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Doppelplusgut, dass du Wochenendrebell bauchfühlst!

George Orwell

Doppelplusgut, dass du den wissenschaftlichen sec bauchfühlst! In etwa so würde ich euch auf Neusprech auf der Wissenschaftsseite der Wochenendrebellen willkommen heißen. Neusprech, das ist die Landessprache des totalitären Staates Ozeanien in George Orwells Dystopie „1984“.

Um totale Kontrolle über die Menschen auszuüben, soll Neusprech durch starke Vereinheitlichung und das kleine Vokabular die vielen sprachlichen Nuancen und Möglichkeiten zur differenzierten Äußerung auszulöschen. Wer einen positiven Ausdruck bekräftigen will, sagt nicht „hervorragend“ oder „großartig“, sondern je nach Stufe gut, plusgut oder – das Optimum – doppelplusgut.

Die mit dem Ingsoc, dem English Socialism, also der Staatsdoktrin Ozeaniens, vereinbaren Gedanken sollen durch Neusprech die einzigen sein, die überhaupt noch sprachlich formuliert werden können. Und für uns Menschen sind generell nur jene Dinge real und denkbar, die wir sprachlich erfassen können.

Von den Goodthinkers, den linientreuen Menschen, wird erwartet, dass sie zwischen verschiedenen Wirklichkeiten hin- und herspringen können. Im einen Moment ist es nötig, zu wissen, dass zwei plus zwei gleich vier ist, im nächsten Moment ist zu behaupten – und daran zu glauben – dass zwei plus zwei selbstverständlich fünf ist. Dieses Wechseln zwischen optionalen, einander widersprechenden Wirklichkeiten ohne darin ein Problem zu sehen, wird Doublethink genannt.

Dahinter steckt eine Prognose, bei der man im „postfaktischen“ Zeitalter nur hellhörig werden kann.

„It is quite possible that we are descending into an age in which two plus two will make five when the Leader says so.“

George Orwell

Die Rechten wittern Orwells Dystopie an jeder Ecke, sei es gendergerechte Sprache, Corona-Schutzmaßnahmen, CO2-Abgabe, und, und, und… Dabei steckt im Neusprech eine Einstellung zu Fakten, welche die meisten von ihnen durchaus teilen.

„Sie müssen sich von diesen dem neunzehnten Jahrhundert angehörenden Vorstellungen hinsichtlich der Naturgesetze freimachen.“

O´Brien zu Winston in „1984“

Erinnert euch das an etwas?

COVID-19? Nur eine Erkältung…

Treibhauseffekt? Existiert nicht…

Ein nachweislich nicht existenter Pull-Effekt? Wird zur Grundlage menschenfeindlicher Politik…

Während Big Oil in den 1970ern noch groß angelegte Desinformations-Kampagnen auffuhr, um die Existenz des Klimawandels zu leugnen, bereite man sich intern schon auf die Erhitzung vor und wusste relativ genau um ihr Ausmaß. Zuvor hatte man schließlich noch genau damit geworben!

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Im postfaktischen Zeitalter ist Doublethink zum Alltag geworden – sprachlich findet sich dies in Beschönigungen, Entmenschlichungen und Diffamierungen wieder. Schauen wir uns einmal an, wo Neusprech bereits in der Realität fußgefasst hat.

Beschönigung

Besonders Rechtsextreme bedienen sich dieser Rhetorik. Die national befreite Zone ist zum Beispiel eine rechtsextreme Strategie des Schaffens von Zonen, die für Feind*inne der Nazis nicht mehr frei zugänglich sind – letztlich also eine Angstzone, beschönigt durch den Begriff „frei“. Die Bezeichnung „Döner-Morde“ ist eine rassistische Verharmlosung der Rechtsterroristische Mordserie des NSU. Ein Pushback ist das rechtswidriges und gewaltsames Zurückdrängen von Geflüchteten und erweiterte Verhörmethoden sind Folter.

Das sind einige sehr harte Beispiele der extremen Rechten. Doch einige deutlich subtilere Begriffe finden sich im alltäglichen oder gar offiziellen Sprachgebrauch: Ein Bundesausreisezentrum ist beispielsweise nüchtern betrachtet ein Abschiebelager. In Verruf geratene Wörter werden einfach ersetzt: Atomkraft wird zur Kernenergie, Videoüberwachung zu Videoaufklärung, die Tötung von Tieren wird zur letalen Entnahme, der Krieg zum robusten Stabilisierungseinsatz und die Elektroschockpistole zum weniger tödlichen Distanz-Elektroimpulsgerät. Und eine verheerende, tödliche Klimakatastrophe wird im Neusprech zum Klimawandel. Oder habt ihr etwa schon mal etwas vom großen Wirtschaftswandel 1929 gehört?

Das bekannteste und schwerwiegendste Beispiel für manipulierende Wortneuschöpfungen ist wohl der Un-Begriff alternative Fakten, mit dem Kellyanne Conway, die Beraterin von Donald Trump, offensichtliche Lügen des Pressesprechers Sean Spicer zur Anzahl der Menschen auf Trumps Amtseinführung bezeichnete – eine Wortschöpfung, wie sie Orwell selbst nicht besser hätte erdenken können und die stark an das Konzept „Doublethink“ erinnert. Die Verkaufszahlen von „1984“ stiegen nach Conways Interview übrigens um das 95-fache an.

„Sean Spicer, unser Pressesprecher, hat dazu alternative Fakten dargestellt.“

Kellyanne Conway

Es scheint als wären wir wie von Orwell prognostiziert, tatsächlich in ein postfaktisches Zeitalter eingetreten, in dem ganz offensichtliche Lügen das politische Geschehen bestimmen – spätestens seit dem Brexit.

Postfaktisches Brexit-Poster
Quelle: Kenneth Allen, Vote Leave poster, Omagh, schwarz-weiß, CC BY-SA 2.0

Es gibt unzählige weitere Beispiele: Rudy Giuliani etwa behauptete, es habe in den acht Jahren vor dem Amtsantritt von Präsident Obama keine erfolgreichen terroristischen Anschläge gegeben – obwohl offensichtlich 9/11 in dieser Zeit liegt. ALLE wissen sofort, dass Giuliani gelogen hat. Sie applaudieren trotzdem.

Natürlich beherrschen auch die Rechtsextremen in Deutschland die Strategie des Doppeldenk. Auf die Frage, warum die AfD nie erwähnte, dass 98% der Geflüchteten vollkommen friedlich seien, antwortete Georg Pazderski tatsächlich:

„Es geht nicht nur um die reine Statistik, sondern es geht da drum, wie das der Bürger empfindet. Das heißt also: das, was man fühlt, ist auch Realität.“

Georg Pazderski, AfD

Pazderski streitet die Zahlen also keineswegs ab, er ignoriert sie einfach. Er ist in der Lage, die Realität als optional zu sehen und zwischen verschiedenen Realitäten zu springen, je nach dem, welche gerade vonnöten ist. Objektivität gibt es nicht mehr. Das ist die Grundlage für Entmenschlichung, denn dieser Gedanke rechtfertigt in der Zuspitzung, Menschen festzunehmen oder zu bestrafen, einfach weil jemand sie für eine hypothetische Bedrohung hält.

Entmenschlichung

Wenn eine alternde Gesellschaft als Rentnerschwemme oder Altenplage bezeichnet wird, erweckt das fast den Eindruck, Menschen würden Unrecht begehen, wenn sie lange leben. Daraus resultieren dann Unworte wie Langlebigkeitsrisiko oder Todesfallbonus in der Versicherungsbranche. Im Rahmen der Gesundheitsreform der rot-grünen Regierung sprach der damalige Präsident der Ärztekammer sogar von sozialverträglichem Frühableben.

Headline: "OECD: Rentner-Schwemme bedrohlicher als Finanzkrise"

Umgekehrt kommt es aber auch einer Entmenschlichung gleich, Kinder und Jugendliche als Humankapital oder gar Menschenmaterial zu bezeichnen.

Besonders im sprachlichen Umgang mit Geflüchteten zeigt sich die Strategie der Entmenschlichung, ausgeführt durch Begriffe wie Flüchtlingswelle oder Flüchtlingsstrom. Angela Merkel sprach auf einem Vortrag bei der Bertelsmann-Stiftung sogar von Deutschlands Beitrag zur Flüchtlingsbekämpfung – sicherlich eine sprachliche Entgleisung, doch unterbewusst letztlich die Wahrheit: An den europäischen Außengrenzen werden bereits Schallkanonen gegen Geflüchtete eingesetzt, die große Schmerzen verursachen, außerdem Wärmebildkameras, Stahlgitterzäune und Drohnen. „Flüchtlingsbekämpfung“ ist immerhin kein Euphemismus dafür.

Auch die von der Innenminister*innenkonferenz ins Leben gerufene Bezeichnung Gefährder ist hochgradig manipulativ, schließlich kriminalisiert er Personen, die keinerlei Taten begangen haben, aber von denen durch bestimmte Eigenschaften angeblich ein erhöhtes Risiko dafür ausgehe. Natürlich folgen aus dem „Gefährder“-Status erstmal keine unmittelbare Rechtsfolgen – dann fragt sich jedoch, wieso ein solcher polizeilicher Arbeitsbegriff gewählt wird.

Nicht nur in der Politik, auch in der Wirtschaft wird entmenschlicht, so schuf der Verwaltungsratspräsident von Nestlé, Helmut Maucher, etwa den Begriff Wohlstandsmüll für Menschen, die nicht arbeiten können oder wollen.

„Unsere Arbeitslosen werden relativ gut bezahlt. Und wir wissen, daß mit Prosperität auch – und das ist ein hartes Wort – ein gewisser Wohlstandsmüll entsteht: Leute, die saufen, Drogen nehmen, sich abgemeldet haben. Für Menschen die wirklich arbeiten wollen, gibt es immer noch Arbeit.“

Helmut Maucher, Generaldirektor von Nestlé

Diese menschenfeindliche Rhetorik der Bezeichnung von Menschen als Müll führt leicht zur nächsten Stufe der Enthemmung. Der Begriff der ethnische Säuberung meint letztlich Vertreibung und Ermordung ethnischer Minderheiten und bedient sich der Täter*innen-Logik, indem es den positiven Begriff „sauber“ aufgreift – selbes gilt für die Begriffe Rassen- oder Sozialhygiene.

Während der Corona-Pandemie wurde die Aussage, etwas betreffe nur Risikogruppen, zum Argument dafür, dass es nicht so schlimm und hinnehmbar sei. Dass es sich bei „Risikogruppen“ auch um Menschen handelt, wird durch die Bezeichnung gut verschleiert. Noch extremer ist der Begriff Selektionsrest, den man 11.994 HE in der FAZ über nicht in Regelklassen zu integrierende behinderte Kinder lesen konnte.

Auf die Spitze getrieben wird die Einführung entmenschlichender Begriffe im Nationalsozialismus, durch abwertende Vergleiche mit Tieren oder Schädlingen für von den Nazis verfolgte Gruppen. Wir müssen aufpassen: Begriffe wie Minusvaria***, Asozi*** oder Klappspa*** gehören bei einigen Menschen leider heute noch zum Sprachgebrauch vieler Menschen. Und noch heute wird diese Entmenschlichung auch politisch weiterhin bewusst betrieben: Aserbaidschans Diktator Aliyev bezeichnete Armenier*innen als „Ratten und Hunde“. Und AfD-Politiker Jens Maier sprach 12.020 HE im Bundestag von „Schädlingen“ und meinte damit Menschen, die ihre Miete nicht bezahlen können.

Diffamierung

Die Diffamierung ist eine weitere gefährliche Wirkung des Neusprech. Diese gelingt durch Umdeutung. Der Gutmensch, eine Diffamierung aus der rechten Ecke durch die etwas Positives umgedeutet werden soll, ähnelt sogar auf dem ersten Blick dem „Goodthinker“ aus Orwells Roman. Der Begriff Moralkeule verbindet moralisches Handeln mit einer Waffe zum Verletzen oder Töten von Menschen, was den positiven Begriff der Moral umdeuten und Menschen, die sich für moralisches Handeln einsetzen, diffamieren soll. Solche in sich widersprüchlichen Worte sind häufig in Orwells Neusprech: Der Begriff blackwhite beschreibt dort die Einstellung, solche logischen Widersprüche nicht zu hinterfragen. Auch im realen Sprachgebrauch finden wir sie aber, sei es wenn Palmer von Menschenrechtsfundamentalismus oder Söder von Asyltourismus spricht.

Mich persönlich empört besonders die Wortschöpfung Klimahysterie. Sie ist nicht nur von Grund auf postfaktisch (da die von der Klimabewegung geforderten Maßnahmen der faktischen Lage absolut angemessen sind), sondern diffamiert auch Menschen, die einen großen Teil ihres Lebens, ihrer Zeit und ihrer Kraft dem Kampf gegen die Klimakrise und damit der Erhaltung von Menschenleben widmen als „hysterisch“. Immer wieder wurde dem Weltklimarat wegen des Aufnehmens von Worst-Case-Szenarien wie dem RCP8.5-Szenario Alarmismus und Hysterie vorgeworfen. Solange, bis dann…

Headline: "Klima: Auf Kurs zum Worst-Case-Szenario?"

Eng damit verbunden ist der Begriff Freiheit, der leider auch zunehmend umgedeutet und zum Synonym für Rücksichtslosigkeit und Egoismus. Da wird „Freiheit“ plötzlich zum Zwang sich einem tödlichen Virus auszusetzen und vollkommen unverantwortliches Handeln zur Eigenverantwortung.

In eine ähnlich diffamierende Richtung wie „Klimahysterie“ gehen Neologismen wie Genderwahn oder Sprachpolizei. Letzterer ist auch noch irreführend, da er suggeriert, es gäbe eine übergeordnete Instanz, die problematischen Sprachgebrauch mit Absolutheitsanspruch beurteilen und bestrafen würde.

Denkt man nur an das Gute-KiTa-Gesetz oder das Starke-Familien-Gesetz. Die Adjektive beziehen sich auf das erste Nomen, gemeint sind also „gute KiTa“ und „starke Familien“, doch unterbewusst beziehen wir sie auf das Gesetz, das Gesetz soll also gut oder stark sein. Diese Irreführung ist bewusst gewollt.

Fazit

In Deutschland kontrolliert heute – von Volksverhetzung und Beleidigung mal abgesehen – heute keine staatliche Instanz den Sprachgebrauch der Menschen. Genauso wenig ist es heute Pflicht sich einen Telescreen im Haus zu installieren, damit es sich einfacher überwachen lässt. Offenbar konnte sich Orwell schlicht nicht vorstellen, dass Menschen sich den Telescreen sogar freiwillig ins Haus holen.

Ganz ähnlich verhält es sich auch mit der Sprache.

Doch besonders rechte und rechtsextreme Politiker*innen versuchen durch manipulative Sprachlügen und Framing die Menschen zu kontrollieren. Besonders „Doublethink“, also das Akzeptieren postfaktischer Argumentationen, sofern sie der eigenen Agenda helfen, ist eine riesige Gefahr für unsere Freiheit und auch unser Überleben, denn sie es steht beispielsweise dem Kampf gegen die Klimakrise im Weg.

Letztlich bleibt der Abspann der Verfilmung von „1984“ aktueller denn je.

„Wir zeigten Ihnen die Geschichte der Zukunft. Es könnte die Geschichte unserer Kinder sein, wenn wir nachlassen, das Erbe der Freiheit für sie zu bewahren.

Abspann der Verfilmung von „1984“

Dem ist nichts hinzuzufügen. Uns ein bisschen öfter daran zu erinnern, wäre wirklich doppelplusgut.

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