Unser Haus ist klein und kompakt und umfasst eigentlich vier Etagen. Jay-Jay hatte große Schwierigkeiten, damals den Umzug zu begreifen, so dass wir ihm bei der Haussuche das letzte Wort überließen. Er hat ein Faible für Höhe, weshalb ich in Hotels immer das oberste Stockwerk buchen muss, und Opa mit ihm einen Kurztrip zum Eiffelturm unternahm. Es verwunderte uns daher nicht, dass er dem Hauskauf mit der Bedingung zustimmte, er könne das komplette 4.Stockwerk für sich beanspruchen. Seine Schwester bekommt ein Zimmer in der Mitte, Mami bekommt das Erdgeschoss und Papsi den Keller.
Nichts drückt meinen Stellenwert innerhalb der Familie besser aus als die weitere Entwicklung dieses Kellerraums,…
…in dem mein bisher fast nie benutztes Fitnessgerät steht und ein fest installierter Rechner, den ich ähnlich selten nutze. Zusätzlich werden dort neben Bügelwäsche und Werkzeug seit geraumer Zeit Dinge gesammelt, mit denen wir Reichtümer auf einem Flohmarkt verdienen wollten. Der Sohn nennt mein Zimmer daher immer liebevoll: Papsis Loch.
Es war eher schwierig, einen Termin und eine adäquate Ablenkung für den Sohn zu finden, denn diesem fallen Trennungen auch von nutzlos gewordenen Gegenständen wie zerbrochenen Kugelschreibern und benutzten Busfahrkarten immens schwer. Die Flohmarktreichtümer ließen sich aber wenn überhaupt mit seinen alten Spielsachen und Klamotten verdienen. Mit dem bisschen Gerümpel von mir und ein paar Kleidungsstücken von der Tochter war kein Geld zu machen.
Die Vorbereitungen waren gut geplant. Meine Frau Mama und ich sollten im Schichtdienst den Flohmarktdienst absolvieren, während meine Frau die Kids mit spektakulären Kuchenbackwettbewerben belustigt.
Da wir uns morgens um 6 Uhr schon auf den Weg machen mussten, sah ich auch kein großes Risiko, dass uns der Sohnemann in die Quere kommen könnte.
Weit gefehlt. Ich hatte die erste von zwölf Kisten ins Auto geladen, als er die Treppe hinunter gestürzt kam und mich ausfragte, was ich hier mache, wohin ich will und was in den Kisten sei.
Lügen war zwecklos, und so wurde jede Kiste einer eingehenden Inhaltsprüfung unterzogen. Mit lediglich vier Kisten machten wir uns dann mit dem Kontrollorgan selbst auf den Weg. Er wollte kein Risiko eingehen, dass sich in einer der Kisten noch etwas von ihm befindet und so nahmen wir ihn eben mit.
Auf Grund fehlender Verkaufsmasse war unser Aufbau dann auch gute zwei Stunden vor der eigentlichen Flohmarkteröffnung abgeschlossen, so dass ich Gelegenheit hatte, mit dem Sohn ein wenig über den geänderten Tagesablauf zu sprechen.
Er begriff schnell, dass wir hier heute Geld verdienen wollen und werden, aber dass er ohne Verkaufsware leer ausgehen wird. Auch dies entsprach natürlich so nicht seinen Vorstellungen. Ich erklärte ihm, dass wir das Geld auch benötigen, um die Touren zu finanzieren und ich mich über seine Hilfe sehr freuen würde.
Er hatte seine Anforderungen bezüglich der Häufigkeit des Besuches von Fußballspielen (mindestens einmal die Woche) bereits runter schrauben müssen. Mami hatte ihm erklärt, dass es völlig irrsinnig ist, sich wegen des Besuchs von Fußball-Spielen weiter zu verschulden, was ihn nachhaltig beschäftigte. Es ist nicht so, dass wir am Hungertuch nagen, aber wir ordnen schon zu viele Familienbedürfnisse den Touren unter. Der Hauskauf war ebenfalls scharf kalkuliert und ursprünglich hofften wir ggf. auf eine so deutlich Verbesserung der Situation, dass meine Frau sich vielleicht einen 400 € Job suchen kann. Meine Frau hatte versucht, Jay-Jay in einem Gespräch klar zu machen, dass eine Jacke für den Herbst wichtiger ist als Tickets für das nächste Fußballspiel, was dieser wiederum damit widerlegen wollte, dass er in der Schule tagelang ohne Jacke rumgelaufen ist. Auch die Prioritätenverteilung zwischen „Strumpfhosen für die Schwester“ und „Tickets fürs Stadion“ beurteilten beide in dem Gespräch wohl so unterschiedlich, dass es zwischenzeitlich auch mal lauter und deutlicher wurde. Von beiden Seiten. Letztendlich kämen wir finanziell vermutlich relativ gut klar, wenn wir es nicht manchmal übertreiben würden. Der Sohn hatte Mami aber nun als Feind der Touren auserkoren, was sich auch nicht gerade positiv auf die Gesamtstimmung auswirkte.
Die Flohmarkteinnahmen sollten die Wogen glätten und drei bis vier Stadiontouren refinanzieren.
Das Gespräch mit dem Sohn wurde des Öfteren unterbrochen, von Menschen, die während der Aufbauarbeiten bereits nach Münzen, Füllfederhaltern und antiken Uhren suchten. Garderobe, Bewegungsabläufe und Tonalität erinnerten an ein vorstellbares Pendant zu Schlemihl.
„Psst, willst du Münzen verkaufen…“
Umso überraschter war ich dann, als der Sohn dann doch vorschlug, seine alte Eisenbahn zu verkaufen. Es war seine erste Eisenbahn. Er liebte sie, obwohl er mit ihr heute überhaupt nicht mehr spielte. Kein Wunder. Neben der Lego Duplo und den Bahnen der klassischen Lego-Serie sowie seinem Märklin-Starterset sah dieses Plastikteil von Fisher Price doch ziemlich öde aus.
Ich sagte ihm, dass sich dies allein kaum lohne, da er wenn überhaupt 5 € dafür bekommen würde, und er seinen Kunden ja dann auch wenig Auswahl bietet. Es arbeitete in ihm, aber er betonte immer wieder, er wolle mit der Bahn beginnen. Die 40 Kilometer Heimweg waren schnell abgerissen und auch wenn durch die Hin- und Herfahrt der mögliche Erlös schon aufgebraucht war, so war ich doch gespannt, ob der Sohn den Worten Taten folgen lassen würde. Eigentlich ist Flohmarkt eine Veranstaltung mit recht vielen Eigenschaften, die beim Sohn eher Missfallen und Aggressivität fördern.
Die Bahn musste natürlich komplett aufgebaut präsentiert werden, und erhielt den besten Platz auf unserem Verkaufstisch, der somit nun auch zu knapp einem Drittel mit einem fünf-Euro-Artikel bestückt war.
Meine Frau Mama war mittlerweile dem Nervenzusammenbruch nahe. Sie kannte die eine oder andere Eigenheit von vielen Urlauben, die sie gemeinsam mit Jay-Jay immer wieder machen, aber dies war nun eine andere Situation. Es dauerte nur wenige Minuten, bis der erste potentielle Kunde nach dem Preis für die Eisenbahn fragte. Ich verwies auf den Verkäufer, der verschämt zur Seite blickend laut und deutlich seinen Preis aufrief.
19 Euro!
Der Mann musste schmunzeln, ahnte aber wohl die Taktik des jungen Verkäufers schnell durchschaut zu haben.
„O.K., du willst verhandeln. Ich würde Dir 4 € bieten für die Bahn.“
„Ich verhandle nicht. Die Bahn kostet 19 €.“
Jay-Jay hatte das Grundsystem noch nicht begriffen, aber für sich eine Lösung gefunden.
„Papsi, du weißt doch, dass ich mich nicht von Sachen trennen kann, deswegen nehme ich Preise, die keiner bezahlt.“
Ich fand das ein wenig idiotisch, was ich ihm auch zu verstehen gab.
„Ich brauche mehr Sachen.“
Ich fuhr wieder die Strecke bis nach Hause, dieses Mal mit dem klaren Ziel, möglichst alle anderen Kisten ins Auto zu bekommen, da ich langsam in Sorge geriet, noch mehrere Male die Strecke abreißen zu dürfen.
Flohmarkt – eine urige Parallelwelt. Diese Entwicklung ist in den letzten Jahren an mir vorüber gegangen. Ich sah Menschen vor kleinen Klapptischen sitzen und auf den Käufer für eine „Kuck-mal-wer-da-spricht“-Videokassette warten. Manche von ihnen trugen Kleidung, die den Rückschluss zuließ, sie hätten hier schon gesessen, als der Film im Kino uraufgeführt wurde. Verrückte Welt, und das meine ich gar nicht abwertend, aber trotzdem war es mir unangenehm, als mich einer unserer Geschäftspartner mit seiner Familie hinter dem Verkaufstisch entdeckte. So muss sich das anfühlen, wenn man seinen Sparkassenberater in der Sauna trifft. Ich saß da, vor einem Tisch, der mittlerweile zu knapp 75 % mit Jay-Jay-Spielsachen bestückt war, für die er absolute Mondpreise aufrief.
Das Zwischenfazit von Tag eins lautete also in etwa:
24 € Standgebühr plus ca. 10 € Benzinkosten und je 10 Arbeitsstunden von zwei erwachsenen Personen stehen gegenüber von 8 € Umsatz.
Trotz des wirtschaftlichen Desasters war es nicht möglich, den Sohn davon zu überzeugen, am zweiten Tag vielleicht auf den Flohmarktverkauf zu verzichten. Im Gegenteil. Er nutzte den Abend für vertiefende Arbeiten innerhalb seines Marketingkonzepts. Auf grellgelbem Papier schrieb er:
„Nur für kurze Zeit“,
„Sonderangebot“,
„Supersonderangebot“,
„Supersupersonderangebot“,
„Letzte Chance“.
Er hatte Feuer gefangen. Weniger wegen der spektakulären Ereignisse im Lauf des Tages, sondern eher, weil er den Einlauf mitbekam, den ich von seiner Mama erhielt. Diese hatte sich tatsächlich ein paar Euronen erhofft und konnte sich – trotz der Freude darüber, dass der Sohn viel geholfen hatte –nicht wirklich mit dem ökonomischen Unsinn anfreunden.
Der Sohn zog an Tag zwei alle Register, handelte, und lernte nachzugeben. Ein älterer Herr bequatschte ihn mehrere Male bezüglich seiner Eisenbahn, worauf hin er auf 10 € runterging, was dem Herrn aber nicht reichte. Er bot immer und immer wieder 2 € und hielt dem Sohn das Geld hin, dass er nur noch zuzugreifen brauchte.Jay-Jay blieb hart und verneinte. Es war spannend zu beobachten, wie der Sohnemann mehr und mehr Gespräche mit Interessenten zuließ. Fragten Kinder, sah er uns hilflos an und schüttelte den Kopf, aber mit Erwachsenen trat er sofort in ein dem Alter entsprechend ‚normales‘ Verkaufsgespräch. Nach unendlich langen Verhandlungen hatte er dann seine ersten zwei Euro mit dem Verkauf eines alten, kaputten Brio-Holzzuganhängers verdient. Stolz präsentierte er erst mir und dann der Oma seiner ersten zwei Euro. Er verkaufte weiter, und auch seine Bahn ging noch am selben Tag für unfassbare 10 € über den Tisch. Der Sohn hatte knappe 30 € eingenommen. Dadurch, dass ich eine Kiste mit 50 DVDs an einen Sammler verkaufen konnte, verzeichneten wir insgesamt zumindest kein Minusgeschäft.
Wenn man bedenkt, wie schwer dem Sohn Trennungen fallen, und wie schwer er sich tut, Dinge zu teilen oder etwas abzugeben, umso erstaunlicher war dann seine Reaktion am Abend. Er zählte sein Geld, nahm die Hälfte davon und gab dies seiner Mami:
„Mein Beitrag zum Schuldenabbau.“
Ich kann mich nicht erinnern, wann ich meine Frau zuletzt so gerührt gesehen habe.
Jay-Jay, vielleicht hast Du heute in Deiner Kiste gewühlt und einen Umschlag gefunden, der Dich auf diese Seite des Blogs geführt hat. Nun weißt Du, was es mit den zwei Euro in dem Umschlag auf sich hat. Es ist Dein erstes selbstverdientes Geld.
Politgirl
#Hach, hier stehen auch tausend Kisten mit Lego und Playmobil und sonstiges Krams – und sie werden in 10 Jahren immer noch hier stehen. Im Wohnzimmer, in einer Ecke.^^
Gut gemacht <3.
Anita
Jay-Jay, Du kannst stolz auf Dich sein!
Mykx
Alter. Ich sag´s ja nicht gerne in der Öffentlichkeit, aber: toll!!! <3
The_R
Danke fürs Aufschreiben.
der_tim
Hach. Toll. Ich kann mich noch an meine ersten Flohmärkte erinnern. Habe meine Einnahmen dann immer gleich in Yps-Hefte reinvestiert…
Axel
Der Kamkesche Gedanke kam mir auch. Mist. Brauche jede Menge Spielzeug für’s Patenkind. Den nächsten Flohmarkt-Besuch mit Jay-Jay bitte ankündigen 🙂
heinzkamke
Mist, so eine Eisenbahn hätte ich auch brauchen können. Und hätte sehr gerne verhandelt.
literaturensohn
Tränen <3