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Tiera Fletcher

Tiera Fletcher gehört zu den leitenden Konstrukteurinnen und Ingenieurinnen des Space Launch Systems (deutsch: Weltraum-Startsystem), jener Rakete, mit denen in nicht allzu ferner Zukunft erstmals Menschen zum Mars aufbrechen könnten. Doch ihre Arbeit geht noch viel weiter.

Steckbrief: Tiera Fletcher

Vollständiger Name: Tiera Fletcher

Geburtsort: Atlanta

Universität: Massachusetts Institute of Technology

Berufsfeld: Raumfahrttechnik

Projekte: Space Launch System, Umbau des Kennedy Space Center Launch Complex 39B

Ehrungen: Good Housekeeping’s Awesome Woman Award, Albert G. Hill Prize, Most Promising Engineer-Industry Award, Keynote speaker auf der Impact’18 in Krakau

Lebenslauf

2011: NASA beschließt den Bau des Space Launch Systems

2014: Forschungspraktikum Fletchers am Georgia Institute of Technology

2015: Praktikum bei Boeing als Systemingenieurin bei „The Boeing Company“, dort Hilfe beim Design und der Prüfung von Boeing-Produkten

2016: Beginn der Arbeit Fletchers an der Konstruktion und Analyse des Space Launch Systems und dem zugehörigen Startturm

2017: Abschluss des Studiums am Massachusetts Institute of Technology, Gewinn des Albert G. Hill Prize für das Einsetzen für Minderheiten am Massachusetts Institute of Technology, Hochzeit mit dem Luft- und Raumfahrtingenieur Myron Fletcher

2018: Hauptrednerin auf der Impact’18 in Krakau, auf der über Modelle und Innovationen diskutiert wird, mit denen man wissenschaftliche Arbeit der Öffentlichkeit nahe bringen könnte

2019: Beginn des Zusammenbaus des Space Launch Systems, Gewinn des Most Promising Engineer–Industry Awards

Zitate

„Ich mag es immer, den Traum größer zu machen, nachdem er erfüllt ist.“

Tiera Fletcher

„Meine Eltern haben mir immer gesagt, dass andere nicht das Los deines Schicksals ansagen. Es liegt an dir, den Traum zu verwirklichen, den du dir überhaupt erst gesetzt hast.“

Tiera Fletcher

„Wie schwierig es auch immer sein mag, wie viele Tränen man auch immer vergießen mag, man muss weitermachen. Es kann nicht immer einfach sein. Wenn man seinen Traum nicht aus den Augen verliert, schafft man es auch.“

Tiera Fletcher

Lebenswerk

Über das SLS habt ihr vielleicht schon einiges gehört. Zum einen steckten große Erwartungen dahinter. Während die robotische Erkundung des Weltraums in den letzten Jahrzehnten so schnell wie nie voranschritt, trat die astronautische Raumfahrt im Wesentlichen auf der Stelle. Genau das soll das Space Launch System ändern: Statt immer nur mit der Raumstation in einigen hundert Kilometern Höhe um die Erde zu kreisen, sollen sich Menschen wieder deutlich weiter von der Erde entfernen, erstmal zurück zum Mond und später dann zum Mars. Dort sollen sie jedoch zum ersten Mal auch für längere Zeit ausharren, Forschungsexpeditionen leiten und Basen errichten.

Auf der anderen Seite hingegen stehen die extrem vielen negative Meldungen und Artikel, teils gar Verrisse der Arbeit der NASA am Space Launch System.

The Space Launch System is an irredeemable mistake.

medium.com

Immer wieder wird auch der Vergleich zum Starship von SpaceX gezogen, einer Rakete, die 100 Menschen komfortabel transportieren können und dabei noch günstiger sein soll als das SLS, welches nur das Orion-Raumschiff mit einer vierköpfigen Crew transportieren kann. Dabei sollte natürlich erwähnt werden, dass die Angaben von SpaceX mindestens zweifelhaft sind.

NASA´s own report admits its non-SpaceX rocket is a disaster.

futurism.com

Und einige gehen sogar so weit, eine Rekonstruktion der über 50 Jahre alten Saturn V vorzuschlagen, da sie dem SLS vergleichsweise ähnlich ist und die Pläne dafür noch in den Schubladen liegen.

Mit 50 Jahre alter Technologie zum Mond?

spektrum.de

Einige Zahlen und Statistiken mögen tatsächlich schockierend wirken oder den Sinn des Projekts in Zweifel stellen – erst Recht im Vergleich zur Konkurrenz privater Raketenanbieter. Der Start einer SLS Block 1, also erst der ersten und kleinsten Ausbaustufe, wird voraussichtlich bereits so viel Kosten wie 156 Starts mit der Falcon 9 von SpaceX, die teilweise wiederverwendbar und in Massenproduktion anzufertigen ist.

156 abgebildete Falcon 9-Raketen im Vergleich zu einer SLS-Rakete
Lucabon (based on work of Markus Säynevirta and Craigboy and Rressi ), Falcon rocket family6, Ausschnitt, schwarz-weiß, CC BY-SA 4.0

Bei all der zum Teil berechtigen Kritik kommt mir besonders ein Punkt deutlich zu kurz. Man sollte sich immer wieder bewusst machen, an was Tiera Fletcher und ihre Kolleg*innen dort eigentlich arbeiten: Wir sprechen von einer hundert Meter hohen mit Treibstoff gefüllten Röhre, der dann verbrannt wird und ein kleines Raumschiff an der Spitze mit Menschen darin in den Weltraum und auf einen anderen Planeten bringt – ein wahres Wunder der Technik.

Noch beeindruckender wird es, wenn klar ist, dass Fletcher bereits mit der Arbeit begann, bevor sie ihren Abschluss am MIT ablegte. Schon als Kind übernahm sie an der Arbeitsstelle ihrer Mutter mathematische Aufgaben, etwa das Berechnen der Gesamtsumme von Lebensmitteln inklusive der Nachlässe durch Coupons und der Addition durch Steuern. Mit elf Jahren nahm sie schließlich an einem Projekt des Raumfahrtkonzerns Lockheed Martin (heute übrigens NASA-Partner beim Bau des Orion-Raumschiffs) teil, in dem ihr die Grundlagen der Raumfahrttechnik gelehrt wurden.

Auch Tieras Ehemann Myron Fletcher ist an dem Projekt beteiligt. Er wurde durch den Anblick der Saturn V dazu inspiriert, selbst an einem so großen Projekt teilhaben zu wollen – doch diesmal ist die Herausforderung noch viel größer als damals. Es sollen nicht einfach Menschen zum Mond gebracht werden, es soll eine ganze Raumstation und später sogar eine Basis mit unzähligen Tonnen Equipment entstehen. Und am Ende steht das allem übergeordnete Ziel, Menschen auf den Mars zu bringen, wo sie fernab der Erde leben können.

Aber auch robotische Raumsonden ließen sich mit dem SLS bis in den interstellaren Raum schießen, Sonden bisher unvorstellbarer Komplexität könnten in die subglazialen Ozeane der Jupitermonde eintauchen oder in den Methanseen des Titan schwimmen. Doch etwas Vergleichbares wurde noch nie gebaut. Es gibt daher kein „Handbuch“, nach dem sich Tiera Fletcher richten kann – vieles wird Ausprobiert.

Bei Boeing, einem der wichtigsten NASA-Partner bei der Konstruktion des SLS, arbeitet Tiera Fletcher derzeit Vollzeit als Ingenieurin für Strukturanalyse. Sie ist das jüngste Mitglied des Teams, welches die sogenannte Exploration Upper Stage des SLS entwickelt. In der ersten Ausbaustufe der Rakete wird noch eine modifizierte Delta Cryogenic Second Stage zum Einsatz kommen, die bereits in anderen Raketen eingebaut und vielfach erprobt ist. Sie erzeugt einen Schub von 110,1 Kilonewton. Doch für die größeren Versionen des SLS benötigt es eine neue Raketenstufe, die Tiera Fletcher und ihre Kolleg*innen entwickeln.

Sie verfügt über einen Schub von 440 Kilonewton und sollte zunächst Dual Use Upper Stage getauft werden, was jedoch aufgrund der Abkürzung „DUUS“ verworfen wurde, die im Japanischen einem Schimpfwort ähnelt. Ohne sie werden die benötigten Lasten nicht transportiert werden können, denn die Triebwerke dieser Stufe zünden einmal, um die Aufstiegsphase der Rakete abzuschließen und dann noch einmal, um Menschen und Last aus einem niedrigen Erdorbit heraus zu weit entfernten interplanetaren Zielen zu schicken.

Die Parallelen zum Apollo-Programm sind kaum zu übersehen. Tatsächlich war ein wichtiges Vorbild Tiera Fletchers stets die 2020 verstorbene NASA-Mathematikerin Katherine Johnson, die als afroamerikanische Frau noch zur Zeit der „Rassentrennung“ in den USA die Flugbahnen für die Flüge des Mercury-Programms und auch für die Mondflüge des Apollo-Programms berechnete und somit die mathematische Grundlage für die moderne astronautische Raumfahrt legte.

Tiera Fletcher geht nun einen Schritt weiter, sie analysiert das Design der einzelnen Elemente und Bauteile und sucht nach Schwachstellen sowie Verbesserungsmöglichkeiten – um die geplante Anzahl von einer Mondlandung pro Jahr ab 2024 zu erreichen. Ohne die Arbeit Tiera Fletchers wäre der Bau des Space Launch Systems also nicht möglich. Doch das ist nicht alles.

Da die Menschheit in ihrer Geschichte noch nichts mit dem Space Launch System Vergleichbares gebaut hat, muss auch die historische Startrampe im Weltraumbahnhof Cape Canaveral in Florida, auf der auch die Mondfahrer von Apollo und die Space Shuttles abhoben, für das Space Launch System umgerüstet werden. Auch dort ist Tiera Fletcher mitverantwortlich.

Die Rampe namens Kennedy Space Center Launch Complex 39B wird im großen Stil erweitert, der alte Startturm wurde komplett demontiert, die Ausrüstung auf neueste technische Standards gebracht. Auch das alte Seilbahnsystem wurde durch ein neuartiges Schienenrettungssystem ersetzt, wofür eine große Auslaufstrecke errichtet wurde.

Der Startturm soll mobil sein und sich auf Kettenrädern fortbewegen können, so kann das Space Launch System nicht nur von dort gestartet, sondern auch von der Montagehalle zur Startrampe transportiert werden. Doch das ganze hat seinen Preis: Die 108 Meter hohe Turm kostete fast eine Milliarde US-Dollar und für die größeren Ausbaustufen benötigt es einen weiteren noch größeren Startturm.

Jenseits der Arbeit am Space Launch System plant Tiera Fletcher mit ihrem Ehemann eine gemeinnützige Organisation für unterrepräsentierte Jugendliche in Mathematik, Wissenschaft, Technologie, Ingenieurwesen und Kunst. Diese jungen Menschen könnten es sein, die an der Spitze unseres nächsten Schritts stehen – der planetaren Revolution, beginnend mit der Kolonisierung des Mars.

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