fbpx

Wochenendrebellen

Groundhopping | Autismus | Wissenschaft | Podcast | Weltverbesserung

Autismus und Musik

Musik, Zauberflöte

Pasteten aus Menschenfleisch, sternförmige Tonleitern im mehrdimensionalen Euler-Gitter und eine Schallplatte für Aliens, das und vieles ist Thema in dieser Radiorebell-Episode zum Thema Musik. Wir besprechen, was Glimmer sind, wieso die Wissenschaft von der Theorie abgerückt ist, Musik sei nur ein evolutionäres Abfallprodukt der Kommunikation und sprechen über wissenschaftliche Studien, die zeigen, dass Musik ganz anders auf unser Gehirn wirkt als gewöhnlicher Schall. Wir überlegen uns, wie das möglich ist und die spektakuläre Antwort könnte sein: Die Grundlagen der Musik kommen nicht von uns Menschen, sondern vom Universum.

Was ist Musik?

Physikalisch ist Musik lediglich Schall wie jedes andere Geräusch auch: Eine Longitudinalwelle, also eine sich ausbreitende Schwingung von Teilchen längs der Ausbreitungsrichtung. Schwingen die Teilchen mit einer Frequenz zwischen etwa 16 Hz bis 20 kHz um ihre Ruhelage, dann können wir Menschen sie hören. Dennoch reagiert unser Gehirn auf das, was wir Musik nennen, anders als auf zufällige Geräusche: Die Pupillen weiten sich und innerhalb von 100 bis 300 Millisekunden erkennen wir ein vertrautes Lied. Und obwohl man sich über Musikgeschmack vortrefflich streiten kann, gilt das im Wesentlichen für alle Menschen in allen Kulturen auf der Welt.

„Musik ist die universelle Sprache der Menschheit.“

Henry Wadsworth

Woran liegt das?

Das, was wir einen „Ton“ nennen, ist eigentlich immer ein Tongemisch, also eine Mischung verschiedener Schwingungen mit unterschiedlichen Frequenzen – sonst würde ein a schließlich auf jedem Instrument gleich klingen. Der tiefste Ton einen Tongemischs, also die Schwingung mit der niedrigsten Frequenz, nennt sich „Grundton“. Nur er bestimmt die für uns Menschen hörbare Tonhöhe des Tongemischs.

Die „Obertöne“, also die höheren Töne des Gemischs, erklingen gleichzeitig und wir können sie nicht bewusst separat hören. Sie bestimmten allerdings die Klangfarbe des Tongemischs, nur durch sie können wir also Instrumente unterscheiden oder aber Menschen anhand ihrer Stimme erkennen, denn auch diese erzeugt Obertöne. Die Lautstärken der verschiedenen Obertöne machen jede Stimme einzigartig.

Harmonische Obertöne, Musik
Die ersten sechs Harmonischen eines Grundtons. Beachtet: Unser Ohr nimmt Intervalle als Verhältnisse, nicht als Abstände von Frequenzen wahr! Zwischen 100 Hz und 200 Hz liegt das Verhältnis 1:2, was wir als Oktave hören. Zwischen 200 Hz und 300 Hz liegt derselbe Abstand, aber das Verhältnis von 2:3, was wir als Quinte hören.

Jeder Klang (mit Ausnahme eines reinen Sinustons) hat eine Obertonreihe. Sind die Frequenzen der Obertöne ganzzahlige Vielfache der Frequenz des Grundtons, so spricht man von Harmonischen – die finden wir Menschen besonders schön und je mehr es von ihnen gibt, desto eher nehmen wir den Ton als Musik und nicht als irgendein Geräusch wahr.

Die wunderschöne Begründung dafür, wieso nahezu alle Menschen auf der ganzen Welt so speziell auf Musik reagieren ist also: Sie kommt nicht vom Menschen, sondern vom Universum. Die universelle Reihe der Obertöne eines Tons wurde nicht von uns erdacht, sondern ergibt sich aus den im ganzen Kosmos gültigen physikalischen Gesetzen der Wellenmechanik. Jedes der weltweit über 3.000 Tonsysteme, auch unser neuzeitlich Westliches, basiert auf dieser natürlichen Obertonreihe.

Das zeigt sich, wenn man verschiedenste Tonsysteme als dreidimensionale Objekte in einem speziellen Koordinatensystem, dem Euler-Gitter, darstellt. Töne sind dabei Punkte, zwischen denen Verbindungen existieren, die Details sind etwas komplizierter, aber im Ergebnis ergeben alle untersuchten traditionellen Tonsysteme ein ähnliches, sternförmiges Muster. Wenn euch also jemand nach eurem Musikgeschmack fragt und ihr nicht weiter wisst, weil ihr euch nicht entscheiden könnt, sagt einfach, ihr steht auf ganzzahlige Frequenzverhältnisse. Das passt immer.

Was bedeutet Musik für uns?

Doch wieso besitzen Menschen diesen Sinn für Musik? Musikalisch zu sein verleiht zunächst keinen so offensichtlichen evolutionären Vorteil wie schnell zu sein, intelligent zu sein oder sozial zu sein. Dennoch können Menschen seit etwa zwei Millionen Jahren musizieren, wir können also schon genauso lange musizieren wie aufrecht gehen. Mit einer Veränderung der Ernährung und einer deutlichen Vergrößerung des Hirnvolumens veränderte sich auf der menschliche Kiefer auf eine Weise, die ihm das Produzieren deutlich mehr und differenzierter Klänge ermöglichte. In erster Linie war das wichtig für die Kommunikation.

Lange vermutete man, Musik sei einfach ein Abfallprodukt: Kommunikation ist evolutionär wichtig und die Fähigkeiten, die unsere Vorfahren für Kommunikation benötigten, seien einfach dieselben gewesen, die ihnen zufälligerweise auch das Musizieren ermöglichen. Doch mittlerweile gilt dies als wissenschaftlich überholt. Zum einen, weil Sprache und Musik vom Grundkonzept zu unterschiedlich sind (die Zuordnung von Wörtern und Bedeutungen ist willkürlich, während einem Klang dessen symbolische Bedeutung innewohnt), zum Anderen, weil die beteiligten Hirnareale nicht unbedingt dieselben sind.

Tatsächlich ist für das Verarbeiten von Musik ein komplexes Zusammenspiel ganz verschiedener Hirnareale nötig, neben dem Auditiven Cortex auch das Kleinhirn, Teile der Frontallappen und – überraschend – der Motorcortex, die ansonsten für Muskelbewegungen zuständig ist. Kein Wunder also, dass wir Melodie, Rhythmus und Tanzen miteinander verbinden.

Gehirnareale, Musik
Sowohl der Auditive Cortex (grün) als auch der Motorcortex (rot) sind an der Verarbeitung von Musik beteiligt.

Die Wissenschaft geht daher heute davon aus, dass sich die Fähigkeit zum Musizieren durch sexuelle Selektion durchsetzte, sie durch ihre beeindruckende Wirkung also die Chance für Fortpflanzung erhöhte. Zudem erfüllte sie auch eine soziale Komponente in Gruppen, den mit wem man musizierte, dem schlug man nicht den Schädel ein. Im Gegenteil, man vereinte sich, was die Überlebenschancen erhöhte. Diese vereinende Wirkung hat die Musik bis heute.

Im Jahr 11.977 HE starteten die Raumsonden Voyager 1 und Voyager 2 zur Erforschung des äußeren Sonnensystems. Ist ihre Energie einmal erschöpft, werden sie einfach weiter fliegen und wer weiß auf was oder auf wen sie dort in Jahrmillionen stoßen? Man montierte an den Sonden daher Goldene Schallplatten als Botschaft der Menschheit an alle da draußen, die 500 Millionen Jahre überstehen soll und vielleicht noch dann Zeugnis davon ablegt, dass es uns mal gegeben hat, wenn wir schon längst nicht mehr da sind. Doch der Speicherplatz war begrenzt, wie sollten wir ihn also nutzen, um uns Menschen vorstellen?

Die beteiligten Wissenschaftler*innen entschieden sich dazu, neben einigen Bildern, Geräuschen und Grußbotschafen, insgesamt 90 Minuten Musik auf der Platte unterzubringen. Sie waren überzeugt davon, dass sich auf diese Weise wohl am besten etwas über unsere Welt und ihre Menschen erzählen lässt. Dabei heraus kam die wohl abwechslungsreichste Platte der Menschheitsgeschichte: Bach, Mozart, Beethoven, georgische Chormusik, japanische Längsflöte, aserbaidschanische Sackpfeifen, bulgarische, salomonische und peruanische Volksmusik, Vokalmusik aus Indien und Neuguinea, Spiritual, Jazz, Rock´n´Roll und einiges mehr.

Kommentiert wurde die Platte von UN-Generalsekretär Waldheim und US-Präsident Carter:

„Dies ist ein Geschenk einer kleinen, weit entfernten Welt, eine Probe unserer Klänge, unserer Wissenschaft, unserer Bilder, unserer Musik, unserer Gedanken und unserer Gefühle. Wir versuchen, unser Zeitalter zu überleben, um so bis in Eure Zeit hinein leben zu dürfen.“

Jimmy Carter, US-Präsident

Das führte uns zu der Frage, welche Lieder wir ausgewählt hätten, wenn wir 90 Minuten Spielzeit hätten, um den Aliens das Beste von der irdischen Musik zu zeigen.

Musik als Glimmer

In diesem Kontext sprechen wir über gemeinsam geschaute Musicals und die Zauberflöte im Kassler Staatstheater. Es geht um Festival-Erfahrungen (mehr dazu hier, hier und hier), die Rolle des Textes und des Inhalts und das Musikvideo „Space Oddity“ vom Kommandanten der Internationalen Raumstation.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Unser Fazit: Musik ist ein Glimmer, der psychologische Begriff für das Gegenteil eines Triggers, eine Art Gegenstressreaktion. Das gilt, wie eine Studie gezeigt hat, sogar für traurige Stücke. Und ich denke, dass wir alle in Anbetracht dessen, was auf uns global zukommt, ein paar Glimmer in unserem Leben sehr dringend benötigen werden.

Am Ende losen wir das Thema für die nächste Episode: Empathie.

Links

Studie zum Vergleich der Tonleitern im Euler-Gitter

Studie zur positiven Wirkung trauriger Musik

Karten für die Zauberflöte im Staatstheater Kassel

Show More

1 Comment

  • fasnix

    Super interessante Folge – danke!
    Donata ist eine sehr interessante Gesprächspartnerin und es wird deutlich, dass sie mit Jason auf einer anderen Ebene spricht, als wenn Mirco mit Jason – eben als „Vater-Sohn-Gespann“ – sich unterhalten (was ich ebenso interessant finde).
    Jasons streng logische mathematisch-physikalische Herleitung zur Frage „Was ist Musik“ ergänzt sich wunderbar mit Donatas emotionaler Betrachtung des Themas.
    Und ihr hört einander zu, nehmt auf, was die andere Person zum Thema beiträgt und nehmt die jeweilige Perspektive mit Interesse an.
    Gefällt mir richtig gut!

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert