen w\u00fcrde. Alternativ k\u00f6nnte ich die Situation auch f\u00fcr den restlichen Abend eskalieren lassen.<\/p>\n

F\u00fcr ein wenig Ruhe kann man sich auch schon einmal zum Obst machen. Ich bastelte ein \u201eNeed Tickets\u201c-Schild und stellte mich mitten in die Menge. Der Sohn beobachtete das Ganze aus sicherer Entfernung, denn er wollte sich ja nicht blamieren.<\/p>\n

Ich machte, motiviert durch einen feixenden Sohn, den Hampelmann mit meinem Schildchen. Es sprach sich schnell herum, dass der Depp aus Deutschland kommt und den ganzen Weg ohne Tickets hierher gefahren ist. Man knipste Fotos, sch\u00fcttelte mitleidig den Kopf und auch die Polizei wurde mittlerweile auf mich aufmerksam.<\/p>\n

Dies w\u00e4re so nicht erlaubt, aber es sei lustig. Ich solle auf mich aufpassen. Ein Schwarzmarkt rund um dieses Spiel sei quasi nicht existent. Zudem seien F\u00e4lschungen im Umlauf.<\/p>\n

Es waren nur noch wenige Minuten bis zum Anpfiff, als mich ein Herr um die f\u00fcnfzig ansprach. Sein Englisch war so gut wie mein Suaheli, aber wenn ich seinen Ausf\u00fchrungen in schnellstem Franz\u00f6sisch folgen konnte, bat er mich, mit ihm zu kommen.<\/p>\n

Er sah vertrauensw\u00fcrdig aus und da es noch hell war, folgten wir ihm. Er ging mit uns um das gesamte Stadion. Er war Lehrer einer Schulklasse und organisierte einen Ausflug der Schule zu diesem wichtigen Spiel und schleppte ein ganzes B\u00fcndel Tickets durch die Gegend. St\u00e4ndig wurde er angesprochen, ob er Tickets verkaufen w\u00fcrde, was er trotz durchaus interessanter Angebote von um die 50 \u20ac ablehnte.<\/p>\n

Er sprach mit einem weiteren Herrn, der ihm einen Umschlag zusteckte und kam dann erneut direkt auf uns zu.<\/p>\n

Er dr\u00fcckte uns zwei Tickets in die Hand: \u201ePour le petit Groundhopper\u201c.<\/p>\n

Ich war fassungslos.<\/p>\n

Ich fragte ihn was er von uns daf\u00fcr bekommen w\u00fcrde. Er l\u00e4chelte nur und sagte, dass dies ein Geschenk sei und er kein Geld von uns nehmen w\u00fcrde. Ich soll dem jungen Mann eine Fanta mehr ausgeben.Dies sind also diese blasierten Franzosen, die die Deutschen so hassen.<\/p>\n

Ja, wir sa\u00dfen sp\u00e4ter inmitten von mehreren Schulklassen, die mit den gratis ausgegebenen Plastikf\u00e4hnchen der \u00f6rtlichen Schlachterei so heftig um sich schlugen, dass ich die ersten Spielminuten ernsthaft Sorge um das Augenlicht meines Sohnes hatte und mit Kopfschmerzen in die Halbzeit ging. Die Pl\u00e4tze waren beschissen, unter dem Dach, hinterste Ecke oben links, umringt von ca sechzig pubertierenden Kids, die das Spiel nur die ersten vier Minuten interessierte. . Aber trotzdem. Ich verpasste die ersten zwanzig Minuten des Spiels, weil ich immer noch ein wenig beeindruckt war, dass wir noch an Tickets gekommen waren und dies dann noch zu diesen Bedingungen.<\/p>\n

Gro\u00dfartig. Dies entsch\u00e4digte auch daf\u00fcr, dass es bereits ab der zwanzigsten Spielminute im Block nichts mehr zu essen gab, was den meisten auch irgendwie nicht so ungew\u00f6hnlich erschien, hatten sie sich doch mit Lunchpaketen, Baguettes, Croissants, Keksen, Chips, S\u00fc\u00dfigkeiten, etc. bestens eingedeckt.<\/p>\n

Das Spiel war grottig, das Stadion hatte neben der schicken Lage auch nicht viel zu bieten und so war das null zu null im Grunde nur logisch. Die Stimmung, die aber auch gr\u00f6\u00dftenteils dem akustikf\u00f6rdernden Bau des Stadions geschuldet war, musste jedoch f\u00fcr nichts entsch\u00e4digen. Wir verlie\u00dfen gl\u00fccklich diesen Ground und auch der an uns vorbeist\u00fcrmende vermummte Mob der Heimfans, der sich, gejagt von der Polizei, in Richtung G\u00e4steblock aufmachte, konnte unsere gute Stimmung nicht tr\u00fcben. Der SCO Angers ist \u00fcbrigens in der Folewoche nach einer Abstinenz von \u00fcber zwanzig Jahren in die Ligue 1 aufgestiegen.<\/p>\n

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