{"id":948,"date":"2013-10-01T09:19:10","date_gmt":"2013-10-01T07:19:10","guid":{"rendered":"http:\/\/www.wochenendrebell.de\/?p=948"},"modified":"2021-06-23T17:29:58","modified_gmt":"2021-06-23T15:29:58","slug":"fuer-eine-handvoll-kroeten","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/wochenendrebell.de\/fuer-eine-handvoll-kroeten\/unsortiert\/","title":{"rendered":"F\u00fcr eine Handvoll Kr\u00f6ten"},"content":{"rendered":"

Unser Haus ist klein und kompakt und umfasst eigentlich vier Etagen. Jay-Jay hatte gro\u00dfe Schwierigkeiten, damals den Umzug zu begreifen, so dass wir ihm bei der Haussuche das letzte Wort \u00fcberlie\u00dfen. Er hat ein Faible f\u00fcr H\u00f6he, weshalb ich in Hotels immer das oberste Stockwerk buchen muss, und Opa mit ihm einen Kurztrip zum Eiffelturm unternahm. Es verwunderte uns daher nicht, dass er dem Hauskauf mit der Bedingung zustimmte, er k\u00f6nne das komplette 4.Stockwerk f\u00fcr sich beanspruchen. Seine Schwester bekommt ein Zimmer in der Mitte, Mami bekommt das Erdgeschoss und Papsi den Keller.<\/p>\n

Nichts dr\u00fcckt meinen Stellenwert innerhalb der Familie besser aus als die weitere Entwicklung dieses Kellerraums,…<\/p>\n

<\/p>\n

…in dem mein bisher fast nie benutztes Fitnessger\u00e4t steht und ein fest installierter Rechner, den ich \u00e4hnlich selten nutze. Zus\u00e4tzlich werden dort neben B\u00fcgelw\u00e4sche und Werkzeug seit geraumer Zeit Dinge gesammelt, mit denen wir Reicht\u00fcmer auf einem Flohmarkt verdienen wollten. Der Sohn nennt mein Zimmer daher immer liebevoll: Papsis Loch.<\/p>\n

Es war eher schwierig, einen Termin und eine ad\u00e4quate Ablenkung f\u00fcr den Sohn zu finden, denn diesem fallen Trennungen auch von nutzlos gewordenen Gegenst\u00e4nden wie zerbrochenen Kugelschreibern und benutzten Busfahrkarten immens schwer. Die Flohmarktreicht\u00fcmer lie\u00dfen sich aber wenn \u00fcberhaupt mit seinen alten Spielsachen und Klamotten verdienen. Mit dem bisschen Ger\u00fcmpel von mir und ein paar Kleidungsst\u00fccken von der Tochter war kein Geld zu machen.<\/p>\n

Die Vorbereitungen waren gut geplant. Meine Frau Mama und ich sollten im Schichtdienst den Flohmarktdienst absolvieren, w\u00e4hrend meine Frau die Kids mit spektakul\u00e4ren Kuchenbackwettbewerben belustigt.<\/p>\n

Da wir uns morgens um 6 Uhr schon auf den Weg machen mussten, sah ich auch kein gro\u00dfes Risiko, dass uns der Sohnemann in die Quere kommen k\u00f6nnte.<\/p>\n

Weit gefehlt. Ich hatte die erste von zw\u00f6lf Kisten ins Auto geladen, als er die Treppe hinunter gest\u00fcrzt kam und mich ausfragte, was ich hier mache, wohin ich will und was in den Kisten sei.<\/p>\n

L\u00fcgen war zwecklos, und so wurde jede Kiste einer eingehenden Inhaltspr\u00fcfung unterzogen. Mit lediglich vier Kisten machten wir uns dann mit dem Kontrollorgan selbst auf den Weg. Er wollte kein Risiko eingehen, dass sich in einer der Kisten noch etwas von ihm befindet und so nahmen wir ihn eben mit.<\/p>\n

Auf Grund fehlender Verkaufsmasse war unser Aufbau dann auch gute zwei Stunden vor der eigentlichen Flohmarkter\u00f6ffnung abgeschlossen, so dass ich Gelegenheit hatte, mit dem Sohn ein wenig \u00fcber den ge\u00e4nderten Tagesablauf zu sprechen.<\/p>\n

Er begriff schnell, dass wir hier heute Geld verdienen wollen und werden, aber dass er ohne Verkaufsware leer ausgehen wird. Auch dies entsprach nat\u00fcrlich so nicht seinen Vorstellungen. Ich erkl\u00e4rte ihm, dass wir das Geld auch ben\u00f6tigen, um die Touren<\/a> zu finanzieren und ich mich \u00fcber seine Hilfe sehr freuen w\u00fcrde.<\/p>\n

Er hatte seine Anforderungen bez\u00fcglich der H\u00e4ufigkeit des Besuches von Fu\u00dfballspielen (mindestens einmal die Woche) bereits runter schrauben m\u00fcssen. Mami hatte ihm erkl\u00e4rt, dass es v\u00f6llig irrsinnig ist, sich wegen des Besuchs von Fu\u00dfball-Spielen weiter zu verschulden, was ihn nachhaltig besch\u00e4ftigte. Es ist nicht so, dass wir am Hungertuch nagen, aber wir ordnen schon zu<\/span> viele Familienbed\u00fcrfnisse den Touren unter. Der Hauskauf war ebenfalls scharf kalkuliert und urspr\u00fcnglich hofften wir ggf. auf eine so deutlich Verbesserung der Situation, dass meine Frau sich vielleicht einen 400 \u20ac Job suchen kann. Meine Frau hatte versucht, Jay-Jay in einem Gespr\u00e4ch klar zu machen, dass eine Jacke f\u00fcr den Herbst wichtiger ist als Tickets f\u00fcr das n\u00e4chste Fu\u00dfballspiel, was dieser wiederum damit widerlegen wollte, dass er in der Schule tagelang ohne Jacke rumgelaufen ist. Auch die Priorit\u00e4tenverteilung zwischen \u201eStrumpfhosen f\u00fcr die Schwester\u201c und \u201eTickets f\u00fcrs Stadion\u201c beurteilten beide in dem Gespr\u00e4ch wohl so unterschiedlich, dass es zwischenzeitlich auch mal lauter und deutlicher wurde. Von beiden Seiten. Letztendlich k\u00e4men wir finanziell vermutlich relativ gut klar, wenn wir es nicht manchmal \u00fcbertreiben w\u00fcrden. Der Sohn hatte Mami aber nun als Feind der Touren auserkoren, was sich auch nicht gerade positiv auf die Gesamtstimmung auswirkte.<\/p>\n

Die Flohmarkteinnahmen sollten die Wogen gl\u00e4tten und drei bis vier Stadiontouren refinanzieren.<\/p>\n

Das Gespr\u00e4ch mit dem Sohn wurde des \u00d6fteren unterbrochen, von Menschen, die w\u00e4hrend der Aufbauarbeiten bereits nach M\u00fcnzen, F\u00fcllfederhaltern und antiken Uhren suchten. Garderobe, Bewegungsabl\u00e4ufe und Tonalit\u00e4t erinnerten an ein vorstellbares Pendant zu Schlemihl.<\/p>\n

\u201ePsst, willst du M\u00fcnzen verkaufen…\u201c<\/p>\n

Umso \u00fcberraschter war ich dann, als der Sohn dann doch vorschlug, seine alte Eisenbahn zu verkaufen. Es war seine erste Eisenbahn. Er liebte sie, obwohl er mit ihr heute \u00fcberhaupt nicht mehr spielte. Kein Wunder. Neben der Lego Duplo und den Bahnen der klassischen Lego-Serie sowie seinem M\u00e4rklin-Starterset sah dieses Plastikteil von Fisher Price doch ziemlich \u00f6de aus.<\/p>\n

Ich sagte ihm, dass sich dies allein kaum lohne, da er wenn \u00fcberhaupt 5 \u20ac daf\u00fcr bekommen w\u00fcrde, und er seinen Kunden ja dann auch wenig Auswahl bietet. Es arbeitete in ihm, aber er betonte immer wieder, er wolle mit der Bahn beginnen. Die 40 Kilometer Heimweg waren schnell abgerissen und auch wenn durch die Hin- und Herfahrt der m\u00f6gliche Erl\u00f6s schon aufgebraucht war, so war ich doch gespannt, ob der Sohn den Worten Taten folgen lassen w\u00fcrde. Eigentlich ist Flohmarkt eine Veranstaltung mit recht vielen Eigenschaften, die beim Sohn eher Missfallen und Aggressivit\u00e4t f\u00f6rdern.<\/p>\n

Die Bahn musste nat\u00fcrlich komplett aufgebaut pr\u00e4sentiert werden, und erhielt den besten Platz auf unserem Verkaufstisch, der somit nun auch zu knapp einem Drittel mit einem f\u00fcnf-Euro-Artikel best\u00fcckt war.<\/p>\n

Meine Frau Mama war mittlerweile dem Nervenzusammenbruch nahe. Sie kannte die eine oder andere Eigenheit von vielen Urlauben, die sie gemeinsam mit Jay-Jay immer wieder machen, aber dies war nun eine andere Situation. Es dauerte nur wenige Minuten, bis der erste potentielle Kunde nach dem Preis f\u00fcr die Eisenbahn fragte. Ich verwies auf den Verk\u00e4ufer, der versch\u00e4mt zur Seite blickend laut und deutlich seinen Preis aufrief.<\/p>\n

19 Euro!<\/p>\n

Der Mann musste schmunzeln, ahnte aber wohl die Taktik des jungen Verk\u00e4ufers schnell durchschaut zu haben.<\/p>\n

\u201eO.K., du willst verhandeln. Ich w\u00fcrde Dir 4 \u20ac bieten f\u00fcr die Bahn.\u201c<\/p>\n

\u201eIch verhandle nicht. Die Bahn kostet 19 \u20ac.\u201c<\/p>\n

Jay-Jay hatte das Grundsystem noch nicht begriffen, aber f\u00fcr sich eine L\u00f6sung gefunden.<\/p>\n

\u201ePapsi, du wei\u00dft doch, dass ich mich nicht von Sachen trennen kann, deswegen nehme ich Preise, die keiner bezahlt.\u201c<\/p>\n

Ich fand das ein wenig idiotisch, was ich ihm auch zu verstehen gab.<\/p>\n

\u201eIch brauche mehr Sachen.\u201c<\/p>\n

Ich fuhr wieder die Strecke bis nach Hause, dieses Mal mit dem klaren Ziel, m\u00f6glichst alle anderen Kisten ins Auto zu bekommen, da ich langsam in Sorge geriet, noch mehrere Male die Strecke abrei\u00dfen zu d\u00fcrfen.<\/p>\n

Flohmarkt \u2013 eine urige Parallelwelt. Diese Entwicklung ist in den letzten Jahren an mir vor\u00fcber gegangen. Ich sah Menschen vor kleinen Klapptischen sitzen und auf den K\u00e4ufer f\u00fcr eine \u201eKuck-mal-wer-da-spricht\u201c-Videokassette warten. Manche von ihnen trugen Kleidung, die den R\u00fcckschluss zulie\u00df, sie h\u00e4tten hier schon gesessen, als der Film im Kino uraufgef\u00fchrt wurde. Verr\u00fcckte Welt, und das meine ich gar nicht abwertend, aber trotzdem war es mir unangenehm, als mich einer unserer Gesch\u00e4ftspartner mit seiner Familie hinter dem Verkaufstisch entdeckte. So muss sich das anf\u00fchlen, wenn man seinen Sparkassenberater in der Sauna trifft. Ich sa\u00df da, vor einem Tisch, der mittlerweile zu knapp 75 % mit Jay-Jay-Spielsachen best\u00fcckt war, f\u00fcr die er absolute Mondpreise aufrief.<\/p>\n

Das Zwischenfazit von Tag eins lautete also in etwa:<\/p>\n

24 \u20ac Standgeb\u00fchr plus ca. 10 \u20ac Benzinkosten und je 10 Arbeitsstunden von zwei erwachsenen Personen stehen gegen\u00fcber von 8 \u20ac Umsatz.<\/p>\n

Trotz des wirtschaftlichen Desasters war es nicht m\u00f6glich, den Sohn davon zu \u00fcberzeugen, am zweiten Tag vielleicht auf den Flohmarktverkauf zu verzichten. Im Gegenteil. Er nutzte den Abend f\u00fcr vertiefende Arbeiten innerhalb seines Marketingkonzepts. Auf grellgelbem Papier schrieb er:<\/p>\n

\u201eNur f\u00fcr kurze Zeit\u201c,<\/p>\n

\u201eSonderangebot\u201c,<\/p>\n

\u201eSupersonderangebot\u201c,<\/p>\n

\u201eSupersupersonderangebot\u201c,<\/p>\n

\u201eLetzte Chance\u201c.<\/p>\n

Er hatte Feuer gefangen. Weniger wegen der spektakul\u00e4ren Ereignisse im Lauf des Tages, sondern eher, weil er den Einlauf mitbekam, den ich von seiner Mama erhielt. Diese hatte sich tats\u00e4chlich ein paar Euronen erhofft und konnte sich \u2013 trotz der Freude dar\u00fcber, dass der Sohn viel geholfen hatte \u2013nicht wirklich mit dem \u00f6konomischen Unsinn anfreunden.<\/p>\n

Der Sohn zog an Tag zwei alle Register, handelte, und lernte nachzugeben. Ein \u00e4lterer Herr bequatschte ihn mehrere Male bez\u00fcglich seiner Eisenbahn, worauf hin er auf 10 \u20ac runterging, was dem Herrn aber nicht reichte. Er bot immer und immer wieder 2 \u20ac und hielt dem Sohn das Geld hin, dass er nur noch zuzugreifen brauchte.Jay-Jay \u00a0blieb hart und verneinte. Es war spannend zu beobachten, wie der Sohnemann mehr und mehr Gespr\u00e4che mit Interessenten zulie\u00df. Fragten Kinder, sah er uns hilflos an und sch\u00fcttelte den Kopf, aber mit Erwachsenen trat er sofort in ein dem Alter entsprechend \u201anormales\u2018 Verkaufsgespr\u00e4ch. Nach unendlich langen Verhandlungen hatte er dann seine ersten zwei Euro mit dem Verkauf eines alten, kaputten Brio-Holzzuganh\u00e4ngers verdient. Stolz pr\u00e4sentierte er erst mir und dann der Oma seiner ersten zwei Euro. Er verkaufte weiter, und auch seine Bahn ging noch am selben Tag f\u00fcr unfassbare 10 \u20ac \u00fcber den Tisch. Der Sohn hatte knappe 30 \u20ac eingenommen. Dadurch, dass ich eine Kiste mit 50 DVDs an einen Sammler verkaufen konnte, verzeichneten wir insgesamt zumindest kein Minusgesch\u00e4ft.<\/p>\n

Wenn man bedenkt, wie schwer dem Sohn Trennungen fallen, und wie schwer er sich tut, Dinge zu teilen oder etwas abzugeben, umso erstaunlicher war dann seine Reaktion am Abend. Er z\u00e4hlte sein Geld, nahm die H\u00e4lfte davon und gab dies seiner Mami:<\/p>\n

\u201eMein Beitrag zum Schuldenabbau.\u201c<\/p>\n

Ich kann mich nicht erinnern, wann ich meine Frau zuletzt so ger\u00fchrt gesehen habe.<\/p>\n

Jay-Jay, vielleicht hast Du heute in Deiner Kiste gew\u00fchlt und einen Umschlag gefunden, der Dich auf diese Seite des Blogs gef\u00fchrt hat. Nun wei\u00dft Du, was es mit den zwei Euro in dem Umschlag auf sich hat. Es ist Dein erstes selbstverdientes Geld.<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Unser Haus ist klein und kompakt und umfasst eigentlich vier Etagen. Jay-Jay hatte gro\u00dfe Schwierigkeiten, damals den Umzug zu begreifen, so dass wir ihm bei der Haussuche das letzte Wort \u00fcberlie\u00dfen. Er hat ein Faible f\u00fcr H\u00f6he, weshalb ich in Hotels immer das oberste Stockwerk buchen muss, und Opa mit ihm einen Kurztrip zum Eiffelturm unternahm. Es verwunderte uns daher nicht, dass er dem Hauskauf mit der Bedingung zustimmte, er k\u00f6nne das komplette 4.Stockwerk f\u00fcr sich beanspruchen. Seine Schwester bekommt ein Zimmer in der Mitte, Mami bekommt das Erdgeschoss und Papsi den Keller. Nichts dr\u00fcckt meinen Stellenwert innerhalb der Familie besser aus als die weitere Entwicklung dieses Kellerraums,…<\/p>\n","protected":false},"author":221,"featured_media":0,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":{"footnotes":""},"categories":[2610],"tags":[],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/wochenendrebell.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/948"}],"collection":[{"href":"https:\/\/wochenendrebell.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/wochenendrebell.de\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/wochenendrebell.de\/wp-json\/wp\/v2\/users\/221"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/wochenendrebell.de\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=948"}],"version-history":[{"count":0,"href":"https:\/\/wochenendrebell.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/948\/revisions"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/wochenendrebell.de\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=948"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/wochenendrebell.de\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=948"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/wochenendrebell.de\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=948"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}