Wir waren zu Besuch in Kiel beim Relegationsspiel von Holstein Kiel gegen Hessen Kassel. <\/a> Au\u00dferdem gab es Pizza und da gilt eigentlich „Zuviel ist nicht genug.“ Das \u00e4nderte sich.<\/p>\n Vor einigen Tagen leckte ich Multivitaminsaft vom Tisch um das Familienfr\u00fchst\u00fcck zu retten und auch sonst habe ich mein Leben fest im Griff. Es war leicht ihn in Verbindung mit einigen Youtube Videos ein wenig Umweltbewusstsein zu lehren. Ich selbst befand mich gerade in dieser sehr hirnrissigen Phase, in der ich mir gottgleich einbildete mit ein paar kleinen Tricks die Entwicklung meines Sohnes trotz der gerade frisch erhaltenen Diagnose Asperger-Syndroms entscheidend steuern zu k\u00f6nnen. Der einf\u00e4ltige Gedanke, dass ich ihm ein paar Physikvideos zeigen k\u00f6nnte, dies sich zu einem intensiven Spezialinteresse entwickelt und er sich den Nobelpreis f\u00fcr Physik<\/a> schnappte war, wenn auch nicht so intensiv ausgepr\u00e4gt, vorhanden. So jubelte ich ihm einige Umweltschutzclips unter in der Hoffnung dies w\u00fcrde seinen Umgang mit seiner Umwelt positiv und nachhaltig beeinflussen. Wer den Film \u201eInception\u201c<\/a> gesehen hat, der wei\u00df was passieren kann wenn eingepflanzte Gedanken unkontrolliert ihre Kreise ziehen. \u00c4hnlich eskalierend verlief es in diesem Fall.<\/p>\n War es zu Beginn noch sehr hilfreich jemanden im Hause zu haben, der sich darum k\u00fcmmert, dass Lichter nicht unn\u00fctz brennen, Heizungen nicht unn\u00f6tig hoch eingestellt sind und Verpackungsmaterial weiterverwendet wird zum Basteln, so wurde es im Rahmen der M\u00fcllvermeidungsstrategien, die Sohnemann ausarbeitete allm\u00e4hlich anstrengend.<\/p>\n Es durfte zu Hause quasi kein M\u00fcll und auch keine Speisereste mehr entstehen, die irgendwie entsorgt werden m\u00fcssen. Zun\u00e4chst bemerkten wir es nicht, dass sein Essverhalten sich ver\u00e4nderte, aber er r\u00fcckte dann nach einer Zeit raus mit der Sprache.<\/p>\n Sein Problem: er teilt nicht ( Nie! Never! Niemals!). Speisen, welche sich also auf seinem Teller befinden, k\u00f6nnen also erst nachdem er sein Mahl beendet hat, einem weiteren Zweck zugef\u00fchrt werden. Und dieser Zweck darf nicht die sinnfreie Entsorgung sein. Der Papsi-M\u00fcllschlucker war geboren.<\/p>\n Die bescheuerte Idee an diesem Tag seinen Teller leer zu essen um Entsorgung zu verhindern, endlich Ruhe zu haben, wenigstens einen Bruchteil dieses Umweltschutzextremisten in den griff zu bekommen und seiner Meinung nach gleichzeitig einen positiven Nutzen zu haben (\u201ePapsi bekommt dadurch ja mehr Energie um mit mir zu spielen\u201c) sollte mich bis heute verfolgen. Die incepitionale Entwicklung des Papsi=M\u00fcllschlucker Gedankengangs sorgte daf\u00fcr, dass sich dieses Vorgehen manifestiert hat. Papsi k\u00fcmmert sich um Essensreste. Nachhaltig und sinnvoll.<\/p>\n Vor einigen Tagen war es das umgefallene Multivitaminsaftglas und ich bin noch heute sehr dankbar, dass ich den Saft vom Tisch und nicht vom Boden lecken musste. Demut ist eben auch eine Sache des Blickwinkels.<\/p>\n Nun sa\u00dfen wir hier im Vapiano am Kieler Hafen. Es war mittlerweile 22:00 Uhr. Sohnemann und ich schwiegen uns an. Ich hatte meine Pasta bereits verzehrt. Er hatte von seiner Pizza drei St\u00fccke \u00fcbrig gelassen. Die Selbstverst\u00e4ndlichkeit mit der ich aufgefordert wurde die St\u00fccke zu essen verwunderte den Nachbartisch, was mich relativ wenig juckte. Er h\u00e4tte mir die Pizzast\u00fccke auch vor die F\u00fc\u00dfe werfen und sagen k\u00f6nnen: Friss! Es w\u00fcrde mein Problem nicht verkleinern.<\/p>\n Ich hatte nicht einfach nur keinen Hunger mehr, sondern ich bef\u00fcrchtete mich zu erbrechen, wenn ich jetzt auch noch Pizza esse. Ich wollte es aussitzen. Wieder einmal. Ich hatte es ihm erkl\u00e4rt. Und nun sitze ich es aus. Und diesmal werde ich gnadenlos sein. Ich hatte diesbez\u00fcglich ja auch schon einiges versucht. Kinderportionen ( \u201eIch bin kein Kind. Ess ich nicht\u201c) oder auch f\u00fcr mich selbst nur eine kleine Portion mit der Gewissheit als M\u00fcllschlucker dann doch satt zu werden.<\/p>\n Aber es nervt eben einfach tierisch, da die Nahrungsaufnahme bei Sohnemann, und diese \u00e4tzende Angewohnheit hat er von seiner Frau Mama, eeeeeeeeeeeeeeeeeeeeewig dauert. Meine Frau zelebriert das Essen so sehr, dass wir gar nicht mehr gemeinsam essen gehen k\u00f6nnten. Ich bin eigentlich eher der Typ Schaufelbagger. Mein 300 g Steak mit Salat und Beilagen inklusive Supplement ist verputzt w\u00e4hrend Frau Gemahlin, die erste Erbse sauber mittig getrennt hat um sie auf der freien Gabelspitze neben dem Kart\u00f6ffelchenchenchenchenst\u00fcckchen und dem Maiskorn zu platzieren.<\/p>\n So speist auch der Sohn. Was immer zur Folge hat, dass ich mein kleines Porti\u00f6nchen verspeisen w\u00fcrde, 30 Minuten warten m\u00fcsste um dann als M\u00fcllschlucker f\u00fcr erkaltete Speisen zu fungieren. Ich war des M\u00fcllschluckens \u00fcberdr\u00fcssig und diese bisher so friedlich verlaufene Tour schien mir eine gute M\u00f6glichkeit es im romantischen Kerzenschein am Kieler Hafen zur Eskalation zu bringen. Die knutschenden P\u00e4rchen um uns herum w\u00fcrden das verstehen. Ich bot Ihm erneut an, dass wir die Pizza teilen, bzw., dass ich ihm fr\u00fchzeitig helfe. Er lehnte ab. Ich verdeutlichte ihm die Ernsthaftigkeit meines Anliegens warnte ihn, dass er jetzt mit mir teilt oder die Pizza nachher auf dem Teller liegen bleibt.<\/p>\n \u201eDann werden wir wohl die ganze Nacht hier sitzen\u201c, antwortete er und sein Blick beinhaltete in etwa das emotionale Niveau einer Kartoffel. Mit so einem Ausdruck in den Augen von Goycochea w\u00e4ren wir vielleicht fr\u00fcher in den Genuss von Andy Brehmes Tr\u00e4nen gekommen.Eiskalt.<\/p>\n Dieser hartn\u00e4ckige, kleine Drecksack. Ich war platt. Die Strecke M\u00fcnchen-Kiel per Zug empfiehlt sich einfach nicht nach einem Treffen mit diversen Twitterern am Vorabend und einer dementsprechend kurzen Nacht.<\/p>\n 23:15 Uhr. Wir verlassen dieses Restaurant kurz nachdem ich drei eiskalte Pizzast\u00fccke unter den triumphierenden Blicken meines Sohnes quasi inhaliert habe. Er \u00fcberzeugte mich mit:<\/p>\n \u201ePapsi, findest du nicht meine besondere Logik bereitet uns manchmal gr\u00f6\u00dfere Probleme als diese drei Pizzast\u00fccke?\u201c<\/p>\n Argumentativ geschlagen trat ich mit ihm den Weg ins Hotel an und wir fielen beide innerhalb weniger Sekunden ins Koma.<\/p>\n Wir hatten ein ziemlich skurriles Stadionerlebnis hinter uns. Das Relegationshinspiel der KSV gegen den KSV (Holstein Kiel gegen Hessen Kassel) stand an und nach Erhalt der Eintrittskarten h\u00e4tte ich erahnen m\u00fcssen was uns erwartet. Auf den Eintrittskarten waren elf Sponsoren mit ihren jeweiligen Logos aufgef\u00fchrt.<\/p>\n Famila, Sinalco, Adidas, F\u00f6rde Sparkasse, Markant, Lotto Schleswig-Holstein, Warsteiner, Citti, CB Mode und Willer W\u00e4sche. Die letzten beiden platzierten sogar noch einen neckischen Abreisscoupon auf der Eintrittskarte. Sollte also jemand bei Gelegenheit im CB Mode im Citti-Park im Ostseepark Schwentinental einkaufen gehen wollen oder auch die Autow\u00e4schen T1-T3 bei Willer W\u00e4sche nutzen wollen. Meldet Euch.<\/p>\n H\u00f6lle. So verwunderte das weitere Treiben in dem eigentlich schicken Stadion nicht weiter. Der Stadionansager begr\u00fc\u00dft W.Kubicki noch freundlich bevor er bedauert, dass er die \u00fcbliche Einmarschmelodie nicht spielen darf, weil er sonst auf Grund von Auflagen seinen Job verliert. Die Aussage wird von Pfiffen und Geklatschpappe begleitet. Richtig! Klatschpappen. Relegation<\/a> zur 3.Liga und die Haupttrib\u00fcne ist versorgt mit Klatschpappen und schon vor Spielbeginn ist klar: Sie werden sie benutzen. Schade.<\/p>\n Das Stadion bietet zumindest f\u00fcr die heimischen Fans die M\u00f6glichkeit ordentlich Stimmung zu machen, was einem Bruchteil der Kurve( die eigentlich eine Gerade ist) auch gut gelingt. Wobei man auch anmerken muss, dass es wenig wirklich kreative Fanges\u00e4nge gibt, was mich nicht riesig st\u00f6rt. Es f\u00e4llt nur eben langsam auf, dass die \u201eKomm bring` uns den Sieg heim\u2026.\u201c und \u201eOl\u00e9, hier kommt der XXX\u201c Chants ligaunabh\u00e4ngig recht austauschbar \u00fcber die Stadien der Republik regieren.<\/p>\n Das der Stadionsprecher dann noch dazu aufruft per SMS seine pers\u00f6nliche Gru\u00dfbotschaft an die neue Lotto-Schleswig-Holstein-LED-Anzeigetafel zu senden k\u00f6nnte eigentlich auch einem meiner Blogposts entnommen worden sein, ist aber hier die kalte, bittere Realiti\u00e4t. Das es schlimmer geht beweist die Cheerleader-Truppe, die vor dem Spiel, in der Halbzeitpause und nach dem Spiel die Massen unterh\u00e4lt und der Stadionsprecher, der die beiden mich sowieso schon nervenden Tore der Kieler selbstverfreilich nach seiner intensiven Ansage mit einem \u201eDanke\/Bitte\u201c Abschluss untermalt. Kann mir bitte einmal jemand verraten warum ich mich \u00fcber RB Leipzig oder die TSG 1899 aufregen soll und \u00fcber diesen Schei\u00df nicht?<\/p>\n Der H\u00f6hepunkt der Pre-Game Show ist dann das Interview welches der Stadionsprecher vor dem Spiel mit einem \u201eFan\u201c durchf\u00fchrt.<\/p>\n \u201eHallo, du bist also heute hier um Holstein zu unterst\u00fctzen. Bist du \u00f6fters hier oder nur wegen der Relegation?\u201c<\/p>\n \u201eNein, ich bin echter Holstein-Fan. Ich war auch schon gegen Dortmund da.\u201c<\/p>\n Das Gel\u00e4chter welches nicht nur aus dem fies platzierten G\u00e4steblock dringt verunsichert den jungen Mann etwas.<\/p>\n \u201eUnd wirst du das Team am Sonntag in Kassel auch unterst\u00fctzen\u201c<\/p>\n \u201e\u00c4\u00e4\u00e4h, mal schauen\u201c<\/p>\n
Sohnemann interessierte sich sehr fr\u00fch f\u00fcr Sachb\u00fccher und Reportagen. Comics und Zeichentrickserien interessierten ihn nicht. Zu seinem 4.Geburtstag w\u00fcnschte er sich eine DVD, die sowohl die Urknalltheorie beschreibt als auch den Ablauf des zu erwartenden Big Crunchs. Das Entwickeln ausgepr\u00e4gter Spezialinteressen ist typisch f\u00fcr Menschen, die mit dem Asperger-Syndrom leben. Oft vertiefen Sie ihre Kenntnisse so intensiv, dass es Ihnen im sp\u00e4teren Berufsleben auch zum Vorteil gereicht. Manchmal gestaltet sich dies jedoch auch eher schwierig. Damals, kurz nach der Diagnose, trafen wir im Autismus-Therapie Zentrum einen Jungen im gleichen Alter, der sein Herz den Rasenm\u00e4hern verschrieben hatte. Die Mutter war v\u00f6llig verzweifelt, weil er \u00fcber nichts anderes spricht. Er hatte kein einziges Buch zu Hause, aber ein Dutzend Kataloge mit Rasenm\u00e4hermodellen. Das wollte ich irgendwie nicht.<\/span><\/p>\n