{"id":7733,"date":"2018-09-19T08:00:53","date_gmt":"2018-09-19T06:00:53","guid":{"rendered":"http:\/\/spektrograph.com\/?p=1217"},"modified":"2021-08-10T19:06:43","modified_gmt":"2021-08-10T17:06:43","slug":"hambacher-forst","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/wochenendrebell.de\/hambacher-forst\/oekologie\/","title":{"rendered":"Der Hambacher Forst – Geht\u00b4s hier ums Prinzip?"},"content":{"rendered":"

Momentan ist mal wieder viel los: Der Chef des Verfassungsschutz entpuppte sich als Handlanger von Faschist*innen, eine historische Hitzewelle \u00fcberrollt Europa und Nazis ziehen von der Polizei toleriert durch Chemnitz. Doch die Rodung eines Waldes, der seit der letzten Eiszeit besteht, f\u00fcr eine Energiequelle, welche die n\u00e4chsten Jahrzehnte nicht \u00fcberleben wird und darf, setzt echt nochmal einen drauf…<\/strong><\/p>\n

Die heiklen Punkte beginnen schon bei der Frage, wie alt der Hambacher Forst eigentlich ist. Viele Umweltsch\u00fctzer*innen behaupten, die Region sei seit 12.000 Jahren – also seit dem Ende der letzten Eiszeit -bewaldet und tats\u00e4chlich findet sich dies auch in wissenschaftlichen Quellen wieder.<\/p>\n

Geschichte des Hambacher Forsts<\/h2>\n

Einige Wissenschaftler*innen meinen hingegen, der Hambacher Forst sei damals nicht viel mehr als eine Tundra gewesen und der Wald in seiner heutigen Form best\u00fcnde erst seit 4.000 bis 5.000 Jahren – so etwa Prof. Wolfgang Schumacher, der an der Universit\u00e4t Bonn als Professor f\u00fcr Geobotanik und Naturschutz arbeitet.<\/p>\n

Was davon nun stimmt, ist wohl von der Interpretation des Worts „Bewaldung“ abh\u00e4ngig, aber eigentlich auch nicht mehr wirklich relevant. Klar ist, dass der Wald den Menschen schon seit der Antike und auch im Mittelalter gut bekannt war. Zur Zeit des R\u00f6mischen Reichs befanden sich im Hambacher Forst sogenannte villae rusticae<\/em>, Gutsh\u00f6fe zur Versorgung der nahegelegenen r\u00f6mischen Kolonie Colonia Claudia Ara Agrippinensium<\/em>, die sp\u00e4ter einmal K\u00f6ln werden sollte.<\/p>\n

Im Mittelalter hingegen galten im Gegensatz zu heute strenge Regeln f\u00fcr die nachhaltigen Umgang mit dem Wald unter Androhung heftiger Strafen. Eine bekannte Pers\u00f6nlichkeit aus dieser Zeit ist sicherlich Arnold von Arnoldsweiler<\/em>, ein Heiliger des 8. Jahrhunderts, der Musiker im Gefolge Karls des Gro\u00dfen<\/em> war. Als er den K\u00f6nig zur Jagd im Hambacher Forst begleitete, bemerkte er, dass die umliegenden D\u00f6rfer in gro\u00dfer Armut lebten, schlie\u00dflich durfte niemand im Wald, der k\u00f6nigliches Eigentum war, jagen oder Brennholz sammeln.<\/p>\n

Arnold wollte helfen und bat Karl den Gro\u00dfen, ihm so viel Land zu schenken wie er w\u00e4hrend eines Mahls umreiten konnte und dieser willigte ein – schlie\u00dflich galt Arnold nicht als besonders guter Reiter. Er hatte im Voraus jedoch mehrere Pferde in in den umliegenden D\u00f6rfern stationiert, sodass er mehrfach wechseln konnte und ihm ein Gro\u00dfteil des Waldes geschenkt wurde.<\/p>\n

Er verschenkte ihn weiter an die umliegenden D\u00f6rfer, wodurch er dort verehrt wurde und bis heute wird – nur eine der zahlreichen Anekdoten und Geschichten, die sich um den Wald ranken.<\/p>\n

Lange war dadurch der Schutz des Waldes gew\u00e4hrleistet, denn obwohl die Bev\u00f6lkerung in dieser Region explodierte und Menschen den Wald nutzten, wurde auf Nachhaltigkeit<\/a> geachtet: Brennholz durfte entnommen und Schweine in den Wald getrieben werden, aber kein Baum gef\u00e4llt. Erst als mehr und mehr Gebiete in Privateigentum fielen, schrumpfte der Wald langsam. In den 70ern wurde dann ein riesiger Teil des Waldes in kurzer Zeit vernichtet.<\/p>\n

Hat Rot-gr\u00fcn die Rodung beschlossen?<\/h2>\n

L\u00e4ngst sind Fakten im Kampf um den Hambacher Forst zweitrangig geworden. Selbst die NRW-Landesregierung greift gezielte Desinformation von Rechten und Lobbyist*innen auf und verbreitet sie an die \u00d6ffentlichkeit. Ministerpr\u00e4sident Armin Laschet behauptete etwa in der WDR Arena, die Rodung basiere auf einem Beschluss der rot-gr\u00fcnen Landesregierung von 2016.<\/p>\n

Das ist grober Unfug, schlie\u00dflich begannen die Rodungen 1978 und die Gr\u00fcnen existieren in dieser Form erst seit 1993. Eine Regierung kann auch gar keine Rodung beschlie\u00dfen, nur der Eigent\u00fcmer des Waldes selbst, also RWE, bzw. dessen damalige Form Rheinbraun<\/em>. An dem wiederum haben nat\u00fcrlich zahlreiche Kommunen Anteile, die somit gro\u00dfes Interesse daran haben, dass die Kohleindustrie l\u00e4uft und der Hambacher Forst weichen muss. Insgesamt besitzen Kommunen und kommunale Verb\u00e4nde etwa 24% von RWE.<\/p>\n

Eine Regierung kann eine Rodung des Waldes lediglich verhindern oder genehmigen. Dies geschah in den sogenannten „Leitentscheidungen“ aus den Jahren 1991 und 1987 – in beiden Jahren regierte die SPD alleine mit Johannes Rau als Ministerpr\u00e4sident. Schon dort wurden die nun debattieren Rodungen also genehmigt.<\/p>\n

Tats\u00e4chlich verabschiedete Rot-gr\u00fcn 2016 eine neue Leitentscheidung – die hatte allerdings mit dem Tagebau Hambach nichts zutun. Die Gr\u00fcnen haben dort sogar gegen den Willen des Koalitionspartners durchgesetzt, dass der Tagebau Garzweiler um ein Drittel verkleinert wird. Eine neue Leitentscheidung f\u00fcr Hambach und Ingen II w\u00e4re nun die Aufgabe von der Schwarz-gelben Landesregierung, diese schiebt die Lage aber lieber auf die Gr\u00fcnen.<\/p>\n

Gehen andernfalls die Lichter aus?<\/h2>\n

Die Falschinformationen gehen aber noch weiter. RWE-Vorstandsvorsitzender Schmitz etwa nannte bisher unbekannte Demonstrant*innen, die Sachsch\u00e4den verursacht hatten, „\u00d6koterroristen“ und \u00fcbernahm damit rhetorisch das Framing von AfD und anderen Klimawandelleugner*innen. Des weiteren jagt RWE der Bev\u00f6lkerung Angst ein und behauptet, w\u00fcrden die weiteren Rodungen nicht stattfinden, k\u00f6nnte es in Nordrhein-Westfalen schnell zu Blackouts kommen:<\/p>\n

„Eine vor\u00fcbergehende Aussetzung der f\u00fcr Oktober 2018 geplanten Rodung im Tagebau Hambach w\u00fcrde bereits kurzfristig die Fortf\u00fchrung des Tagebaus und damit die Stromerzeugung der Kraftwerke Niederau\u00dfem und Neurath in Frage stellen.“<\/p><\/blockquote>\n

Die Zahlen widerlegen das jedoch eindeutig. Nach Recherchen der Deutschen Welle<\/em> und Zahlen des BUND<\/em> w\u00fcrden die Reserven noch f\u00fcr mindestens drei Jahre gen\u00fcgen, selbst wenn nicht gerodet wird. Und letztlich wird auch ein signifikanter Teil des Stroms ins Ausland exportiert. Hier wird mit den \u00c4ngsten der Bev\u00f6lkerung gespielt, und zwar auf Seite derer, die dies Klimaaktivist*innen so gerne vorwerfen.<\/p>\n

Und selbst, wenn wir noch von Kohle abh\u00e4ngig w\u00e4ren, dann w\u00e4re dies das Ergebnis politischer Entscheidungen und k\u00f6nnte, nein muss, ge\u00e4ndert werden. Richtig ist, dass RWE angek\u00fcndigt hat, infolge des Rodungsstopps vermutlich Arbeitspl\u00e4tze k\u00fcrzen zu wollen.<\/p>\n

Was macht den Hambacher Forst so wertvoll?<\/h2>\n

Doch wieso ist der Hambacher Forst so wertvoll, dass er Gegenstand einer bundesweiten Debatte ist und mittlerweile fast jeder seinen Namen kennt? Wie bereits erw\u00e4hnt, ist das Alter dort sicherlich ein Thema, schlie\u00dflich geht die Geschichte<\/a> des Waldes tats\u00e4chlich bis zur letzten Eiszeit vor 12.000 Jahren zur\u00fcck. Damals schlugen die ersten B\u00e4ume dort ihre Wurzeln, ob man das nun Wald nennen mag oder nicht. Noch besonderer ist das maximale Alter einzelner B\u00e4ume: Bis zu 350 Jahre.<\/p>\n

Zudem handelt es sich um einen der wenigen intakten Mischw\u00e4lder Mitteleuropas. Auch wenn der Hambacher Forst kein Urwald handelt ist und in Rum\u00e4nien oder der Ukraine noch deutlich gr\u00f6\u00dfere unber\u00fchrte Waldareale existieren, ist er, bzw. was noch von ihm \u00fcbrig ist, insofern zumindest bei uns etwas Besonderes. Doch die Besonderheiten gehen viel weiter, umfassen etwa den Boden des Waldes.<\/p>\n

Dieser ist sogenannter L\u00f6ssboden<\/em>, er entstand ebenfalls in der letzten Eiszeit, in der noch Gletscher Mitteleuropa bedeckten und es kaum Vegetation gab. Dies erm\u00f6glichte, dass Sand und Schluff hinweggeweht werden und sich woanders wieder absetzen konnten, wo sie mit anderen Materialien vermischt wurden.<\/p>\n

Dieser Boden ist der fruchtbarste und f\u00fcr die Landwirtschaft g\u00fcnstigste weltweit und dieses Geschenk der Eiszeit ist wohl ein Grund daf\u00fcr, dass das Ruhrgebiet mit die gr\u00f6\u00dfte Bev\u00f6lkerungsdichte Europas entwickelte und zum Zentrum der sogenannten Blauen Banane<\/em> wurde, eines riesigen Ballungsraums von der irischen See bis zum Mittelmeer.<\/p>\n

Ebenfalls hei\u00df diskutiert wird im Kontext des Hambacher Forsts die Bechsteinfledermaus<\/em>, denn der Wald umfasst zwei Kolonien dieser vom Aussterben bedrohten Tierart. RWE verschloss bereits die Eing\u00e4nge der Baumh\u00f6len, in denen die Flederm\u00e4use leben – laut BUND\u00a0<\/em>ganz klar eine Methode zur Vertreibung der Bechsteinfledermaus. Die Naturschutzbeh\u00f6rde des Kreises D\u00fcren hingegen rechtfertige die Ma\u00dfnahme, indem sie behauptete, sie stelle „nicht zwangsl\u00e4ufig“ einen Versto\u00df gegen das Artenschutzrecht dar.<\/p>\n

Um den wirklichen Wert des Hambacher Forsts zu verstehen, muss man jedoch in die Vergangenheit schauen. So geht die fr\u00fchere Bezeichnung B\u00fcrgewald\u00a0<\/em>zur\u00fcck in die Zeit der Bauernkriege<\/em> in Deutschland. Der Bauernstand erhob sich im 16. Jahrhundert gegen die zunehmende Umwandlung von Allgemeing\u00fctern in Privateigentum und forderte zum ersten Mal in Europa eine fr\u00fche Formulierung von Menschenrechten.<\/p>\n

Die Aufst\u00e4nde forderten bis zu 75.000 Todesopfer, die Anf\u00fchrer der Aufst\u00e4ndischen wurden nach der blutigen Niederschlagung der Proteste meist \u00f6ffentlich auf grausame Weise gefoltert und hingerichtet und in den kommenden Jahrhunderten war die Macht der Obrigkeit weitgehend unangetastet. Nat\u00fcrlich strotz es nur so vor historischen Parallelen, wenn nun schon wieder Allgemeingut der Gier einzelner Personen geopfert werden soll – und das Jahrhunderte nach den Bauernkriegen.<\/p>\n

Was kann man tun?<\/h2>\n

Nur so am Rande, man kann den Stromanbieter \u00fcbrigens auch wechseln<\/strong>, wenn er Schei\u00dfe baut. Und daf\u00fcr gibt es nun wirklich mehr als genug Gr\u00fcnde, auch jenseits des Hambacher Forsts. So wurde der Steinkohleabbau in Deutschland zwar beendet, RWE hingegen bezieht weiterhin Steinkohle aus anderen L\u00e4ndern, etwa Kolumbien, S\u00fcdafrika und Russland.<\/p>\n

Dort sind die Folgen f\u00fcr Mensch und Umwelt noch schlimmer, viele Menschen sterben an Atemwegserkrankungen durch Schadstoffe in der Luft, da die Unternehmen gro\u00dfen Einfluss auf die Politik und dementsprechend die Naturschutznormen haben (in Deutschland v\u00f6llig undenkbar…). Viele Fl\u00fcsse sind zudem mit Schwermetallen verseucht, was die Wasserversorgung gef\u00e4hrdet und die Arbeitsbedingungen in Minen wie El Cerrej\u00f3n\u00a0<\/em>sklaven\u00e4hnlich.<\/p>\n

Doch Konsequenz muss sein. Wer also mit RWE Schluss macht, muss sich von folgenden Anbietern trennen:<\/p>\n