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11800 HE: Industrielle Revolution

Fast die gesamte Menschheitsgeschichte spielte sich in einer Nullsummenwelt ab. Der globale Kuchen blieb stets gleich groß und der einzige Weg, mehr davon zu bekommen war, anderen etwas wegzunehmen. Doch um 11800 HE änderte sich dies: Plötzlich fanden wir Methoden, um die Menge des Kuchens insgesamt zu vergrößern. Doch leider führte das nicht nur zu Wohlstand und Einigkeit, sondern auch zu den größten Problemen, die uns bis heute plagen.

Von der Nullsummen- zur Positivsummenwelt

Was bedeutet es, wenn der Großteil der Menschheitsgeschichte in einer Nullsummenwelt stattfand? Die Menschen arbeiteten fast ausschließlich in der Landwirtschaft und die weltweite Wirtschaftskraft entsprach in etwa dem Ertrag der Landwirtschaft, der durch begrenzte fruchtbare Ackerfläche limitiert war. Er wuchs langsam, im Römischen Reich hatte man natürlich eine größere Wirtschaftsleistung als in der Steinzeit. Aber von einem Jahr oder Jahrzehnt auf das andere veränderte sich kaum etwas. Die Anzahl der Menschen und somit der Verbrauch stieg relativ simultan mit den Produktionskapazitäten.

Unter anderem deshalb waren es sehr kriegerische Zeiten. Da die Größe des Kuchens festgeschrieben war, stritt man um die Verteilung. Um sich zu bereichern, musste jemand anders weniger haben – da jedoch keine*r freiwillig verarmt, wurde man mit Gewalt dazu gezwungen oder ausgeplündert. Krieg war der Normalzustand in dieser Nullsummenwelt.

Doch dann veränderte sich etwas. Durch eine jahrzehntelange Friedensperiode, völlige Zollfreiheit, ein mildes Klima und die Möglichkeit des unzensierten Ideen- und Wissensaustauschs wurde die Wirtschaft in Großbritannien durch neue Erfindungen plötzlich viel produktiver. Die Menschheit konnte nun viel mehr Energie nutzbar machen, so wurde die in fossilen Brennstoffen gespeicherte Energie durch Dampfmaschinen in mechanische Energie umgesetzt und die konnte von den Menschen genutzt werden.

Dadurch konnte plötzlich explosionsartig viel mehr produziert werden, und zwar auch schneller und günstiger. Der Kuchen wuchs also in seiner Gesamtgröße und das enorm. Dies lässt sich anhand der Eisenproduktion in Großbritannien nachvollziehen: Zwischen 11700 und 11870 HE stieg sie um das 137-fache. Ähnlich verhielt es sich mit Kohle, Zinn, dem Bausektor aber durch bessere Dünger auch der Landwirtschaft.

Nun standen desto mehr Ressourcen zu Verfügung, je weiter die menschliche Entwicklung fortschritt. Man konnte nicht mehr nur dadurch ein größeres Stück bekommen, indem man anderen etwas wegnimmt, sondern auch, indem man anderen dabei hilft, den ganzen Kuchen immer und immer größer werden zu lassen.

So gibt es etwa eine Geschichte über den Automobilpionier Henry Ford, der zufolge er seinen Mitarbeiter*innen einen für die damalige Zeit überdurchschnittlichen Lohn zahlte und selbst davon profitierte – nur so konnten diese schließlich seine Autos kaufen. Dieser kleine Abschnitt der Positivsummengesellschaft in unserer Geschichte ist winzig, aber er hat alles verändert.

Die soziale Frage

Die Industrielle Revolution hat die gesellschaftliche Verhältnisse, zunächst in Europa, später fast auf der ganzen Welt, auf einen Schlag erschüttert. Die technologische und medizinische Entwicklung beschleunigte sich, die Ernten waren sicher und folglich wuchs die Bevölkerung. Da einige Menschen nun länger lebten, erweiterte sich auch ihr Planungshorizont. Sie dachten nicht mehr nur über das nächste Jahr oder die nächsten zehn Jahre nach, sondern auch mal über die nächsten hundert.

Doch mit der Bevölkerung stieg auch die Anzahl der Menschen, die für extrem niedrige Löhne arbeiteten. Das wurde dadurch bestärkt, dass für viele Tätigkeiten in der Produktion nun viel weniger Menschen benötigt wurden, folglich fielen Arbeitsplätze weg. Natürlich entstanden auch neue, aber der Strukturwechsel ging viel zu schnell als dass die „Opfer“ der Industrialisierung davon hätten profitieren können.

Die Löhne reichten für viele Menschen also nur noch für eine Person – ne blöde Sache, wenn gerade eine regelrechte Bevölkerungsexplosion im Gange ist. Also mussten auch Frauen und Kinder extrem harte körperliche Arbeiten ausführen. Dadurch standen nun noch mehr Arbeiter*innen zu Verfügung und je größer die Auswahl für die Arbeitgeber*innen, desto geringer ist der Lohn. Schließlich findet sich immer jemand, der noch verzweifelter ist und für einen noch geringeren Lohn arbeitet. Ein Teufelskreis.

Muss das so sein? Nein. Schließlich gab es ja jetzt eine viel größere Wirtschaftsleistung – es gab also mehr Kuchen. Paradoxerweise führte aber gerade dies dazu, dass vielen Menschen der Zugang dazu verwehrt wurde. Das ist kein Naturgesetz, es ist lediglich das, was passiert, wenn man den Arbeitgeber*innen alles selbst überlässt. Die Frage wie diese Missstände auszuräumen sind, wird als die Soziale Frage bezeichnet.

Das Ende der Geschichte?

Es schien lange als sei die Soziale Frage beantwortet. Nachdem die durch das mit der Industrialisierung etablierte Wirtschaftssystem und die durch es verursachten Probleme zum weltweiten Aufstieg faschistischer Gruppierungen beitrugen und die Errungenschaften der Industrialisierung für zwei blutige Weltkriege missbraucht wurden, ordnete sich die Welt bipolar in Ost und West an. Als die realsozialistische Sowjetunion zusammengebrochen war, war das Spiel vorbei: Demokratie und Kapitalismus schienen sich durchgesetzt zu haben, eine unipolare Welt.

Der Politikforscher Francis Fukuyama sprach 1992 sogar vom Ende der Geschichte, in dem alle politischen Gegensätze ausgeräumt sind. Doch das Ende der Geschichte ist wohl… zumindest erstmal aufgeschoben. Die Entwicklungen des neuen Jahrtausends konfrontieren uns mit der Frage, ob Demokratie und Kapitalismus langfristig überhaupt vereinbar sind. Die Vormachtstellung der USA bröckelt, eine neue bipolare Welt kündigt sich an. Und die Soziale Frage ist in Anbetracht sinkender Renten, verheerender Armut in vielen Ländern und eine wachsende Reichtumsschere aktueller denn je.

Klimakrise – der Preis der Industrialisierung?

Und dann ist da ja noch diese eine andere Sache. Mit der Industrialisierung hat der Mensch seiner über Jahrtausenden verfolgten Tätigkeit, sich seine eigene Welt zu bauen, die Krone aufgesetzt. Die Einschnitte waren nun so tiefgreifend, dass sie das Angesicht der Erde veränderten. Plötzlich trug der Mensch mehr Gestein ab als Wind und Wasser zusammen, er veränderte Landschaften großflächig, rottete zahllose Tierarten aus und letztlich veränderte er sogar die Zusammensetzung der Atmosphäre unseres Planeten.

Die Anreicherung der Atmosphäre mit Treibhausgasen durch Industrie, Land- und Forstwirtschaft führte dazu, dass die Erde einen größeren Teil der von der Sonne erhaltenen Energie aufnahm und sich folglich ab etwa 11800 HE drastisch erwärmte. Die Auswirkungen waren verheerend: Im Jahr 12003 HE tötete eine Hitzewelle in einem halben Monat 70.000 Menschen, doch schon ein Jahrzehnt später waren solche Temperaturen längst nichts Außergewöhnliches mehr. Zyklone, Überschwemmungen und Unwetter wurden häufiger, vor allem ärmere Länder resignierten.

Im Jahr 12017 HE überschritt die Erhitzung 1°C, der Anstieg des Meeresspiegels betrug zu diesem Zeitpunkt etwa einen viertel Meter. Die Welt war in einem sechsten Massensterben angekommen. Bisher sieht es leider nicht danach aus als wäre die Positivsummenwelt sowie sie durch die Industrialisierung erschaffen wurde, über einen längeren Zeitraum zu erhalten.

Das Problem an der Industrialisierung ist gar nicht, dass es den Menschen durch sie nicht besser geht. Das Problem ist, dass der Mensch gar nicht will, dass es ihm besser geht. Er will, dass es ihm besser geht als anderen. Und er versteht nicht, dass er dies erreichen kann, indem er anderen etwas gibt. Früher oder später wird das „Ende der Geschichte“ wohl kommen – auf welche Weise auch immer.

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