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Lützerath Demo | Polizeigewalt | Klimakrise

Rad des Kohlebaggers mit einer keinen Wiese auf dem Kontrollhaus, im Hintergrund der Tagebau Garzweiler

An den Abbruchkanten des sogenannten „Doomsday-Gletschers“ in der Westantarktis haben sich zwei Schmelzwasserseen gebildet. Die Ozeane haben im letzten Jahr noch einmal neun bis zehn Trilliarden Watt Energie mehr aufgenommen als im vorherigen Rekordjahr. Und der Great Salt Lake könnte in fünf Jahren verschwunden sein und eine riesige verseuchte Schlammwüste hinterlassen.

Anreise nach Lützerath

Das waren die Nachrichten an dem Tag, an dem ich morgens früh aufstand, um zur Protestaktion nach Lützerath zu fahren. Auf eigene Faust, da ich die gemeinsame Anreise mit meiner Ortsgruppe leider verpennt habe. Mit dem Zug über Schwerte nach Mönchengladbach, wo der Anschluss dann aber so voll war, dass meine Sicherheitsbedenken in Bezug auf Corona überwogen und ich lieber etwas später kam.

Am Bahnhof in Erkelenz angekommen, waren die Shuttlebusse ebenso überfüllt, also ging es in etwa eineinhalb Stunden zu Fuß zum Demonstrationsort. Auf dem Weg beobachtete ich bereits einen Anwohner, der eine Person, die mit ihren Kindern auf dem Weg zur Demonstration war, mit lautem Geschrei und bedrohlichen Handbewegungen angriff. Sein Dorf wäre übrigens das nächste gewesen, hätte RWE seine ursprünglichen Pläne zur Vergrößerung des Tagebaus durchsetzen können.

Meine Erlebnisse in Lützerath

Angekommen in am Tagebau Garzweiler erblickte ich die graubraune Kraterlandschaft, wie eine planetare Narbe. Ich habe noch nie etwas so Bedrückendes gesehen und hoffe sehr, hier in 50 Jahren noch einmal zu stehen und auf einen riesigen schwimmenden Solarpark zu schauen. Nur die winzige hübsche Wiese auf dem Dach des Kontrollhauses des monströsen Kohlebaggers fiel mir ins Auge, irgendwie ziemlich symbolisch für die deutsche Klimapolitik.

In der Gewissheit, dass der Untergrund durch die Regenfälle instabil ist, einen sicheren Abstand zur Abbruchkante und ging entlang des Tagebaus weiter. Der Boden war so schlammig, dass die Schuhe häufig steckenblieben, als ich schließlich vor einem von der Polizei besetzen Wall ankam, war bereits alles an mir fünf Zentimeter mit Schlamm bedeckt.

Schlammbedeckte Schuhe
Immerhin nicht steckengeblieben…

Als wir vernahmen, dass die Menschenmenge hinter dem Wall die Polizei erfolgreich in Richtung der Grenze zu Lützerath zurück drängt, wagten auch wir einen Versuch. Während die Polizei noch versuchte den Wall zu halten und dafür Aktivist*innen mit Schlagstöcken und Pfefferspray attackierte, konnte man nur zehn Meter weiter schon völlig ungehindert passieren. Aussichtslose Gewaltanwendung ohne jeglichen Nutzen.

Auf der anderen Seite angekommen, lief ich nun mit hunderten anderen Aktivist*innen auf Lützerath zu. Wir trieben die Polizei bis direkt zum Zaun vor uns her, friedlich und ohne Gewalt. Friedlich ≠ legal. Diese Unterscheidung ist wichtig: Gewalt gegen Menschen ist ein Tabu, aber von dem Anspruch, mich beim Kampf für das Klima immer an alle Regeln zu halten, habe ich mich verabschiedet.

Das galt auch für die durch Megafone verkündete Aufforderung, die gesperrte Fläche wieder zu verlassen und zum Ort der Demonstration zurückzukehren. Das von einem Gericht ausgesprochene Betretungsverbot hatte ich zur Kenntnis genommen und meine Prioritäten gesetzt.

Polizeigewalt in Lützerath

Im Anschluss hörte man häufig von Steinen, die angeblich in Richtung der Polizei geflogen seien, was ich allerdings nicht bestätigen kann. Schlammbälle sind geflogen, doch bei Schlamm handelt es sich um eine Suspension aus Wasser und extrem kleinen Festkörpern, welche eine Größe von 63 mm nicht überschreiten und somit gemäß DIN 4022 (bzw. seit deren Ablösung gemäß ISO 14688) keine Steine sind.

Am meisten wurde die Polizei aber durch eine Kombination aus dem Besitz von Wasserwerfern und Pfefferspray und eine auf unserer Seite stehende Windrichtung in Mitleidenschaft gezogen. Meine Maske war danach allerdings auch dahin.

Während die Lage vor der Grenze von Lützerath statisch blieb, ging von der Polizei als Aggressor immer wieder Gewalt auf einzelne Personen aus, die keinem erkennbaren Plan folgte. Es wurden Menschen attackiert, danach zog man sich wieder zurück. Ohne Kennzeichnungspflicht. Schließlich erwischte es auch mich, ich sah die beiden Polizisten gar nicht kommen, bevor auf mich im Schlamm liegend eingeschlagen wurde.

Nach ein paar Sekunden war es vorbei und andere Aktivist*innen halfen mir auf, aber ich hatte nun Wunden am Bein und am Rücken, die Hand tat weh und ich hatte Schwierigkeiten mit dem Laufen. Gewiss nicht das Schlimmste, was die Polizei an diesem Tag zu verantworten hat:

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Ironischerweise folgte von der Polizei bei der endgültigen Räumung am Abend dann Gebrüll, wir sollten schneller gehen, wo sie doch vorher wahllos Menschen laufunfähig geknüppelt hat. Das volle Ausmaß der Gewalt wurde mir erst auf dem Rückweg deutlich, als die Busse zum Bahnhof zunächst nur mit den Verletzten gefüllt werden sollten. Ich hielt mich noch für fähig einen Teil der Strecke zu laufen, sodass ich erst später einen der zurückkommenden Busse nahm.

Der Schmerz beim Laufen wurde am Abend dann noch einmal stärker, sodass Mami und Papsi mich aus Hagen abholten. Zwei Tage später waren die Schmerzen aber zum Großteil verschwunden.

Wir haben es nicht geschafft, die Polizeikette zu durchbrechen und Menschen oder Gerät nach Lützerath einzuschleusen. Nun ist das Dorf vollständig geräumt. Doch ich sehe das als Teilerfolg, eine wirkungsvolle Machtdemonstration, die das fossile System auf verschiedenen Ebenen entlarvt hat. Videos von gewalttätigen Polizisten, die im Auftrag eines Konzerns ein Dorf stürmen und brüllend friedlich demonstrierende Menschen in Gefangenentransporter von RWE zerren, das ist eine Dystopie, die Menschen radikalisieren und zum friedlichen Ungehorsam motivieren kann. Das war es wert.

Wieso Lützerath bleiben muss

Lützerath ist mehr als dieses Symbol. Dass dieses Dorf zerstört wird, ist unrechtmäßig und furchtbar, aber es ist nicht der Grund, aus dem ich da war. Lützerath ist das einzige, was zwischen RWE und der Verbrennung einer Menge von 280 Millionen Tonnen darunter liegender Braunkohle steht (Quelle).

Eine metrische Tonne Braunkohle erzeugt bei der Verbrennung in etwa eine Tonne Kohlenstoffdioxid.

Heißt: Fällt Lützerath, gelangen etwa 280 Millionen Tonnen des Treibhausgases in unsere Atmosphäre und erhöhen zusätzlich den Strahlungsantrieb der Erde.

Es gibt wissenschaftliche Abschätzungen dazu, wie viele zusätzliche statistische Todesfälle eine bestimmte Menge Kohlendioxid durch dessen Klimawirkung bis zum Ende des Jahrhunderts entfalten wird, etwa durch Hitzewellen, Dürren, Fehlernten und Naturkatastrophen.

R. Daniel Bressler vom Columbia University’s Earth Institute berechnete bei Berücksichtigung der von der Klimakrise verursachten vorzeitigen Todesfälle mit direktem Bezug zu Hitze einen Wert von 0,000226 Todesfällen pro Tonne emittierten Kohlendioxids. Oder anders formuliert: 4.434 Tonnen Kohlendioxid verursachen einen zusätzlichen Todesfall (Quelle) bis zum Ende des Jahrhunderts.

Das bedeutet: An Lützerath hängen statistisch 280 Millionen t * 0,000226 Menschenleben/t = 63.280 Menschenleben bis zum Ende des Jahrhunderts. Oder umgekehrt formuliert: An RWE klebt das Blut von über 60.000 Menschen auf der ganzen Welt, einige davon noch nicht einmal geboren. Beispielsweise jetzt gerade in Madagaskar.

Zugegeben, die Schlussfolgerung ist sehr zugespitzt formuliert, Todesfälle werden in der Realität nicht linear pro Tonne emittierten Kohlendioxids verursacht und folglich handelt es sich um ein reines Statistikspiel. Aber es zeigt die Größenordnung, um die wir in Lützerath kämpfen. Es ist alles andere als Symbolik, es geht hier um Leben und Tod.

Es ist nur logisch, dass Protestaktionen konfrontativer und radikaler werden. Ich weiß, dass die Polizeigewalt in erster Linie einschüchtern soll. Doch das wird nicht funktionieren. Wie will man eine Generation abschrecken, deren Planet zugrunde geht? Für jeden gewaltsam bekämpften Protest erntet ihr zwei neue.

Und weil das alles so ernst ist, hier zum Schluss noch etwas zum Lachen:

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Nun viel Spaß beim Hören unserer Podcast-Episode!

Hier der versprochene CO2-Rechner des Umweltbundesamtes.

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2 Comments

  • Rainer Kirmse , Altenburg
    Rainer Kirmse , Altenburg

    KLIMA-WAHRHEITEN

    Tornados, Hitze, Wassernot;
    Feuer wüten in Wald und Flur.
    Das Wetter gerät aus dem Lot,
    Klimawandel zieht seine Spur.
    Wir sollten uns Sorgen machen,
    und nicht über Greta lachen.

    Der Mensch, dieses kluge Wesen
    kann im Gesicht der Erde lesen.
    Er sieht die drohende Gefahr,
    spürt die Erwärmung Jahr für Jahr.
    Homo sapiens muss aufwachen,
    seine Hausaufgaben machen.

    Man produziert und produziert,
    plündert Ressourcen ungeniert.
    Gewinnmaximierung ist Pflicht,
    die intakte Natur zählt nicht.
    Börsenkurse steh’n im Fokus,
    Umweltschutz in den Lokus.

    Plastikflut und Wegwerftrend,
    man konsumiert permanent.
    Nur unser ständiges Kaufen
    hält das System am Laufen.
    Unser westlicher Lebensstil
    taugt nicht als Menschheitsziel.

    Die Jagd nach ewigem Wachstum
    bringt letztlich den Planeten um.
    Das oberste Gebot der Zeit
    muss heißen Nachhaltigkeit.
    Statt nur nach Profit zu streben,
    im Einklang mit der Natur leben.

    Zu viele Buchen und Eichen
    mussten schon der Kohle weichen.
    Retten wir den herrlichen Wald,
    bewahren die Artenvielfalt.
    Kämpfen wir für Mutter Erde,
    dass sie nicht zur Wüste werde.

    Wir alle stehen in der Pflicht,
    maßvoll leben ist kein Verzicht;
    Teilen und Second Hand der Trend.
    Weniger ist mehr,
    nicht nur im Verkehr und beim Verzehr.
    Bei allem etwas Enthaltsamkeit,
    nehmen wir uns die Freiheit.

    Rainer Kirmse , Altenburg

    Herzliche Grüße aus Thüringen

    Antworten
  • stef!
    stef!

    eine Episode, die dem Namen REBELL alle Ehre macht 😉

    Antworten

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