Es war ein ziemlich abgefahrenes Gef\u00fchl. Du trugst Dein Festival-Shirt von 2011. Du warst sechs und das Serengeti-Festival war dein erstes Festival. Du hattest eine alterstypische Einordnung von Musik und warst von all den Eindr\u00fccken um Dich herum restlos \u00fcberfordert, hattest aber trotzdem riesigen Spa\u00df. Du hast Dir damals nachts w\u00e4hrend des In Extremo-Auftritts Deine H\u00e4nde gew\u00e4rmt, indem Du sie durch mein Shirt auf dem nackten Oberk\u00f6rper warmgerubbelt hast.
\nMir wird der Moment ewig in Erinnerung bleiben, war es doch das erste Mal, dass von Dir aktive N\u00e4he ausging \u2013 nach der Diagnose in 2009. Einmal im Jahr wollten wir aufs Festival fahren, und so landeten wir auch vor zwei Jahren in Stukenbrock beim Serengeti-Festival. Du berichtest mir damals von Deinem „Krieg im Kopf“, lerntest Daniel Wirtz kennen und gabst ihm die Hand, was Du sp\u00e4ter vehement abgestritten hast. Das war gro\u00dfartig. Seit letztem Jahr ist es Dir wichtig, ein Festivalshirt nicht in Deiner aktuellen Gr\u00f6\u00dfe mitzunehmen, sondern sp\u00e4ter eines in Erwachsenengr\u00f6\u00dfe zu haben, welches Du Dein restliches Leben lang tragen kannst. Ich mag Deine Art zu denken, aber das wei\u00dft Du.<\/p>\n
Nun ist 2015, und wir waren wieder auf dem Serengeti-Festival. Unser ausgekl\u00fcgelter Plan, dieses Festival 2061 zu unserem f\u00fcnfzigj\u00e4hrigem Festivaljubil\u00e4um zu besuchen, hat sich leider er\u00fcbrigt. Das Serengeti-Festival wird es so nicht mehr geben, was sehr traurig ist, aber wohl der modernen Festivalkultur geschuldet ist. (Hier ein Statement des Veranstalters<\/a>.) Du hast das wie gewohnt optimistisch gesehen und verlangst dann eben ein eigenes Festival zum 50.Festival-Geh-Geburtstag. Ich glaube, neben Deinem wachsenden Interesse f\u00fcr die wichtigen Themen des Lebens, wird Dein Optimismus mir lange in Erinnerung bleiben als eine der beiden Eigenschaften, die Dich mit nun zehn Jahren pr\u00e4gen.<\/p>\n \u201eDann veranstalten wir 2061 einfach unser eigenes Serengeti-Festival. Mit Broilers, Wizo und Sondaschule als Headliner.\u201c<\/p>\n Aber eins nach dem andern.<\/p>\n Wir buchten wieder den separaten Campingplatz abseits des Campinggel\u00e4ndes f\u00fcr die hartgesottenen Festivalg\u00e4nger. Umgeben von Rentnern und Wohnmobilen, aber trotzdem nur zwei Kilometer vom Festivalgel\u00e4nde entfernt, genossen wir die Ruhe, sauberes flie\u00dfendes Wasser<\/a> und gepflegte sanit\u00e4re Anlagen mit ausgezeichnet temperierbaren Duschen.<\/p>\n 2011 musste ich Dich noch ein wenig anschwindeln und Dir erz\u00e4hlen, dies w\u00e4re der Action-Campingplatz, wo sich die Festivalgemeinschaft auf die Acts einstimmt. Heute kennst Du die Wahrheit, und wir mussten es nicht einmal diskutieren, ob Du schon bereit bist, erwachsene Menschen zu sehen, die sich in hautenge, glitzerbestickte Ganzk\u00f6rperanz\u00fcge quetschten und Schilder mit klugen Spr\u00fcchen, wie: \u201eBrustvergr\u00f6\u00dferung durch Hand auflegen\u201c auf sich aufmerksam machten.<\/p>\n Du warst bequem, aber Du warst nicht anspruchsvoll. Okay, es musste ein gro\u00dfes Zelt sein. Eine Schlafkammer und ein separates Umkleidezelt, wir brauchten Tische, St\u00fchle, Kerzen, Taschenlampen, eiskaltes Malzbier und einen Grill.<\/p>\n Was man eben so braucht f\u00fcr ein erfolgreiches Festival.<\/p>\n Die Vorbereitung lief kurzfristig, aber effizient. Von allen Bands h\u00f6rten wir uns zwei oder drei Songs an, um zu entscheiden, wen wir sehen m\u00fcssen.<\/p>\n Der L\u00e4nge des Songs geschuldet, bliebst Du bei Marcus Wiebusch h\u00e4ngen und wolltest n\u00e4here Erkl\u00e4rungen zum Song \u201eDer Tag wird kommen\u201c.\u00a0 Trotzdem war ich ein wenig stolz, dass Dich dieses Thema interessiert, und Du den Auftritt gerne live sehen wolltest.<\/p>\n \u201eEs gibt Menschen, die sich aufregen, weil ein Mann einen Mann liebt? Die haben nicht viele Probleme, oder?\u201c<\/p>\n \u201eNa ja, oder vielleicht ein besonders gro\u00dfes Problem.\u201c<\/p>\n Ich mag das L\u00e4cheln, welches mir best\u00e4tigt, dass Du verstanden hast, worauf ich hinaus will. Marcus Wiebusch war live gro\u00dfartig und der beste Festivaleinstieg, der mir bisher widerfuhr.<\/p>\n Und Markus Wiebusch h\u00f6chstpers\u00f6nlich erreichte Dich mit einem Song erstmals auf textlicher Ebene. Nun gut, der Song von den Superhupen der beiden Autoh\u00e4ndlertrottel erreichte Dich auch, aber zum Gl\u00fcck nur kurz im Kopf, ohne sich l\u00e4nger im Hirnbereich festzusetzen. Am Wochenende war dies erstmals anders. Musik erreichte Dich auch im Herzen. Das war neu. Es gab Musik, die Du cool fandest. Bei Satellite von Rise against reichte Dir der Titel, um es rauf und runter zu h\u00f6ren, und Monster von Skillet gefiel Dir, weil Du dachtest, Du k\u00f6nntest mit einem Song \u00fcber Monster Deinem Cousin oder Deiner Schwester Angst machen.<\/p>\n Hier am Wochenende waren es gleich mehrere Auftritte, die Dich pers\u00f6nlich ber\u00fchrten, und die Dich zum nachdenken anregten. Neben Marcus Wiebusch waren dies die Herrschaften von Sondaschule, deren Songs oder Bestandteile derer, Du ganz f\u00fcr Dich allein interpretiertest.<\/p>\n So hei\u00dft es im Refrain des Songs \u201eDurch deine Augen\u201c:<\/p>\n \u201eIch w\u00fcrd gern einen Tag, nur einen Tag, die Welt durch deine Augen sehen.\u201c<\/p>\n Du referiertest dar\u00fcber, wie abgefahren und cool dies f\u00fcr mich sein m\u00fcsste, wenn ich die Welt durch Deine Augen sehen w\u00fcrde. Und da war nicht der Spur eines negativen Einschlags in Deiner Beschreibung. Es war eher so, als w\u00fcrdest Du mir die Sch\u00f6nheit dieses Blickes g\u00f6nnen, was mich doppelt freute.<\/p>\n Ich bekomme immer noch G\u00e4nsehaut, wenn ich daran denke. Den zweiten Song erkl\u00e4rtest Du gleich zur neuen Rebellenhymne, und als ich Dir erkl\u00e4rte, dass dieser Song eigentlich das Thema Freundschaft behandelt, erkl\u00e4rtest Du mir, wie gut das passt, denn ich w\u00e4re ja schlie\u00dflich Dein Freund.<\/p>\n H\u00e4tte ich noch G\u00e4nsehaut vom Tag zuvor gehabt, dann…<\/p>\n \u201eWir stehen auf und rennen los Du mochtest auch Royal Republic, wenn Dir auch das Pogen in dem Fall auf meiner Schulter am besten gefiel. Du hast Dich ganz dem Sound hingegeben, was ich in einem kurzen Video festhalten konnte. Ich freue mich, Dir die vielen Bilder und Videos sp\u00e4ter einmal zeigen zu k\u00f6nnen. Du wirst vermutlich von Dir selbst \u00fcberrascht und beeindruckt sein, wie sichtbar gel\u00f6st und happy Du warst.<\/p>\n Ausserdem packten Dich noch die Jungs von RDGLDGRN<\/a>. Im wahrsten Sinne des Wortes. Dir gefiel die Musik sehr, und wir sahen die gesamte Truppe nach dem Konzert zuf\u00e4llig auf dem Festivalgel\u00e4nde. W\u00e4hrend Du mir noch erkl\u00e4ren wolltest, welche Bedingungen, au\u00dfer dem Vermeiden von Ber\u00fchrungen, f\u00fcr die Band im Rahmen eines Fotos gelten sollen, hatte Dich Andrei schon gepackt und in Position gehievt. Dir gefiel dies sichtlich und Du belustigst Dich jetzt noch, einige Tage sp\u00e4ter, wie unversch\u00e4mt Deine Regeln durchbrochen wurden, aber dass man da ja nichts machen kann. Das sind ja schlie\u00dflich Stars. Die d\u00fcrfen das. Eine spannende Erkl\u00e4rung, betrachtet man Dein Verhalten gegen\u00fcber Daniel Wirtz vor einigen Jahren und Deinen lockeren regelfreien Umgang mit Zebrahead auf dem letzten Open Flair. Ich twitterte jedenfalls Dein Bild mit Red Gold Green<\/a>, worauf abends Andrei \u00fcber Twitter zu mir Kontakt aufnahm. Ich mag nicht zu viel verraten, weil es auch seine Privatsph\u00e4re betrifft, aber als er den groben Rahmen unserer Festivaltour begriff, war er sehr ger\u00fchrt und ergriffen. Er lud uns zu einem der Konzerte ein, die die Band als Vorgruppe der Iri\u00e9 Revoltes<\/a> und als Hauptact<\/a> spielt. Mal ganz unabh\u00e4ngig von der Wahrscheinlichkeit, dass Du Musik innerhalb einer Halle wohl nicht schaffst, bzw die fehlenden R\u00fcckzugsm\u00f6glichkeiten, die wir bei Open Airs haben eben bei einem Hallenkonzert g\u00e4nzlich ausgeschlossen sind, ist dies eine sehr nette Geste.<\/p>\n Nun ja, ich wollte diese Songs und Anekdoten f\u00fcr Dich festhalten. Ich wei\u00df nicht, wie sich dies bei Dir bez\u00fcglich Deines musikalischen Geschmacks weiter entwickelt, aber ich glaube, bei mir ist musikalisch aus dem Alter nichts h\u00e4ngen geblieben. Das ist auch gut so.<\/p>\n Ich erinnere mich grob an Nicki-\u201eWenn i mit dir tanz\u201c-Karaoke-Auftritte in meinem Zimmer. Es waren schlimme Zeiten. Du hast Musik erstmals bewusst gef\u00fchlt und genossen. Neben den textlichen Interpretationen hast Du Dich immer wieder fallen lassen, Du hast geklatscht oder Dich bewegt, nicht nur, weil es in Deinem Umfeld hunderte ebenso getan haben, sondern, weil Du es wolltest und es sich wohl richtig anf\u00fchlte. Du hast zwischenzeitlich die Augen geschlossen und einfach den Sound, die Luft, die Texte, das Umfeld und das Festivalgel\u00e4nde inhaliert. Das war gro\u00dfartig. Du hast alle Hemmungen fallen lassen. Nun ja, fast alle.<\/p>\n Der Auftritt von Sondaschule sollte das gro\u00dfe Finale werden, aber nachdem es knackige zw\u00f6lf Stunden durchgeregnet hat, entsprach der Belag vor der B\u00fchne nicht mehr zwingend Deinen Vorstellungen. Und so beschlossen wir<\/span> hast Du beschlossen, das Konzert von meiner Schulter aus zu verfolgen, nat\u00fcrlich, nachdem Du mit Deinen Schuhen durch die Matsche des Gel\u00e4ndes gelaufen bist. Es war gro\u00dfartig. Sp\u00e4testens beim dritten Song hatten sie Dich gepackt und Du wolltest runter, und wir machten unseren kleinen eigenen Moshpit, zu dem sich nach und nach weitere sehr behutsame Festivalg\u00e4nger gesellten. Ich lie\u00df Dich gew\u00e4hren und war in der Phase, wo alle auf der Stelle sprangen, etwas unachtsam. Du gabst mir einen ordentlich Schubser von der Seite, was auf dem glatten Gel\u00e4uf f\u00fcr eine perfekte Landung meinerseits in der k\u00fchlenden Matschpf\u00fctze sorgte. Nun hattest Du den Spa\u00df-Zenit erreicht. Wir pogten das Konzert zu Ende und beschlossen, dieses Mal gemeinsam, dass Sondaschule der Abschluss des Festivals sein soll. The Offspring und Bad Religion hattest Du schon gesehen, und Du warst der Meinung, dass sie sowieso nicht mehr an Sondaschule heranreichten. Das Problem des dringend sauber abzugebenden Mietwagen l\u00f6ste ich durch eine Nacktfahrt durch Stukenbrock, was Dich zus\u00e4tzlich enorm erheiterte. Wir hatten nichts trockenes mehr zum Wechseln und du warst seltsamerweise erstaunlich sauber geblieben. Es war aber auch v\u00f6llig egal. Ich w\u00e4re auch nackt nach Hause gelaufen. Du hast riesig Spa\u00df gemacht die drei Tage, und ich ertappe mich immer \u00f6fter dabei, wie ich die Welt durch Deine Augen sehe.\u00a0Da sind ziemlich fette Momente dabei. F\u00fcr mich. Ich hoffe, f\u00fcr Dich auch.<\/p>\n Dankesch\u00f6n.<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":" Es war ein ziemlich abgefahrenes Gef\u00fchl. Du trugst Dein Festival-Shirt von 2011. Du warst sechs und das Serengeti-Festival war dein erstes Festival. Du hattest eine alterstypische Einordnung von Musik und warst von all den Eindr\u00fccken um Dich herum restlos \u00fcberfordert, hattest aber trotzdem riesigen Spa\u00df. Du hast Dir damals nachts w\u00e4hrend des In Extremo-Auftritts Deine H\u00e4nde gew\u00e4rmt, indem Du sie durch mein Shirt auf dem nackten Oberk\u00f6rper warmgerubbelt hast. Mir wird der Moment ewig in Erinnerung bleiben, war es doch das erste Mal, dass von Dir aktive N\u00e4he ausging \u2013 nach der Diagnose in 2009. Einmal im Jahr wollten wir aufs Festival fahren, und so landeten wir auch vor zwei Jahren in Stukenbrock beim Serengeti-Festival. Du berichtest mir damals von Deinem „Krieg im Kopf“, lerntest Daniel Wirtz kennen und gabst ihm die Hand, was Du sp\u00e4ter vehement abgestritten hast. Das war gro\u00dfartig. Seit letztem Jahr ist es Dir wichtig, ein Festivalshirt nicht in Deiner aktuellen Gr\u00f6\u00dfe mitzunehmen, sondern sp\u00e4ter eines in Erwachsenengr\u00f6\u00dfe zu haben, welches Du Dein restliches Leben lang tragen kannst. Ich mag Deine Art zu denken, aber das wei\u00dft Du. Nun ist 2015, und wir waren wieder auf dem Serengeti-Festival. 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\nohne zu wissen ob die Richtung stimmt
\nWir tun nur dass was wir immer schon mal wollten
\nleben den Traum bauen Schl\u00f6sser in die Wolken
\nauch wenn sie sagen wie verr\u00fcckt du bist
\nwichtig ist nur dass du gl\u00fccklich bist\u201c<\/em><\/p>\n